19. Februar 2024 17:00

Spielfilm „Chevalier“ über den französischen Komponisten Joseph Bologne Ein übles Propagandastück

Die nächste Projektionsfläche, die für ahistorische Black-Lives-Matter-Phantasien missbraucht wird

von Robert Grözinger

von Robert Grözinger drucken

Artikelbild
Bildquelle: Wikimedia Commons / Public Domain Missbraucht für rassenbasierte Propaganda: Der von Königin Marie Antoinette zum Ritter geschlagene Sohn eines Plantagenbesitzers und einer schwarzen Sklavin sowie bestens in Frankreich integrierte Joseph Bologne (1745–1799)

Vor ungefähr einem Jahr brachte Hollywood einen Spielfilm über einen im Jahr 1745 geborenen Komponisten heraus: „Chevalier“. Der Titelheld war 1765 nach Paris gezogen und lebte dort bis zu seinem Tod 1799. Das – äußerlich – Außergewöhnliche an dem Mann, das ihm nun die cinematographische Verewigung einbrachte: Er war der Sohn eines französischen Besitzers einer Plantage auf der Inselgruppe Guadeloupe und dessen schwarzer Sklavin. Sein Name: Joseph Bologne oder, nach seinem Ritterschlag, Chevalier de Saint-Georges. Aufmerksam auf Bologne und den Film wurde ich aufgrund einer unten verlinkten Besprechung des Films im US-amerikanischen, politischen Magazin „City Journal“. Ich habe mir den Streifen vor wenigen Wochen angeschaut. Als Kunstwerk ist er bestenfalls mittelprächtig. Als kulturpolitisch zweckdienliches Umdeutungswerk historischer Ereignisse ist er zeitgeistig angepasst und ein Skandal. Ich zitiere im Folgenden einige Abschnitte aus der Besprechung.

Bologne, der neben seinen Tätigkeiten als Komponist, Dirigent und Geigenvirtuose auch ein Athlet und Fechter war, habe ein „interessantes Leben“ geführt, schreibt die Autorin des „City Journal“- Artikels Heather MacDonald. Aber: „Wäre Bologne ein Weißer gewesen, hätte er niemals im neunzehnten Jahrhundert zu einem Roman inspiriert, ebenso wenig spätere biografische Forschungen und den aktuellen Bologne-Aufführungsboom, der international renommierte Solisten wie Anne-Sophie Mutter dazu veranlasst hat, seine federleichten Violinkonzerte in Weltklasse-Veranstaltungen wie dem Luzern-Festival aufzuführen. Dieses Leben ist zwar interessant, aber nicht der Stoff, der sich zu ‚Black Lives Matter‘-Agitation eignet. Deshalb braucht es eine Inszenierung, und die liefert der Film ‚Chevalier‘ in jeder Szene.“

MacDonald wirft den Filmemachern „Doppelzüngigkeit“ vor, die sich schon in der Eröffnungsepisode andeutet – diese ist auf „Youtube“ abrufbar und ebenfalls unten verlinkt. Dort ist ein „selbstgefälliger“ Mozart zu sehen, der sein Publikum auffordert, ihm eines seiner Werke zu nennen, das er spielen möge. „Eine Stimme kommt aus dem hinteren Teil des Saals: ‚Violinkonzert Nummer fünf!‘ und fragt dann: ‚Darf ich mit Ihnen spielen?‘ Ein schwarzer Mann mit relativ hellem Teint in Seidentracht und Perücke schreitet auf die Bühne zu und springt hinauf. Mozart verhöhnt ihn vor dem Publikum: ‚Ich präsentiere Ihnen jetzt Musik mit einem dunklen Fremden‘“. Und spottet im Bühnenflüsterton: „Ich hoffe, das wird Ihnen nicht peinlich sein.“

Dann passiert das Überraschende: Der „dunkle Fremde“ spielt virtuoser als Mozart und „improvisiert seine eigene, vom Jazz inspirierte Kadenz.“ Die Überraschung auf den Gesichtern des Publikums sei gerechtfertigt, so MacDonald, „denn wer in den 1770er Jahren solche Harmonien spielte, hätte als Verrückter gegolten.“ Kurz darauf klinge Bologne „wie der Geigenvirtuose Niccolò Paganini aus dem 19. Jahrhundert“. MacDonald weiter: „Das Orchester unterstützt Bologne mit schmetternden Akkorden; Mozart ist wütend. Bologne springt zurück auf die Bühne und webt nun einige Bluegrass-Einflüsse in sein Solo ein. Dann hebt er die Arme und die Geige und verbeugt sich, wie ein Boxer, der seinen Gegner gerade k.o. geschlagen hat. Das Publikum springt auf und applaudiert.“ Am Ende dieses Abschnitts stürmt Mozart von der Bühne und zischt: ‚Who the fuck is that?‘“

Diese Szene ist so unrealistisch wie nur möglich. MacDonald: „In der umfangreichen Korrespondenz der Familie Mozart kommt Bologne nicht vor. Zwei maßgebliche Mozart-Biografien, die von Maynard Solomon und Stanley Sadie, erwähnen Bologne nicht. In einer dritten Biographie von Robert Gutman wird Bologne nur in einer Fußnote erwähnt, um zu sagen, dass Mozart ihm nicht begegnet ist. Mozart war nicht in Paris, als sich diese Szene ereignet haben soll. In keinem zeitgenössischen Bericht über Mozart findet sich ein Hinweis auf die Boshaftigkeit, die seinen Charakter in der Eröffnungsszene von ‚Chevalier‘ kennzeichnet. Obwohl er seine Musikerkollegen in Briefen an seinen Vater kritisieren konnte, zollte er seinen Kollegen in der Öffentlichkeit Respekt. Was die rassistische Anspielung betrifft, so ist sie sogar eine noch schlechtere Erfindung.“

Der Hauptgrund aber, warum diese bahnbrechende Szene nicht stattgefunden haben kann, sei die Musik, so MacDonald weiter. „Die angebliche Kadenz von Bologne ist so anachronistisch, als hätte er ein Smartphone gezückt und ein Selfie gemacht.“ Wie virtuous er an der Violine auch gewesen sein mag, als Komponist sei er „durch und durch konventionell“ gewesen. „Seine Musik kann auf milde Art und Weise erfreulich sein, und zwar nicht aufgrund einer besonderen Begabung Bolognes, sondern weil der klassische Stil des achtzehnten Jahrhunderts, in dem er schrieb, von Natur aus reizvoll ist.“ Bologne bevorzugte „verkürzte melodische Phrasen, die fast sofort wortwörtlich wiederholt werden, mit wenig Entwicklung.“

Ich pflichte dieser Einschätzung der Musik des Franzosen voll und ganz bei. Unten ist ein „Youtube“-Video mit den Violinkonzerten Bolognes verlinkt, ebenso zum Vergleich die Sinfonie Nummer 40 von Mozart. Während erstere durchaus angenehm anzuhören sind, wird man von ihnen nicht „ergriffen“ – im Gegensatz zu bereits den ersten Takten der Sinfonie des Genies aus Salzburg.   

Dann zielt die „City-Journal“-Autorin voll auf die Filmemacher: „So ist es nicht verwunderlich, dass jedes Mal, wenn wir in ‚Chevalier‘ Bologne bei einer angeblichen Aufführung seiner eigenen Komposition hören, die Musik in Wirklichkeit von einem der Komponisten des Films geschrieben wurde, der sich bei Modernisten wie Dmitri Schostakowitsch, Ralph Vaughan Williams und Thelonious Monk bedient. Die eigentliche Musik von Bologne ist auf den Hintergrund beschränkt, während die Schauspieler über sie hinweg sprechen, was es unmöglich macht, ihre Fadheit zu erkennen.“ Doch die Eröffnungsszene soll uns glauben machen, „dass Bologne Mozart musikalisch überlegen ist und dass Mozart – dieses Wunder an Majestät und Schönheit – das wusste.“

Und nun kommt der Rassenkampf der Filmemacher dran: „Wir erfahren auch, dass Bologne ein harter Kerl ist, ein selbstbewusster, selbstsicherer schwarzer Mann, der sich von den weißen Aufsehern nichts gefallen lässt. Im Laufe des Films sehen wir, wie er für sich selbst wirbt und Rivalen ins Gesicht beleidigt. Der tatsächliche Bologne hat keine Briefe oder andere Dokumente hinterlassen, die seine Persönlichkeit hätten unterstreichen können, aber zeitgenössische Berichte geben keinen Hinweis auf die Überheblichkeit, die im Film gezeigt wird. Ein Komponistenkollege lobte sogar seine ‚Bescheidenheit und Sanftmut‘. Nichtsdestotrotz stattet der Regisseur Bologne im Film mit Eigenschaften aus, die in jedem anderen Kontext als rassistische Stereotypen angesehen würden. Eine Sopranistin stellt bewundernd fest, dass die anderen männlichen Mitglieder des Hofes ‚alle sehr eifersüchtig auf Ihr sehr großes (lange Pause) Talent‘ sind.“

Zum Kern der – nebenbei gesagt, ziemlich ausgefransten, wenn auch mit guten Schauspielern bestückten – Erzählung gehört, dass Königin Marie Antoinette (1755–1793) in Erwägung zog, Bologne die Führung der Pariser Oper zu übertragen. Als dies bekannt wurde, schrieben drei Sopranistinnen eine Petition dagegen, worin stand, dass ihre „Ehre und die Empfindsamkeit ihres Gewissens es ihnen unmöglich machen würde, sich den Anweisungen eines Mulatten zu fügen“. Soweit stimmt diese Episode mit der Geschichte überein, sagt MacDonald.

Dann aber dichten die Filmemacher folgende Worte der Petition hinzu: „der einer Untermenschenrasse angehört.“ Es ist zwar durchaus üblich, in Filmen mit historischem Inhalt Aussagen so zu „modernisieren“, dass auch ein Normalsterblicher die unterschwelligen Botschaften verstehen kann, die kommuniziert wurden, jedoch ist das hier nicht der Fall. Hier wurde künstlerische Freiheit auf verantwortungslose Weise missbraucht, um absichtlich die von angeblichen „Antirassisten“ gegenwärtig vorangetriebene Spaltung der Gesellschaft in unterschiedliche „Rassen“ weiter anzufeuern. Oder zumindest, sich diesem Trend opportunistisch anzuschließen.     

Zudem soll es laut MacDonald in der historischen Wirklichkeit einen ganz anderen Grund dafür gegeben haben, dass Bologne schlussendlich diese Führungsposition nicht zugetragen bekam: „Einige Insider befürchteten, dass er versuchen würde, die Pariser Oper umzukrempeln und die Macht in seinen eigenen Händen zu zentralisieren, so der Musikwissenschaftler Patrick Barbier. Die Verfechter des Status quo schlossen sich daher zusammen, um die scheinbare Bedrohung durch den zum Ritter geschlagenen Emporkömmling zu beseitigen.“

Auch im Hinblick auf Bolognes Mutter dichtet Hollywood um, dass sich die Balken biegen. Im Film zieht sie viele Jahre später zu ihrem Sohn nach Paris, als in Wirklichkeit geschehen. Und fängt dann wiederum ahistorisch an, davon zu sprechen, dass er sich von „diesen reichen weißen Leuten“ hat erweichen lassen. Sie schickt sich an, ihn wieder mit seinen schwarzen Wurzeln zu verbinden. MacDonald: „Die Mutter nimmt ihn mit in einen Innenhof, wo Hunderte von Schwarzen auf unerklärliche Weise grillen und zu karibischer Musik tanzen. Man erwartet, dass Harry Belafonte jeden Moment mit ‚Day-O‘ loslegt. Bologne setzt sich an eine große Bongotrommel und steigt sofort in den afro-karibischen Groove ein, indem er mit den anderen Trommlern Beats improvisiert.“  

Andere ethnisch gefärbten Erfindungen gebe es im Film zuhauf, so MacDonald und beschreibt sie so: „Kristallnacht-ähnliche Niederknüppelungen durch Bolognes Fechtkollegen, lange Reden über die ‚dunkle Pest‘, die die Reinheit des französischen Blutes bedroht. Im Epilog am Ende des Films wird behauptet, Napoleon Bonaparte habe ein Verbot von Bolognes Musik angeordnet. Diese Behauptung ist laut Peter Hicks, dem Historiker und Leiter der Auslandsabteilung der Fondation Napoleon, ‚natürlich völliger Unsinn‘. Die Schöpfer des Films ‚Chevalier‘ brauchen jedoch eine rassistische Erklärung dafür, warum die Musik von Bologne mehr als 200 Jahre lang verschwunden war.“

Als Komponist war der ansonsten gefeierte Ritter, Fechter und Geigenvirtuose Bologne Mittelmaß. Das ist der wahre Grund für das Verschwinden seiner Musik. Und das ist der wahre Grund für sein Auftauchen heute, im Zeitalter des Mittelmaßes und der totalen Verständnislosigkeit für jene Kultur, die mehr als alle anderen das – innerlich – Außergewöhnliche, das Geniale, das Einzigartige, gar das Göttliche im Individuum feiert: Die westliche Zivilisation. Das – und Bolognes Nützlichkeit als Projektionsfläche für Gesellschaftsklempner, die entweder zu oberflächlich sind, um zu wissen, was sie tun, oder bösartig genug, um es trotz ihres Wissens zu tun.

MacDonald schreibt zum Abschluss ihrer Besprechung im Hinblick auf das amerikanische Publikum: „Für viele Zuschauer wird ‚Chevalier‘ die einzige Begegnung mit der europäischen Geschichte sein, und sie werden den Film als maßgeblich einstufen. Er mag uns so gut wie nichts über die Musikwelt des Ancien Régime und einen seiner Hauptakteure erzählen. Aber er ist ein einzigartiges Beispiel für den Hass auf die abendländische Vergangenheit, der heute unsere kulturelle Produktion beflügelt und der zunehmend unser Verständnis dieser Vergangenheit bestimmt.“

Vor kurzem schrieb ich auf Freiheitsfunken über den Film „Amadeus“ aus dem Jahr 1984 (siehe Link unten). Weit mehr als ‚Chevalier‘ war das ältere Werk naturgemäß in klassischer Musik getränkt. Diese aber brauchte sich nicht zu verstecken. Auch dieser Film war „ahistorisch“. Aber sein Grundthema – der von Neid zerfressene, mittelmäßige Komponist Salieri bringt auf perfide Weise seinen genialen Kollegen um – ist universell und uralt und somit „wahr“: Eine Variante der Geschichte von Kain und Abel.

Das Grundthema von „Chevalier“ dagegen könnte man fast „Die Absolution Salieris“ nennen. Es vermittelt die Botschaft, dass die Weißen schon immer und überall rassistisch und auf rassenbasierte Vorherrschaft aus waren und sind. Und deshalb zu fürchtende und unter schärfster Kontrolle zu haltende Bestien. Für diese heute so unterschwellig wie weit verbreitete Unwahrheit wurde die Geschichte eines in der kulturell führenden europäischen Nation des 18. Jahrhunderts sehr erfolgreich integrierten halbschwarzen Mannes umgedreht, um nicht zu sagen pervertiert, und für die heute so hegemoniale wie falsche, neidzerfressene Ideologie passend gemacht.

Quellen:

Heather MacDonald: Minor, in a Major Key (City Journal, Autumn 2023, Vol. 33, No. 4)

Eröffnungsepisode des Films „Chevalier“ (Youtube, englisch)

Joseph Bologne, Violinkonzerte (Youtube)

Wolfgang Amadeus Mozart, Sinfonie Nr. 40 (Youtube)

Spielfilm „Amadeus“ aus dem Jahr 1984: Als Leistung sich wieder lohnen sollte (Robert Grözinger, Freiheitsfunken)


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.