21. Februar 2024 07:00

Parteiendemokratie Werteunion: Freiheit in Maaßen

Das Gründungsprogramm in der Analyse

von Oliver Gorus

von Oliver Gorus drucken

Artikelbild
Bildquelle: photocosmos1 / Shutterstock Werteunion mit ihrem Gründer Maaßen : „Wir wählen die Freiheit“ – ist das wirklich so?

Am 17. Februar wurde die Werteunion gegründet. Weil die deutsche Gesellschaft vor allem an einer entzündlichen Erkrankung des politischen Systems, nämlich an einer akuten Parteiendemokratitis leidet, ist diese Parteigründung bedeutsam. Die Frage ist: Wird sie zur Gesundung des Patienten beitragen können?

Ich habe mir das in den letzten Wochen vorbereitete und am selben Tag der Gründung veröffentlichte Gründungsprogramm genauer angeschaut.

Back to Bonn

Der Slogan lautet „Wir wählen die Freiheit“ – das spielt auf den alten Unions-Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ an, mit dem die CDU in den Bundestagswahlkampf 1976 zog. Die CSU verwendete diese Figur damals in Form eines Wahlspruchs: „Freiheit oder Sozialismus“.

Damals ging es um die klare Abgrenzung zur SPD und zu deren von Brandt geprägten Ostpolitik. Die SPD stand für „Sozialismus“ und die Annäherung an die DDR, während die CDU mit „Freiheit“ die Bonner Republik und ihre Westbindung meinte.

Wenn die Werteunion jetzt davon spricht, die Freiheit zu wählen, dann knüpft sie damit direkt an die damals von der Union gestellte, strategisch kluge Wahl zwischen links und rechts, zwischen Berlin und Bonn, zwischen Ost und West, zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft an. Außerdem verknüpft sie sich symbolisch mit der Bonner Republik und mit der Union von Adenauer und Erhard, von Kohl und Strauß. Die Bonn-Symbolik wurde absichtlich noch verstärkt, indem die Gründung auf einem Schiff auf dem Rhein bei Bonn durchgeführt wurde.

Dabei ist zu beachten, dass der Parteivorsitzende Maaßen ein Insider der nun aufzuarbeitenden Berliner Republik ist. Als nach der Wende Merkel 1991 Ministerin für Frauen und Jugend wurde, begann der acht Jahre jüngere Maaßen gerade seine Beamtenlaufbahn im Innenministerium als Spezialist für Ausländerrecht und innere Sicherheit. Maaßen war vom Beginn der Berliner Republik an mit dabei, er erlebte mit, wie die Macht von Merkel wuchs, wie sie die Partei und dann die Regierung übernahm, er wurde 2012 unter ihrer Kanzlerschaft zum Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz ernannt.

Union minus Merkel

Das Gründungsprogramm und die diesbezügliche Kommunikation von Maaßen zielen nun glasklar auf das Bedürfnis vieler älterer Konservativer ab, die unsägliche Ära Merkel ungeschehen zu machen, die merkelsche Verlinksung und wertemäßige Entkernung der Union aus der Geschichte zu löschen, auf dem sozialistischen Irrweg innezuhalten, umzukehren und wieder zur Wegscheide von vor 30 Jahren zurückzukehren, als Kohl den Fehler gemacht hat, Merkels Karriere zu starten.

Wenn dieses Ansinnen auch unrealistisch ist, weil Geschichte zwar rückwärts verstanden, aber immer nur vorwärts gelebt werden kann, trifft es doch ganz sicher das emotionale Bedürfnis viele echter Konservativer.

Und genau das ist die Strategie der Partei: Sie möchte erklärtermaßen die „echte“ Union sein, also vor allem der CDU deren Wähler streitig machen.

Die Leitidee, die das Programm formuliert, lautet: „Ein freies Individuum in einer freiheitlichen Gesellschaft“ – und erklärt in den ersten Absätzen präzise, was damit gemeint ist: ein Staat, der sich auf seine Kernaufgaben innere und äußere Sicherheit beschränkt und sich ansonsten aus dem Leben der Bürger heraushält.

Also im Kern ein minarchistischer Staat – und das klingt ja schon eigentlich libertär. Nicht anarchokapitalistisch natürlich, aber sicherlich ein ganz anderes und um Längen freiheitlicheres Verständnis des Verhältnisses von Bürger und Staat als bei der CDU oder der FDP von heute.

Als Freiheitlicher lautet darum meine Frage natürlich: Wie libertär ist die Werteunion wirklich? Ist sie so freiheitlich, dass sie zur Gesundung des Patienten beitragen kann oder ist sie nur ein Schmerzmittel, das lediglich Symptome bekämpft, aber nicht die Krankheitserreger, wodurch die so heilsame Katharsis nur hinausgezögert wird?

Rückschnitt statt Rodung

Durch diese Brille habe ich mir die 15 aufgelisteten Themenschwerpunkte von „Verfassung“ bis „Bundeswehr“ angeschaut, dabei wohl wissend, dass es sich nur um ein Gründungsprogramm handelt. Das heißt, es ist noch kein Grundsatzprogramm und erst recht kein Wahlprogramm – aber es bildet die Grundlage für beides.

Die eigentliche inhaltliche Arbeit kann ja nun erst beginnen. Das merkt man auch daran, dass noch vieles fehlt, wie beispielsweise das dringend notwendige Verbot der Finanzierung von NGOs und Parteistiftungen. Aber von einem Gründungsprogramm kann ich durchaus erwarten zu erfahren, was die Partei grundsätzlich will und was sie nicht will. Und das leistet das Papier ja durchaus.

Was ich da gelesen habe, ist irgendwie merkwürdig. Einerseits ist das alles sehr vernünftig, andererseits irgendwie enttäuschend. Woher rührt dieser zwiespältige Eindruck?

Ich meine, dass er daher kommt, dass das Programm sehr sorgfältig darauf ausgerichtet ist, die Wähler der CDU zu erreichen, und es deswegen auf den Grundsatz zurückgreift, mit dem die CDU das höchste Wahlergebnis aller Parteien in allen Bundestagswahlen überhaupt erzielt hat – nämlich 1957 mit dem Slogan: Keine Experimente!

Das drückt sich darin aus, dass die Werteunion zwar im Sinne der individuellen Freiheit ein Zurückstutzen des Staats in allen gesellschaftlichen Systemen anstrebt, aber gleichzeitig ausdrücklich alle bestehenden gesellschaftlichen Systeme beibehalten und bewahren möchte, wenn auch reduziert beziehungsweise reformiert.

Wäre die Partei ein Gärtner, dann würde er alle Wurzeln aller Pflanzen unangetastet lassen, er würde nicht jäten, nicht roden und nicht umgraben, er würde keine unerwünschten Pflanzen herausreißen und durch andere Pflanzen ersetzen, er würde nichts grundlegend umgestalten. Sondern er würde einfach mit der Heckenschere, der Astschere und der Gartenschere alle Pflanzen zurückstutzen. Er würde wieder mehr Luft und mehr Sonne in den Garten lassen, aber der Garten wäre noch exakt derselbe. Mehr Freiheit ja, aber eben keine Experimente!

Den Ball flach halten

Was Sie in dem Programm lesen können, ist darum zum Beispiel eine Begrenzung der Amtszeit von Bundeskanzler und Ministerpräsidenten, aber keine Wurzelbehandlung wie zum Beispiel die Einführung von Politikerhaftung. Sie finden die Forderung nach einem „Rückbau des Parteienstaates“ durch Einführung der ohnehin in der Verfassung vorgesehenen, aber nie angewendeten „plebiszitären Elemente wie der Volksabstimmung“, aber keine Veränderung des politischen Systems, des Wahlsystems, der Parteilistenmandate oder des Zwangs zum demokratischen inneren Aufbau der Parteien, der eine wesentliche Ursache des Berufspolitikertums ist. Sie finden die Forderung nach einer „Einschränkung“ des Einflusses von Politikern auf die Richterwahl, um die Justiz unabhängiger zu machen, aber eben keine grundsätzliche Trennung der Parteien von der Judikative.

Das hat etwas von „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“

Besonders deutlich wird dieses vorsichtige Austarieren am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der eine der dicksten Wurzeln allen heutigen Übels ist, weil er von der politischen Linken per Marsch durch die Institutionen komplett gekapert worden ist, weil er darum jegliche Neutralität und Ausgewogenheit über Bord geworfen hat, weil er aktiv parteiisch in Meinungsbildung und Wahlkämpfe eingreift, weil er täglich die Bevölkerung nicht informiert, sondern indoktriniert, weil er geradezu freiheitsfeindlich mit vom Staat per Gewaltandrohung eingetriebenen Zwangsgebühren finanziert wird, weil er durch seine planwirtschaftliche Überfinanzierung eine Bastion der Korruption und der Selbstbedienung ist, weil er den freien Medienmarkt einschränkt und ein Quasimonopol bei Nachrichtensendungen und politischen Talkshows hält, weil er mit extremistischen politischen NGOs kooperiert … und vieles mehr. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich in der Geschichte der Bundesrepublik eindeutig nicht bewährt, er ist ein wucherndes Unkraut, das dringend so schnell wie möglich aus dem Garten entfernt werden muss, weil er täglich immensen Schaden anrichtet.

Die Position der Werteunion dazu ist: „Er (der öffentlich-rechtliche Rundfunk) muss jedenfalls in der bestehenden Form abgeschafft und im Rahmen der Grundversorgung mit deutlich niedrigeren Gebühren neu aufgesetzt werden.“ Das heißt, die Werteunion möchte dieses misslungene und im 21. Jahrhundert komplett aus der Zeit gefallene Experiment nicht beenden, sondern neu beginnen. Inklusive Zwangsgebühr.

Das ist natürlich gerade nicht freiheitlich, das ist auch nicht fortschrittlich, das ist sogar rückwärtsgewandt. Aber genau darum geht es eben: keine Experimente!

Das Wählerpublikum der Werteunion ist schließlich mit dem Fernseher aufgewachsen und die gute alte Zeit beinhaltet eben auch „Dalli Dalli“, „Tatort“, „Am laufenden Band“, die Übertragung der Fußballweltmeisterschaft und Karl-Heinz Köpcke um 20 Uhr. „Neu aufgesetzt werden“ ist ein „Noch mal von vorne“ und weckt beim Wähler die Hoffnung auf ein Zurück in die Zeit, als noch alles gut war.

Und dieser Fokus mag ja durchaus eine kluge Strategie sein, um erst mal überhaupt Prozentpunkte bei den ersten Landtagswahlen zu sammeln.

Das Nichtbewährte bewahren?

Der nostalgische rote Faden des Festhaltens und Bewahrens von allen bestehenden Systemen zieht sich durch das ganze Programm. Festgehalten werden soll eben auch an der Parteiendemokratie, am Netzwerkdurchsetzungsgesetz und am Digital Services Act, am staatlichen Schulsystem, am Verfassungsschutz, an der Umverteilung und am Sozialstaat, am Euro und an der EZB, sogar die Einführung eines digitalen Euros wird lediglich skeptisch gesehen, nicht aber abgelehnt. Bewahrt werden soll die progressive Einkommensteuer, die Staatsverschuldung, der Länderfinanzausgleich, die EU, das staatliche Schulsystem, die Uno, die Entwicklungshilfe, die Nato und die Wehrpflicht.

Letzterer Punkt, die Beendigung der Aussetzung der Wehrpflicht, ist ein besonders krasser Widerspruch zur Präambel über die Freiheitlichkeit, denn ein staatlicher Zwangsdienst ist Kollektivismus pur. Dass die Werteunion hier vom libertären Prinzip der Freiwilligkeit, also der selbstauferlegten Verpflichtung abweicht und stattdessen einen staatlichen Anspruch auf die Lebenszeit des Individuums erhebt, ist nicht nur keine freiheitliche Position, sondern gegenüber heute ein Rückschritt bei der individuellen Freiheit.

Einen Kriegsdienstzwang in einer Zeit zu fordern, in der es der Staat geschafft hat, das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung zu verspielen und darum keine Loyalität gegenüber staatlichen Akteuren zu erwarten ist, die in den letzten zwei Jahrzehnten das Individuum, seine Arbeitskraft und seine Lebenszeit zunehmend ausgebeutet haben, zeigt ganz klar, auf wen das Programm ausgerichtet ist: auf die CDU minus Merkel. Aber eben nicht auf die seit Corona deutlich zahlreicher werdenden Freiheitlichen.

Libertäre sind ja ohnehin bereits schwerst wahlurnenscheu. Wenn eine Partei nicht gerade die Abschaffung der Parteienherrschaft im Programm hat oder eine taktische Option bietet, um zum Beispiel Sozialisten von der Herrschaft zu vertreiben, sind sie nicht so leicht bereit, das Wahlspiel mitzuspielen.

Aber eine Partei, die auch noch die Wehrpflicht propagiert, hat Libertarismus entweder nicht verstanden oder verzichtet absichtlich auf diese Gruppe. Kein Libertärer würde je eine Partei wählen, die ihn zum Frondienst wie im Mittelalter zwingen möchte. Sollte Maaßen noch immer Libertäre im Blick haben, wie er selbst sagt, ist dieser Programmpunkt ein kapitaler Fehler.

Nüchtern betrachtet

Der Kompass der Werteunion weist insgesamt eindeutig Richtung mehr Freiheit für den Bürger und weniger Staat. Fast alles, was im Programm steht, ist vernünftig und bodenständig und somit sicherlich anschlussfähig für Konservative. Aber die Frage ist berechtigt, wie die Werteunion verhindern will, dass der Staat nach einem Rückschnitt nicht wieder von Neuem und womöglich noch stärker als zuvor beginnen wird, zu wuchern.

Die Erfahrungen der letzten Jahre, insbesondere die Erfahrungen aus der Migrationskrise, der Corona-Maßnahmenkrise und der Klimahysterie zu reflektieren, bedeutet eben auch zu realisieren, dass die grundlegenden Strukturen der Bundesrepublik Webfehler aufweisen, die genau die gesellschaftlichen Auswüchse produziert haben, die wir heute als etatistisch, paternalistisch, sozialistisch, kollektivistisch und totalitär diagnostizieren und die der Wirtschaft und der Gesellschaft derzeit das Leben so schwer machen.

Um nicht nur weiter ums Überleben zu kämpfen, sondern um eine neue, konkrete, greifbare und einende Zukunftsvision anzubieten und die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft zu reaktivieren, muss dieser Staat mehr als nur in kleinen Schrittchen hier und da ein Reformpflaster bekommen – er braucht eine tiefergehende systemische Behandlung. Dazu gehört aber eben auch das Ausmisten von allem, was sich nicht bewährt hat.

Deutschland ist ein Augiasstall. Es braucht dringend mehr „¡Afuera!“ Wem das zu radikal ist, der unterschätzt noch immer die Radikalität und den Zerstörungswillen der Neosozialisten.

Dennoch: Die Werteunion bietet eindeutig eine kluge, passgenaue Perspektive für echte Konservative. Das alleine ist eine große Leistung, die honoriert werden wird. Im Rahmen der Häutung des Parteienspektrums hat sie die Chance, ihren Platz zu finden, dort neue Konstellationen zu eröffnen und so Regierungspartei zu werden – jedenfalls dann, wenn sie zur glaubwürdigen Idee auch noch die glaubwürdigen Köpfe anbieten kann. Das Zurückstutzen einiger neosozialistischer Auswüchse in einer Regierungsbeteiligung kann den Bürgerlichen durchaus die Zeit verschaffen, um sich neu zu organisieren und dann auch nach vorne zu schauen.

Eine Zukunftsperspektive oder einen Neuanfang für Deutschland kann die Werteunion programmatisch bislang noch nicht anbieten.

Aber eins nach dem anderen …


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.