Freiheit der Popkultur: Ballon
Eine packend erzählte Geschichte, in der uns der unbeugsame Wille zur Freiheit fliegen lässt.
von Sascha Blöcker
Kaum einer hat ihn gesehen, kaum einer weiß, wer ihn gemacht hat, und kaum ein deutscher Film kann ihm das Wasser reichen. Heute möchte ich über das vielleicht beste deutsche Drama schreiben, welches auf einer wahren Geschichte basiert und das mich zu folgender Frage bewegt: Warum ist die Aufarbeitung der DDR gerade in der Popkultur so vernachlässigt?
Handlung
Wir begleiten eine Familie dabei, einen riskanten und extrem interessanten Fluchtversuch zu unternehmen, und ja, er scheitert. Was interessante Konflikte aufwirft, denn einerseits ist die Freiheit so anziehend und aussichtsreich, dass der Familienvater auch für seine Söhne nicht darauf verzichten möchte, auf der anderen Seite steht die Mutter mit berechtigten Bedenken. Allerdings wird ihnen nach dem ersten Fluchtversuch die Entscheidung abgenommen. Es wird immer deutlicher, dass die Stasi ihnen auf der Spur ist, und so versucht die Familie, Kontakt mit der amerikanischen Botschaft aufzunehmen. Dieser Versuch scheitert und man weiß; die Stasi wird früher oder später vor der Tür stehen. Man entscheidet sich für einen zweiten Ballon, nur muss er größer sein, und dann ist da auch noch das Problem mit dem gefrierenden Gas. Der oft beschworene Zusammenhalt, der ja angeblich in der DDR so groß gewesen sein soll, erweist sich als Problem, da der Ankauf von größeren Mengen Stoff sofort gemeldet wird. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Stasi, der zu einer unglaublichen Zerreißprobe wird.
Erzählstruktur
Wow, wow und nochmals wow. Deutsche können Film, und dass ausgerechnet Michael Herbig derjenige sein würde, der eine so interessante Geschichte erzählt und das ganz ohne dummen deutschen Klamauk, hätte ich nicht gedacht. Also die gesamte Erzählstruktur funktioniert und ehrlich gesagt, fühlt sich der Film an wie ein Gummiband, das auseinandergezogen wird, und wir als Zuschauer rechnen eigentlich damit, dass es jede Sekunde zerreißt. Ähnlich wie wir bei Titanic wissen, dass das Schiff sinken wird, wissen wir auch hier, dass die Flucht gelingen wird, aber das tut dem Spannungsbogen keinen Abbruch.
Schauspiel
Friedrich Mücke trägt diesen Film und das macht er ausgezeichnet. Er ist in jeder einzelnen Sekunde absolut glaubwürdig und wir fiebern mit ihm mit. Karoline Schuch macht einen unglaublichen Job und verkörpert eine richtige Frau und Mutter. Sie ist nie hysterisch drüber, sodass mir nicht der Wunsch aufkommt, sie zurückzulassen, aber sie ist auch gleichermaßen weit vom Disney-Girlboss entfernt. Macht sie Fehler? Ja, sind diese Fehler dumm oder nur dazu geeignet, den Plot voranzubringen? Nein. Sie ist ein absolut glaubwürdiger Mensch. Der gesamte Cast funktioniert hervorragend.
Besonders hervorheben möchte ich aber noch Thomas Kretschmann, der dem Film einen gewissen Hollywood-Charme mitgibt. Er funktioniert ausgezeichnet als Antagonistin und wirkt permanent sehr bedrohlich. Er ist eine Gefahr, die auf unsere Helden lauert und die bis zum Schluss gefasst und beherrscht wirkt. Wir mögen ihn nicht, aber wir können uns seiner Figur auch nicht wirklich entziehen.
Wie sieht der Film aus?
Kulissen und Kostüme sind hervorragend und tatsächlich sieht auch alles andere gut aus. Die Ballonflüge wirken authentisch, sodass ich stand jetzt davon ausgehe, dass sie an den meisten Stellen wirklich geflogen sind. Alles an diesem Film wirkt sehr dynamisch und tatsächlich schafft der Film auch einige Kameraeinstellungen, bei denen ich Michael Herbig anerkennend zunicken musste.
Was ich aus dem Film mitgenommen habe
Das ist eine sehr spannende Frage, denn die Geschichte war mir auch vor dem ersten Anschauen durchaus bekannt. Dennoch stellt der Film oft die richtigen Fragen – besonders für all jene, die nicht wissen, wie der Sozialismus agiert. So stellt Kretschmann einmal die Frage: Warum lassen wir die Feinde des Sozialismus nicht einfach gehen? Es wäre doch gut, wenn diese weg wären. Natürlich stellt er diese Frage mehr als Prüfung, als dass er wirklich Skrupel hätte, auf Kinder zu schießen, die Reißaus nehmen wollen. Der Zuschauer allerdings wird sich zwangsweise die gleiche Frage stellen und kann eigentlich nicht zum selben Ergebnis kommen wie Kretschmann. Ich hatte ja bereits die im Film erzeugte Spannung lobend erwähnt, aber lassen Sie mich diesen herausragenden Aspekt des Films noch mal etwas genauer beschreiben: Es gibt viele Filme, bei denen der Protagonist einer andauernden Gefahr ausgesetzt ist und sich ständig beobachtet fühlen muss. Manchmal gelingt es richtig gut, wie in „Der Staatsfeind Nummer 1“, und oft scheitert dieser Versuch kläglich. Ballon macht es mindestens so gut wie der eben genannte Film und ist dabei noch ein ganzes Stück perfider zu uns. Denn er gibt uns keine Erholungspausen, so wie wir sie beim Staatsfeind immer verspüren, wenn Gene Hackman bei Will Smith ist. Ich weiß nicht, wer von euch in seiner Jugend gekifft hat, aber für all jene, die es taten: Im ganzen Film hat man das Gefühl, das man damals hatte, wenn man unter Einfluss von Marihuana irgendwie unter Leute kommen musste, die eben nicht der vertraute Freundeskreis war. Man fühlt sich beobachtet.
Fazit
Ich habe nach wie vor enorme Vorurteile gegen den deutschen Film, aber auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Ballon ist eben dieses Korn. Er macht Spaß und wirkt erdrückend, er ist nie albern oder dumm, er ist nie belehrend oder verharmlosend und er ist die Verfilmung des Triumphs des Freiheitswillens über staatliche Verfolgung. Eine absolute Empfehlung meinerseits.
Nun habe ich ja eingangs eine Frage in den Raum geworfen: Warum ist die Aufarbeitung der DDR gerade in der Popkultur so vernachlässigt? Natürlich kann ich nur mutmaßen. Einerseits sind zu viele der heutigen Politiker in die DDR verstrickt, und diese dürften ziemlich froh sein, wenn das Thema nicht in die Köpfe der Menschen gerät. Merkel wird dies ja nachgesagt und bei Wagenknecht wissen wir es. Ich könnte hier übrigens eine ellenlange Liste anfertigen. Andererseits haben wir natürlich auch eine deutsche Filmförderung, die solche Projekte wohl in den wenigsten Fällen absegnet, da sie sehr wahrscheinlich selbst dem Sozialismus zugeneigt ist.
Lassen Sie mir noch einige wenige Sätze, da ein Artikel über einen in der DDR spielenden Film nicht ohne einen Vergleich zwischen damals und heute auskommen kann. Am Ende des Films sehen wir die historischen Bilder von denen, die flohen, und dem Ballon, welcher wirklich sehr beeindruckend ist. Ich würde mich gerne mal mit den Leuten dieser zwei Familien unterhalten und das ganz ohne Kamera. Ich würde gerne wissen, was sie von den vielen Anzeigen und den „Trusted Flaggern“ halten. Gerne wüsste ich, wie diese Leute den Verfassungsschutz beurteilen und ob sie noch in Deutschland leben.
Ich bedanke mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, und lassen Sie sich beim Lesen der Freiheitsfunken nicht erwischen, denn es gibt Meldestellen.
Kommentare
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