Leben-und-Tod-Grenzfälle: Lasst den Markt das Sterbehilfeproblem lösen!
Zöge sich der Staat zurück, würden Versicherungen eingreifen
von Robert Grözinger
Nun ist es auch in England fast soweit: Sterben auf Bestellung. Staatlich sanktionierte – und demnächst: vorgeschriebene? – Sterbehilfe. Das britische Parlament hat am vergangenen Freitag für einen Gesetzesentwurf gestimmt, der bei manchen die Hoffnung aufkommen lässt, dass Sterbehilfe in England und Wales in wenigen Jahren legal möglich sein wird.
Die Abstimmung im Unterhaus, für die es keinen Fraktionszwang gab, endete mit 330 zu 275 Stimmen. Ein Großteil der Zustimmung kam aus der megagroßen Labour-Fraktion, in der viele Neulinge sitzen. Die Abstimmung fand nach der zweiten Lesung statt. Nun geht der Gesetzesentwurf in die Ausschüsse und dann ins Oberhaus. Es können sich noch einige wesentliche Details ändern. Das Gesetz kann auch noch scheitern. Doch das ist unwahrscheinlich. Wer Politik länger verfolgt, kennt die Zeichen: Es ist eine Dynamik in Gang gesetzt worden, die kaum noch zu stoppen sein wird.
Es ist schmerzhaft, die Berichte von Angehörigen und Freunden schwerstkranker oder nach langer, qualvoller Krankheit bereits verstorbener Menschen zu hören. Angehörige und Freunde, die jetzt verständlicherweise für Sterbehilfe plädieren. Auch wenn diesen Erfahrungen mit Respekt begegnet werden muss: Der emotionale Druck, der von ihnen ausgeht, ist kein stichhaltiges Argument für die Aufgabe von Prinzipien, bei denen es nicht nur sprichwörtlich um Leben und Tod geht.
Gegner der Sterbehilfe verweisen auf bereits bestehende Zustände in anderen Ländern, wo eine anfangs sehr restriktive Praxis immer mehr gelockert wurde. So kommentierte die „Daily Mail“ kurz vor der Abstimmung: „In den Niederlanden wurde 2002 die Sterbehilfe für Patienten eingeführt, deren Leiden von den Ärzten als ‚unerträglich und ohne Aussicht auf Besserung‘ eingestuft wurde. In den ersten fünf Jahren gab es im Durchschnitt etwa 1.900 Fälle pro Jahr. Bis 2023, nachdem die Definition von ‚unerträglich‘ immer weiter gelockert worden war, stieg die Zahl auf 9.068 – mehr als fünf Prozent aller Todesfälle.“
Die Zeitung fährt fort: „Die Palette reichte von jungen Menschen, die unter Depressionen und Autismus litten, bis hin zu älteren Menschen, die das Gefühl hatten, dass sie ihrer Familie zur Last gefallen waren. Im November vergangenen Jahres wurde in den Niederlanden ein neuer Gesetzesentwurf erarbeitet, der über 75-Jährigen die Möglichkeit der medizinischen Sterbehilfe einräumt, wenn sie das Gefühl haben, dass sie mit dem Leben abgeschlossen haben.“
In Kanada ist die Entwicklung ähnlich, wie ein Video der Plattform „spiked-online.com“ zeigt (siehe Link unten).
Persönlich habe ich größte Vorbehalte gegen Sterbehilfe, unter anderem weil man sich damit, wie eben in den Zitaten belegt, auf eine schiefe Ebene begibt, die offenbar in eine Sterbepflicht mündet. Gleichzeitig erkenne ich aber auch, dass es Grenzfälle gibt, wo beim gegenwärtigen Stand medizinischer und technischer Möglichkeiten jeder andere Weg unmenschlich und unnötig qualvoll erscheint. Palliativpflege hilft nicht in jedem Fall – und ist darüber hinaus derzeit für viele unerschwinglich.
Diese Grenzfallsituation erinnert nicht zufällig an die Abtreibungsdebatte, wo es am „anderen Ende der Existenz“ ebenfalls um Leben und Tod geht. Das Grundproblem ist auch hier der Staat. Genauer gesagt, die „Anmaßung des Wissens“ des Staates, die seine Bürger ihm gewähren. Die folgende Analogie passt sicher nicht zu einhundert Prozent, aber diese Versuche, Grenzfälle, die es bei Abtreibung und Sterbehilfe durchaus gibt, mit Hilfe eines allgemeingültigen Gesetzes zu regeln, erinnern mich an die Physik, die mit ihren Erklärungsmodellen an den Grenzfällen des Urknalls und der Schwarzen Löcher scheitert.
In nicht wenigen Ländern versucht der Staat, Leben-und-Tod-Grenzfälle mit allgemeingültigen Gesetzen zu regeln. Dabei verstrickt er sich zwangsläufig in Widersprüchlickeiten, die er mit Lockerungen der Definitionen und Absicherungen aufzulösen versucht. Da dann „praktischerweise“ ansonsten anfallende staatliche Pflege- und Betreuungskosten wegfallen, ist die Versuchung groß, genau so zu verfahren. Und schon sind diverse deklarierte und undeklarierte Schuldenberge ein wenig kleiner.
Wie wäre es also, wenn Sterbehilfe fallweise in Gerichten geregelt würde? In den meisten Fällen, so jedenfalls meine Kenntnis, werden auch heute schon angeklagte „Sterbehelfer“ freigesprochen, wenn sie nachweisen können, dass der Patient stark litt, es keine Besserungsaussichten gab, er mündig war und bei vollem Bewusstsein ein solches Ableben erbat. Das Problem: Beim gegenwärtigen Zustand der Gerichtsbarkeit ist es verständlich, dass kaum jemand sich einem solchen Verfahren zu unterziehen bereit ist. Mit anderen Worten: Ein staatlich verursachtes Problem – Überlastung der Gerichtsbarkeit aufgrund von Fehlverteilung von Ressourcen und unsinniger, überflüssiger Gesetze und Regelungen – soll mit einer weiteren staatlichen Regelung „gelöst“ werden. Inzwischen geht es dabei wortwörtlich um Leben und Tod – ein weiteres Zeichen unter vielen, dass das westliche Staatsmodell selbst schwer krank ist und am Rand des Zusammenbruchs steht.
Überlässt man dagegen eine Problemlösung dem Markt, mag das Verschwinden des unmittelbaren Problems manchmal etwas länger dauern – dafür verschwindet es aber um so gründlicher und taucht nicht wieder anderswo und in anderer Gestalt auf, denn im Markt haben die Handelnden „skin in the game“, wie man im Englischen sagt: Sie haben was zu verlieren. Wer dagegen als „im Namen des Staates“ Handelnder Probleme erzeugt, wird oft sogar noch befördert, solange man ihm keinen Gesetzesbruch nachweisen kann. Oder er landet schlimmstenfalls auf einem gut dotierten Posten in einer Lobbygruppe.
Wie könnte der Markt das Problem eines langsamen, qualvollen Sterbens lösen? Zunächst: Vermutlich nie gänzlich. Aber deswegen den Staat auf Turbototalitarismus zu schalten ist zumindest unüberlegt.
Die folgenden Gedanken setzen voraus, dass der Staat dieses Problem nicht nur dem Markt überlässt, sondern ihn mit entsprechenden Steuersenkungen – man braucht diese Mittel ja nicht mehr – auf die Beine hilft. Sie setzen ferner voraus, dass man sich weiterhin an das in vielen Zivilisationen lange geltende Mordverbot zu halten gedenkt. Dann gäbe es mehr Forschung und Entwicklung im Bereich palliativer Mittel. Es gäbe überhaupt mehr palliative Ressourcen einschließlich des Personals. Es gäbe für die Grenzfälle Versicherungen, die Rechtschutz gewähren, wenn man nachweislich aus berechtigtem Mitgefühl einen wohlüberlegten Gnadentod herbeiführt. Die Versicherung würde vertraglich festsetzen, vorher informiert zu werden, um sicher zu stellen, dass alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind.
Der Stichpunkt Versicherung erinnert an die Ausführungen Hans-Hermann Hoppes in seinem Buch „Demokratie – Der Gott, der keiner ist“. Dort legt der Ökonomieprofessor dar, wie miteinander auf dem Markt konkurrierende Versicherungen in sehr vielen Fällen Aufgaben übernehmen können, für die die meisten Menschen heute ausschließlich den Staat für geeignet betrachten. Während der Staat aber als Zwangsmonopolist kein Interesse daran hat, die ihm übertragenen – oder von ihm angemaßten – Aufgaben effizient zu lösen, haben profitorientierte Privatunternehmen sehr wohl ein Interesse daran. Sie werden außerdem schnell wirkende „Scheinlösungen“ wie die jetzt in England angestrebte Sterbehilferegelung zu vermeiden verstehen. Hoppe behandelt den Fall Sterbehilfe im Zusammenhang mit Versicherungen nicht, man kann seine Gedanken aber analog anpassen.
Überträgt man den Hoppeschen Versicherungsgedanken auf die Sterbehilfe, würde man feststellen, dass Versicherungen ein verschärftes Interesse daran hätten, Rechtsbeistandsfälle zu vermeiden, für die sie bezahlen müssen. Somit hätten sie im Sterbehilfebreich ein Interesse daran, in mehreren Richtungen Forschung und Entwicklung zu fördern. Erstens in die Palliativmedizin. Zweitens in die Behandlungsmedizin. Drittens in die Ursachen von Krankheiten, die regelmäßig in ein qualvoll langsames Sterben münden – etwa Lebensstil, Ernährung und, nicht zuletzt, andere Medikamente, einschließlich Impfmittel. Die Versicherungen würden ihren Kunden Anreize geben, gesünder zu leben und nachweislich schädliche Stoffe in Lebensmitteln und Medikamenten zu vermeiden. Und der pharmazeutischen und Ernährungsindustrie auf die Finger schauen – und notfalls verklagen –, wenn ihre Produkte zu solchen Krankheiten zu führen drohen.
Das Wunderbare an diesem Versicherungsmarkt wäre, dass es Konkurrenz gäbe. Wer die besseren Ratschläge erteilt, wird weniger Auszahlungen erleiden und somit höhere Gewinne einfahren. Voraussetzung für das Funktionieren eines solchen Marktes wäre natürlich, dass sich der Staat aus ihm heraushält; ihn also nicht etwa mit Regulierungen stranguliert, die den Betrieb unnötig verteuern und somit die Entstehung eines Oligopols mit wenigen, mächtigen und korrupten Unternehmen fördert. So etwa von der Art, die wir weltweit ausgerchnet im Lebensmittel- und Medikamentenmarkt bereits haben.
Woher soll der Wille zu einem solch radikalen, lebensbejahenden Wandel kommen? Dieser kann – und, so bin ich überzeugt, wird – entstehen, wenn wir das grundlegende Problem unserer Zeit lösen, nämlich das des Glaubens an den Staat als Erlöser. Leider zeigt die Erfahrung, dass Menschen erst dann bereit sind, darüber nachzudenken, wenn der Staat mal wieder eine Riesenkatastrophe ausgelöst hat.
Quellen:
„Daily Mail“-Kommentar zur Sterbehilfedebatte im Unterhaus (englisch)
Spiked-online.com-Video zur Entwicklung und aktuellen Lage der Sterbehilfe in Kanada (Youtube, englisch)
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