13. April 2025 06:00

Bruttoinlandsprodukt Wirtschaftswachstum – aber welches?

Über eine Täuschung

von Antony P. Mueller

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Bildquelle: M-SUR / Shutterstock Aufrüstung erhöht das BIP: Doch am Ende steht der Tod

Das Wirtschaftswachstum wird heute am sogenannten „Bruttoinlandsprodukt“ (BIP) festgemacht. Dieses gilt als wichtigste Kennziffer zur Messung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes. Es ist das zentrale Instrument der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und Grundlage zahlreicher wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Doch was wird hier eigentlich gemessen? Wie valide ist dieses Maß? Und was sagt es wirklich über Wohlstand, Effizienz oder die ökonomische Vitalität einer Gesellschaft aus? Hinter der scheinbaren Exaktheit der Wachstumsziffer verbirgt sich ein höchst problematisches statistisches Konstrukt, das kaum Aussagekraft über das tatsächliche Wirtschaftsgeschehen hat und als politisches Steuerungsinstrument mehr Schaden als Nutzen verursacht. Rüstungsausgaben ebenso wie Prunkbauten für die Herrschenden erhöhen das BIP, aber das Volk wird ärmer.

Der Ursprung der Wachstumsberechnungen der Wirtschaft liegt in Krieg und staatlicher Planwirtschaft. Das Konzept des Bruttoinlandsprodukts zur Feststellung der wirtschaftlichen Aktivität im Zeitverlauf hat seine Ursprünge in der administrativen Steuerung von Kriegsproduktion. Die Notwendigkeit zentraler Ressourcenallokation während der Weltkriege sowie der darauffolgende Aufstieg des Wohlfahrtsstaates ließen eine neue Form der ökonomischen Statistik entstehen. Das BIP wurde zum Steuerungsinstrument zentraler Planung. Passend für die Kriegswirtschaft ist diese Art der „Messung“ demnach eher für eine Kommandowirtschaft, in der zentrale Stellen die Produktionsziele bestimmen. In einer Marktwirtschaft mit individuellen Zielsetzungen, heterogenen Bedürfnissen und dezentralen Entscheidungsprozessen verliert diese Art der Aggregation ihren Sinn.

Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung unterstellt eine Identität von Ausgaben, Einkommen und Produktion. Was hier aber tatsächlich addiert wird, sind Geldströme, nicht reale Leistungen. Die Preise, auf denen diese Berechnungen beruhen, sind keine Maßeinheiten, sondern historische Austauschverhältnisse. Die Aggregation monetärer Größen suggeriert eine Objektivität, die faktisch nicht existiert. Es gibt keinen „Warenkorb“, der objektiv repräsentativ für Produktion und Verbrauch ist. Technologische Veränderungen, qualitative Entwicklungen, Obsoleszenz und Innovationszyklen verhindern jegliche stabile Vergleichsbasis.

Das BIP ist ein Ausgabenindikator, kein Produktionsmaß.Was als Bruttoinlandsprodukt veröffentlicht wird, misst nicht die reale Produktion, sondern die Gesamtausgaben einer Volkswirtschaft. Die Berechnung des realen BIP basiert auf dem nominalen Wert dieser Ausgaben, deflationiert mit einem Preisindex. Dieses Verfahren ist doppelt verzerrt: Es beruht auf der Gleichsetzung von Ausgaben und Produktion und verwendet statistische Konstrukte, deren Objektivität zweifelhaft ist. In einer primitiven Volkswirtschaft mit einfachen homogenen Gütern kann man reale Produktionsveränderungen noch approximativ messen. Doch in einer hochentwickelten differenzierten Wirtschaft mit komplexen Dienstleistungen und heterogenen Gütern verliert der Aggregationsansatz zunehmend seine Aussagekraft.

Die Vorstellung, durch gezielte fiskalische oder geldpolitische Eingriffe ein „stabiles Wirtschaftswachstum“ erzeugen zu können, ist ein Irrglaube, der aus der Makroökonomie der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammt. Demnach wird die Produktion von der Nachfrage bestimmt und diese wird, wenn man die Außenwirtschaft beiseitelässt, von der Nachfrage nach Konsum-, Investitions- und Staatsgütern bestimmt. Wenn es an privater Nachfrage fehlt, muss der Staat einspringen, so die Botschaft. Dabei zeigt sich jedoch, dass der Versuch, Wachstum durch Staatsausgaben herbeizuführen, ökonomische Fehlanreize schafft, Ressourcen fehlallokiert und schließlich zu Wirtschaftskrisen führt. Der größte Teil der öffentlichen Ausgaben ist unproduktiver Staatskonsum. Er macht die Menschen nicht reicher, sondern ärmer, wie es ganz deutlich erkennbar bei Rüstungsausgaben der Fall ist.

Dass der Wohlfahrtsstaat mehr soziale Gerechtigkeit bringe, ist genauso eine Täuschung, wie die Behauptung, die Aufrüstung erhöhe die Sicherheit.

Die Annahme, dass man Produktion über einen Gesamtwert erfassen kann, basiert auf einer kollektivistischen Denkweise. Wirtschaftliches Handeln ist jedoch individuell und der Wert subjektiv. Der „Wert“ eines Gutes ist kein objektives Merkmal, sondern ergibt sich aus der Bewertung des jeweiligen Akteurs. Als solche sind diese Bewertungen nicht aggregierbar. Sie sind nicht zu einem Gesamtwert zusammenführbar.

Wenn neue Produkte entstehen und alte verschwinden, wenn Qualitäten sich verändern und die Nutzungsformen sich wandeln, dann verliert der Vergleich monetärer Summen von Jahr zu Jahr an Bedeutung. Wirtschaftliches Wachstum, gemessen am realen BIP, ist in einer dynamischen innovativen Wirtschaft nicht exakt messbar.

Die prekäre Symbiose zwischen Staat und Kapitalismus ist dabei, auseinanderzubrechen. Der Wohlfahrtskriegsstaat braucht ständig Geld. Defizite und Schulden sind unvermeidlich, weil der Ausgabendruck immer dazu neigt, die Verfügbarkeit von Ressourcen zu übersteigen. Von den ausdrücklichen Versprechungen des modernen Staatskapitalismus, ein Höchstmaß an Sicherheit und soziale Gerechtigkeit zu bieten, wird keines erreicht.

Eine marktwirtschaftliche Ordnung, die auf individueller Freiheit und Eigentum basiert, braucht keine makroökonomischen Aggregatzahlen, um wirtschaftliche Vitalität zu beurteilen. Entscheidend ist nicht das „Wachstum“ einer imaginären Gesamtproduktion, sondern die Möglichkeit des Einzelnen, seine Präferenzen zu verfolgen, Verträge einzugehen und unter rechtlicher Sicherheit wirtschaftlich tätig zu sein.

Die Orientierung an BIP-Zahlen und Wachstumsraten ersetzt ökonomische Vernunft durch statistische Suggestion. Sie entmündigt den Bürger und unterwirft ihn einer fiskalischen und monetären Steuerung, die sich als „Wirtschaftspolitik“ ausgibt. Was es stattdessen braucht, ist eine Rückkehr zur ökonomischen Individualanalyse und eine Abkehr von der Illusion planbarer kollektiver Wohlfahrt.

Man sollte sich nicht täuschen lassen, falls es demnächst wegen der steigenden Staatsausgaben zu einem Wirtschaftsaufschwung kommen sollte. Die BIP-Zahlen, die dazu verkündet werden, drücken nicht zunehmenden Wohlstand aus. Die Aufrüstungspolitik der 1930er Jahre hat gezeigt, wie zerstörerisch ein sogenanntes „Wirtschaftswachstum“ in Wirklichkeit sein kann. Diese Zahl als solche sagt nichts über Nachhaltigkeit, Effizienz oder Wohlfahrt aus. Aufrüstung steigert das BIP, die Arbeitslosigkeit verschwindet. Aber was hier produziert wird, sind Not und Tod.

Antony P. Mueller: „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ (2021)


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