Personalprüfung zu Ulrike Herrmann: Die Zukunft nach Ulrike
Wieso wir laut einer linken Meinungsmacherin alle ins Jahr 1978 gehören
von David Andres
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Vierzig Quadratmeter. Das ist der Raum, auf dem Sie in Zukunft maximal zu leben haben, wenn es nach Ulrike Herrmann geht. Pro Person immerhin, womit wir bei einem Paar schon mal bei achtzig wären. Ob Hermann Ihnen nun raten würde, viele Kinder zu machen, um den Wohnraumanspruch zu erhöhen, ist angesichts der Klimaschädlichkeit allen menschlichen Lebens fraglich, obschon es sicher genau das wäre, was die Menschen in einer Herrmann-Welt täten, in der zwangsläufig der große Bruder den Wohnraum zuteilen müsste. Doch der Reihe nach …
Druckfrisch, am 8. September, ist das Buch dieser Frau erschienen, die da mit kurzem weißen Haar (doch trotz typischer „Femistische Schuldirektorin“-Frisur erstaunlicherweise mit Rock) an genau jenem Tag bei Markus Lanz saß. Das Werk heißt allen Ernstes „Das Ende des Kapitalismus“. Untertitel: „Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“. Werden. Nicht „sollten“. Werden.
Der Auftritt der „taz“-Journalistin in Deutschlands meistgesehener Talkshow war ein Ereignis, denn er zeigt so radikal ehrlich und offen, wie die Öko-Linke tickt, dass es im Grunde heilsam ist. „Das ist Milton Friedman“, sagt diese Frau zum Beispiel, als Frank Thelen in der Sendung erläutert, wie das ständige Drucken von Geld die Inflation anheizt, „das ist längst widerlegt.“ Auch hier wieder: Das ist. Nicht „das sehen manche Ökonomen anders“, sondern, so wörtlich, „das ist eine veraltete Theorie“.
Investor und Tech-Nerd Frank Thelen nennt in der Sendung zig Beispiele ganz konkreter neuer Erfindungen, die einen ökologischen Umbau der Gesellschaft durch Innovationsgeist und mit dem Markt möglich machen. Mini-Reaktoren, die Atommüll verbrennen. Winddrachen statt Windräder. Kernfusion. Nullenergie-Häuser. Doch Herrmann, die grüne Sozialistin, sagt ganz klar: Geht nicht. Alles nicht. Häuser verbrauchten Fläche, und kein Quadratmeter dürfe mehr versiegelt werden. Keine Neubauten, nirgends. Der Mensch dürfe nicht mehr Auto fahren, nicht mehr fliegen, gar nicht. Nur noch Zug. „Grünes Wachstum“, das sei ein Wunschtraum. Eine Welt, die wirklich grün gestaltet würde, das sei eine Welt der „Schrumpfung“, und hier lässt sich doch festhalten: Welcher Habeck, welcher Özdemir, welcher Trittin oder welcher Kretschmer macht sich sonst dermaßen ehrlich?
Ulrike Herrmann, ruhendes Mitglied der Grünen und Trägerin des Otto Brenner Preises „Spezial“ „für ihren kritischen und pointierten Wirtschaftsjournalismus mit gutem Gespür für Sozialstaatlichkeit“, hat eine Vision. Mehr als das: einen ökologischen Marschbefehl.
Wenn die Gesellschaft so lebe, wie es angesagt sei, dann befinde sich Deutschland wieder „im Zustand des Jahres 1978“, nur ohne Individualverkehr, dafür weiterhin mit den Smartphones und dem Internet. Aber ansonsten wie 78. Und sei das schlecht gewesen?
Der Klappentext zu ihrem Buch, das beim Verfassen dieser Kolumne auf Rang 72 bei Amazon steht und sicherlich dieser Tage in die offizielle Bestsellerliste schießt, sagt: „Die Industrieländer müssen sich also vom Kapitalismus verabschieden und eine Kreislaufwirtschaft anstreben, in der nur noch verbraucht wird, was sich recyceln lässt. Aber wie soll man sich dieses grüne Schrumpfen vorstellen. Das beste Modell ist ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft ab 1940.“
Das Fragezeichen nach „vorstellen“ hat übrigens der Verlag Kiepenheuer & Witsch vergessen, nicht ich beim Abtippen. Die ersten Leser geben bei Amazon entweder fünf Sterne oder einen, feiern das offene Plädoyer für eine Kriegs- und Mangelwirtschaft entweder als Utopie oder als Dystopie. Ich habe einen Verdacht, welche von beiden Gruppen schon jetzt eher auf vierzig Quadratmetern lebt und welche mit Wurzelholzboden in Vorstadtvillen.
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