Fass ohne Boden: Fünf Prozent
Deutschland hat der NATO Versprechen gemacht
von David Andres drucken

… und wird sie allesamt professionell einhalten. Ganz bestimmt.
Auf dem NATO-Gipfel in Den Haag haben sich die Mitglieder des Bündnisses in der vergangenen Woche dazu verpflichtet, spätestens ab 2035 jährlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung und Sicherheit zu investieren. Im Vergleich zu den bisherigen Vorgaben werden diese fünf Prozent allerdings aufgesplittet: 3,5 Prozent sollen tatsächlich für die Ertüchtigung der Truppen sowie frische Waffensysteme ausgegeben werden. Die restlichen 1,5 Prozent dürfen für „erweiterte sicherheitsrelevante Investitionen“ ausgegeben werden – was bei geschickter Definition absolut alles sein kann, von der instandgesetzten Brücke über bessere digitale Abwehr gegen Hacker bis hin zu NGOs, die „Hass und Hetze“ gegen den Staat „bekämpfen“, denn diese kann ja im Zweifel auch sehr wehrzersetzend sein.
Schauen wir also mal auf Deutschland, wie es heute ist, mit dem derzeitigen Personal an der Spitze und den üblichen Abläufen, die sich garantiert nicht über Nacht ändern werden – und auch nicht in dem Jahrzehnt bis 2035. Und tun wir mal so, als fänden wir es im Prinzip alles sinnvoll und richtig, als träumten auch wir von einem starken, selbstbewussten Staat mit schlagkräftiger Armee und höchster Qualität im Handeln bei der öffentlich geregelten, elementaren Infrastruktur.
Was die Bundeswehr benötigen würde, um in den Kriegen der heutigen Zeit nicht binnen kürzester Zeit besiegt zu werden wie der Auckland FC vom FC Bayern München bei der Klub-WM, sind Drohnen. Jede Menge Drohnen. Oder wenigstens – eine schlagkräftige Drohnenabwehr, denn eine gut gebaute Drohne für wenige hundert Euro kann einen mehrere Millionen Euro teuren Panzer heutzutage leicht außer Betrieb nehmen. Erkannt hat die Bundeswehr diese Notwendigkeit durchaus. „In der Kommunikation für die Öffentlichkeit erweckt die Bundeswehr gerne den Eindruck, dass sie Drohnen als Schwerpunkt behandelt“, lesen wir auf der Webseite des Reservistenverbandes. Praktisch aber gebe es „bis heute keinen Beschaffungsfokus auf Drohnen. Im zuletzt 2020 überarbeiteten Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie werden unbemannte Fluggeräte nicht als Schlüsseltechnologie gelistet. Im Sondervermögen gibt es keine Beschaffungsinitiative für sie.“ Der Artikel ist von Ende 2024. Im April diesen Jahres lesen wir bei der „Tagesschau“, dass die Bundeswehr sich nun langsam auf „Angriffsdrohnen“ einlassen will – allerdings gehe es „zunächst um kleinere Stückzahlen von mindestens zwei verschiedenen Herstellen, um Erfahrungen zu sammeln.“ Das erinnert mich an einen Bekannten, der in Theorie die Kampfkunst Wing Tsun beherrscht, in der Praxis aber selbst bei scherzhaften Kämpfen mit Boxern oder rustikalen Fußball-Freunden unterliegt und sich mit den Worten beschwert: „Ich war noch nicht fertig.“
Zu dieser amüsanten Zögerlichkeit, längst hinterher zu hinken und trotzdem erst einmal in aller Ruhe Testläufe zu machen, kommt die Tatsache, dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr als öffentlicher Einrichtung mittels Ausschreibungen funktioniert. Sie kann nicht einfach das Beste von jetzt auf gleich einkaufen und sich liefern lassen. Was Ausschreibungen bedeuten, das wissen alle, die in diesem Land beispielsweise schon in Festanstellung bei öffentlichen Einrichtungen an einem Siemens-Computer gesessen haben.
Noch skurriler wird es, wenn wir uns vor Augen führen, dass die 3,5 Prozent des zukünftigen Bruttoinlandsproduktes (das bei der derzeitigen Entwicklung des Landes ohnehin stetig sinken wird) auch dafür eingesetzt werden müssen, mindestens 60.000 frische Kräfte für das Militär zu gewinnen. Angesichts eines Zeitgeistes, in dem die jungen Menschen abseits der Playstation nicht nur mit militärischer Gewalt fremdeln, sondern sogar mit jeder Form von Hierarchie, Disziplin und körperlicher Ertüchtigung, solange diese nicht in einem modernen Fitnessstudio stattfindet und dazu dient, sich Tinder-tauglich zu machen.
Schauen wir zum Schluss auf die 1,5 Prozent für Infrastruktur. In einem funktionierenden Staat, der sich auf seine „Kernaufgaben“ konzentriert, würde das bereitgestellte Geld in eine konzentrierte und zügige Restaurierung von Straßen, Brücken, Gleisen und Häfen fließen. Tatsächlich aber braucht es nicht einmal einen Blick auf die realsatirischen Abläufe von Großprojekten wie dem Berliner „Flughafen“ oder „Stuttgart 21“ – es reicht schon ein kleiner Kameraschwenk nach Dresden. Ein dieser Tage bei „Tichys Einblick“ erschienener Artikel titelt: „Dresden sperrt ab: Nach der eingestürzten Carolabrücke musste jetzt die Springerhalle dringend geschlossen werden, Springmeisterschaften mussten abgebrochen werden. In die Tiefgarage unter der Prager Straße darf kein Auto mehr einfahren. Einsturzgefahr.“
Man darf allerdings alle Verantwortlichen in Politik und Verwaltung beruhigen: Das Fünf-Prozent-Ziel der NATO ist kein Gesetz, keine einklagbare Verpflichtung. Wer es nicht einhält, steht bloß unter Rechtfertigungszwang und muss im schlimmsten Fall erleben, dass die NATO ihre Schutzfunktion gegenüber dem seine Ziele verfehlenden Land nicht ganz so engagiert vollführt wie gegenüber den Klassenbesten. Ganz abgesehen davon, dass bis ins Jahr 2035 nicht nur noch sehr viel Wasser den Rhein hinunterfließen, sondern sich die Gesellschaft politisch wie technologisch dermaßen radikal verändert haben wird, dass die heutigen Anforderungen, Vereinbarungen und Strukturen allesamt bloß noch ein Teil des Geschichtsunterrichts sind.
Quellen:
Historischer Beschluss zu Verteidigungsausgaben der Allianz (BMVG)
Die drohnenarme Armee (Reservistenverband)
Bundeswehr soll Angriffsdrohnen bekommen (Tagesschau)
Einstürzendes Dresden (Tichys Einblick)
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