Korruption: Aus der Reihe „Europäische Werte“: Korruption
Die EU-Technokratie verfolgt den erstaunlichen Ansatz, Korruption mit Bestechung zu bekämpfen
von Christian Paulwitz drucken
Vergangene Woche machte ich an dieser Stelle einige Vorschläge zur Beseitigung des Fachkräftemangels – alle hatten mit der Beschneidung des politischen Komplexes zu tun. Ich hielt mich knapp und ging nicht auf das grundlegende Missverständnis zum Begriff ein, das die Wahrnehmung der Welt durch normale, geerdete und produktiv tätige Menschen von der abgehobenen Luftschlosswelt der politisch Mächtigen trennt. Erstere denken beim Begriff „Fachkraft“ – wenn nicht ironisch gebraucht – an Menschen, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung produktiv tätige Aufgaben mit qualitativem Niveau bewältigen zum Nutzen anderer, die die Ergebnisse dieser Tätigkeiten nachfragen. Aus der staatlich-politischen Perspektive, der die Welt der freiwilligen Kooperation fremd ist, versteht man unter einer „Fachkraft“ eine Person im Besitz eines Stück Papiers, das einen mit einem amtlichen Stempel bestätigten Ausbildungsstand des Besitzers dokumentiert. Ob diese Person tatsächlich fähig und/oder willens ist, eine nachgefragte Leistung zum Nutzen anderer realer Personen zu marktgerechten Preisen zu erbringen, ist für die politradikalen Luftschlossbewohner ohne Bedeutung. Sollten Besitzer eines solchen Papiers nicht auf Interesse zu einer Beschäftigung nach deren Bezahlungsvorstellung und Leistungsbereitschaft stoßen, so ist dies die Schuld derer, die dies nicht nachfragen. Irgendwelche Diskriminierungs- oder Rassismusgründe werden da wohl vorliegen, die staatlicher Intervention bedürften.
Ein ähnliches Missverständnis besteht um den Begriff der Korruption. Normale, das heißt in der Realität und im Leben verhaftete Menschen, verstehen unter Korruption Bestechlichkeit, also Annahme von Geld oder Vorteilen, um aus einer Stellung heraus Einfluss geltend zu machen im Sinne des Bestechenden. Die Annahme von Vorteilen, um für oder aus seinem Eigentum heraus etwas zu gewähren, ist keine Bestechung. Korruption betrifft den Umgang mit dem Eigentum anderer. Im privatwirtschaftlichen Bereich – wenn also beispielsweise ein Manager Vorteile annimmt, um gegen das gewinnerzielende Interesse des Unternehmens überteuerte Aufträge zu vergeben – ist Korruption natürlich auch ein Thema, dem aber mit privatwirtschaftlichen Kontrollmechanismen unternehmensabhängig begegnet werden muss und kann. Die wirklich großen Korruptionsmechanismen laufen auf staatlicher und überstaatlicher Ebene ab. Diese Systeme basieren auf Korruption – der Annahme von Mitteln zum eigenen Vorteil der Akteure, die über die zwangsweise Gewinnung und Verwendung von Mitteln Dritter sowie über regulative Zwangsmechanismen entscheiden, die Gruppeninteressen gegen Individualinteressen durchsetzen. Daher sind die Übergänge fließend. Vor Wahlen hängt beispielsweise die Wiederaufstellung eines Bundestagsabgeordneten auf einen aussichtsreichen Listenplatz wesentlich von seiner Kooperation mit den Vorgaben seiner Fraktion bei seinem Abstimmungsverhalten ab. Über die Einflussnahme wird auch ziemlich offen geredet.
Oliver Gorus hat vergangene Woche die politikinhärenten Korruptionsmechanismen bereits beleuchtet, aus Anlass der mutmaßlichen Bestechung der griechischen EU-Abgeordneten Eva Kaili (1). Von Anfang an auffällig in der Berichterstattung zu dieser Sache war die Betonung der Diskretion der Behörden, von denen offiziell nur zu erfahren gewesen sei, dass ein „Golfstaat“ dahinter stünde, während man die Medien praktisch von Anfang an berichten ließ, dass es sich wohl um Katar handeln solle („Medienberichten zufolge“). Die eigentliche Pointe zur EU-Korruptionsaffäre wurde erst etwas später nachgeliefert, sollte aber unbedingt im Zusammenhang betrachtet werden. Noch am Dienstag wurde gemeldet, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten darauf geeinigt hätten, die milliardenschweren Korruptionsfördergelder von 6,3 Milliarden Euro für Ungarn – offiziell nur „EU-Fördermittel“ oder „EU-Hilfen“ genannt – zurückzuhalten, zumindest zum größten Teil. Vorläufig. Schon seit Monaten wurde darüber geredet, weil man dadurch – ich fürchte, ohne jede Ironie – Ungarn zu mehr Rechtsstaatlichkeit und zur Bekämpfung von Korruption zwingen wolle (2). Allerdings falle die blockierte Summe um 1,2 Milliarden Euro niedriger aus als ursprünglich von der EU-Kommission vorgeschlagen, weil die Regierung Orban bereits Anstrengungen in die gewünschte Richtung unternommen habe. Außerdem gibt es noch EU-Kohle aus den EU-„Coronahilfen“, so dass die ungarische Regierung ganz zufrieden ist angesichts der dennoch fließenden Bestechungsgelder aus der EU, die auch, aber nur zum Teil, den ungarischen Bürgern abgepresst werden.
Ja, und was könnten das wohl für Anstrengungen sein, die die ungarische Regierung nun zur Bekämpfung der Korruption eingeleitet hat? Wie das so ist, muss man da in den Artikeln zum Thema bis ganz ans Ende lesen, um das Interessanteste zu erfahren. So hat Ungarn seine Blockade für neue Ukraine-Hilfen in Höhe von 18 Milliarden Euro für 2023 aufgegeben. Um zu glauben, dass das eine Maßnahme gegen (!) Korruption sei, muss man entweder Eurokrat in Brüssel mit einem stattlichen, mindestens fünfstelligen Monatsgehalt oder aus anderen Gründen geistig verwirrt sein. Ferner hat Ungarn eine „Integritätsbehörde“ zur Überprüfung mutmaßlicher Korruptionsfälle eingerichtet, deren „Wirksamkeit“ noch zu überprüfen sei, bevor weitere EU-Mittel frei gegeben werden können. Nun, auf Behördenboden gedeiht die Korruption, und wer Behörden schafft, säht Korruption. Ich übersetze mal frei, worum es eigentlich gehen dürfte: Brüssel will über die „Integritätsbehörde“ prüfen, ob EU- und staatliche, ungarische Gelder künftig zumindest in einem angemessenen Verhältnis den Gruppierungen und NGOs zufließen, die im Sinne der EU-Technokratie arbeiten.
Man muss sich mal vor Augen führen, was Ungarn an Korruptionsfällen vorgeworfen wurde. Da wurden als Beispiele Vergaben von überteuerten Bauaufträgen in zweistelliger Euro-Millionenhöhe an Unternehmer genannt, die Orban nahestehen (3). – Dass wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich ist so etwas korrupt, und da Ungarn ein Staat ist, noch dazu mit einem Präsidenten, der über sehr lange Zeit das Land beherrscht und entsprechend seine Seilschaften platziert haben dürfte, zweifele ich nicht, dass es dort jede Menge Korruption gibt. Aber dass ausgerechnet eine EU-Kommission unter der Führung von der Leyens, gegen die im Übrigen wegen Absprachen mit dem Pfizer-Vorstandschef bei der Beschaffung überflüssiger und dazu noch überteuerter, sogenannter „Impfstoffe“ in mindestens zweistelliger Milliardenhöhe ermittelt wird (4), hier laut „Haltet den Dieb“ in Richtung Ungarn ruft, kann man nur als lächerliche Farce auffassen.
Es ist bezeichnend für die deutsche Medienlandschaft, wie sie in unmittelbarer Aufeinanderfolge vom Fall der Parlamentsvizepräsidentin Kaili und der Bestechung der ungarischen Regierung ohne jeden kritischen Unterton berichten kann, und ohne eine gedankliche Verbindung herzustellen. – Oder hat man den Zusammenhang gespürt und deswegen die Zugeständnisse der ungarischen Regierung in den Berichten so weit nach hinten gesetzt? Jedenfalls wird immer unverbrämter deutlich, dass es sich bei vorgeblichen Prinzipien wie Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung um Konstrukte handelt, die der Behauptung der Deutungshoheit bedürfen, um nicht in sich zusammenzufallen. Daher die zunehmende Verbissenheit in der Propaganda, wie aktuell unter anderem um Elon Musk und Twitter. Außenministerin Baerbock brachte es mit Blick auf Ungarn ungewollt auf den Punkt: „Hier geht es um unsere Werte.“ – Es sind Fiat-Werte. Es steht genauso wenig hinter ihnen wie hinter der Eurowährung. – Maßgeblich ist lediglich die mediale Durchsetzung, nicht die objektive Realität. Für den einzelnen Akteur kommt es dabei darauf an, den Bogen nicht zu überspannen und sich nicht bei den Falschen unbeliebt zu machen. – Solange das virtuelle Gebäude noch aufrechterhalten werden kann.
Quellen:
(1) Berufspolitiker und ihre Freunde: Verkauft und verraten
(2) Streit über Korruption; EU-Staaten einigen sich auf Einfrieren von Geldern für Ungarn
(3) Sind EU-Gelder bei Orban sicher?
(4) Von der Leyen nervös: EU-Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Pfizer-Deal
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.