16. Mai 2023

210 Jahre bayerisches Strafgesetzbuch Steuern sind kein Raub!

Ein handlungslogisches Gedankenspiel

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

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Bildquelle: Shutterstock Gedruckter Rechtspositivismus: Strafgesetzbuch

Heute vor 210 Jahren, am 16. Mai 1813 genehmigte der bayerische König das von Anselm von Feuerbach (1775–1833) entworfene Strafgesetzbuch, das vielen Staaten als Vorbild diente. Anselm von Feuerbach, von dem auch die Schrift „Die Weltherrschaft, das Grab der Menschheit“ stammt oder das Buch „Kaspar Hauser. Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben eines Menschen“, gilt damit als Begründer des „modernen Strafrechts“. Auf ihn geht auch der berühmte Ausspruch „nulla poena sine lege“ zurück, also „keine Strafe ohne Gesetz“. Und Feuerbachs Denkart findet sich auch im aktuellen deutschen Strafgesetzbuch wieder.

Ich möchte dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, mit einem alten Vorurteil aufzuräumen, das Sie, liebe Leserinnen und Leser, bestimmt schon öfter gehört haben: „Steuern sind Raub!“ Oder im Englischen: „Taxation is theft!“ Nach deutschem Strafrecht ist das allerdings falsch: Steuern wären – wenn das Strafgesetzbuch universell für alle Handelnden gleichermaßen gelten würde – weder Raub noch Diebstahl. Aber was wären sie dann?

Zunächst eine kurze praxeologische Vorbemerkung. Handlungslogisch ist das Recht dem Handeln nicht vorausgesetzt, sondern es entsteht erst durch normative Interaktion, also wenn Handelnde sich darauf einigen, was sie tun sollen, wenn sie sich also wechselseitig zu etwas zu verpflichten, was in der Folge für die jeweils andere Partei ein Recht entstehen lässt. Heute sieht das die – im wahrsten Sinne des Wortes – „herrschende Meinung“ freilich anders und setzt Recht – handlungslogisch betrachtet – mit Macht gleich. Nach dem Konzept des sogenannten Rechtspositivismus kann Recht auch das sein, was Menschen anderen willkürlich unter Androhung von Zwang und Gewalt aufzwingen, wenn es formell als Rechtsakt nach einem gewissen Verfahren von den Machthabern beschlossen wird. Und so gibt es heute ein Strafrecht, das nicht im Kant’schen (1724–1804) Sinne universalisierbar ist, weil es nicht für alle Handelnden gleichermaßen gilt, sondern einige ausnimmt. Wir müssen also für die folgende Untersuchung so tun, als ob gleiches Recht für alle gelten würde, also auch für diejenigen, die in der Metapher als „Organe des Staates“ handeln. Was wären Steuern also nach dem Strafgesetzbuch, wenn Manfred und Mandy Müller so handeln würden und nicht Menschen, die namens des Staates auftreten und sich die Steuererhebung im vorbenannten Sinne rechtlich gestattet haben?

Bei Steuern fordern die namens des Staates Auftretenden von anderen Menschen, auch von solchen, die sich selbst friedlich ihnen gegenüber verhalten, die Zahlung eines Geldbetrages. Als Mittel, um die Betroffenen zur Zahlung zu veranlassen, wird den Betroffenen ein Übel angedroht, nämlich Zwangsmaßnahmen, die von Zwangsgeld bis hin zu Zwangshaft reichen und – im Falle, dass sich ein Betroffener wehrt – unmittelbaren Zwang implizieren, also letztlich Gewalt.

Im Paragraphen 249 Strafgesetzbuch (StGB), der den Raub normiert, heißt es, dass jemand unter Anwendung von Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine Sache wegnimmt. Dies ist bei Steuern in der Regel nicht der Fall, da es an der Wegnahme fehlt. Vielmehr wird bezweckt, dass der Betroffene selbst die geforderte Sache herausgibt, also das Geld überweist. Ihm wird also nicht die Duldung der Wegnahme abgenötigt, sondern ein aktives Handeln. Auch Diebstahl („theft“) kommt nicht in Betracht, denn auch hier ist eine Wegnahme gefordert.

In den Paragraphen 253, 255 StGB heißt es sinngemäß, wer einen Menschen mit Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zu einer Handlung nötigt und dadurch dessen Vermögen schädigt, der begeht eine räuberische Erpressung. Da bei Steuern – und auch anderen Zwangsabgaben – mit der Haftandrohung und der Gewaltandrohung für den Fall des Widersetzens eine Gefahr für Leib und Leben angedroht wird, läge also eine räuberische Erpressung vor, wenn sie denn „rechtswidrig“ wäre, was sie nach rechtspositivistischer Denkart nicht ist, weil die namens Staat Handelnden sich das Recht hierzu ja gesetzt haben, es also Gesetz ist. Wenn wir aber – für das Argument – hier so tun, als ob sie das nicht könnten, dann wären der objektive Tatbestand (Drohung mit Zwang und Gewalt, um eine Zahlung zu erhalten) und der subjektive Tatbestand (sie wollen dies auch) der räuberischen Erpressung erfüllt.

Im Absatz vier des Paragraphen 253 StGB erfahren wir, dass ein besonders schwerer Fall der Erpressung vorläge, wenn die Täter „gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande“ handelten. Nun ja, Steuern (und andere Zwangsabgaben wie beispielsweise Zwangsbeiträge zur Sozialversicherung oder für den Rundfunk) dienen allerdings als dauerhafte Einnahmequelle, und diejenigen, die die Steuern erzwingen, handeln tatsächlich als Gruppe von Personen, die sich zum fortgesetzten Erwerb dieser Mittel verbunden hat.

Steuern wären nach deutschem Recht also weder Raub noch Diebstahl, meine verehrten Leserinnen und Leser, sondern „gewerbsmäßige, bandenmäßige räuberische Erpressung“, wenn sie denn rechtswidrig wären, was sie nach rechtspositivistischem Denkkonzept nicht sind, denn sie sind ja gesetzlich geregelt, also gesetztes (das heißt positives) Recht.

Bitte, meine lieben Leserinnen und Leser, nehmen Sie das nicht zum Anlass, zu provozieren oder sich dagegen aufzulehnen! Man kann Zwangsabgaben im intellektuellen Diskurs kritisieren. Aber die Masse der Menschen und die sie Anführenden finden Rechtspositivismus in Ordnung und Zwangsabgaben gut, und es hat einen Grund, dass die Welt so ist, wie sie heute ist. Mit Widerstand in dem Sinne, dass Sie einen Anlass liefern, dass Zwang und Gewalt gegen Sie ausgeübt werden, erreichen Sie regelmäßig nur Letzteres, nämlich dass Zwang und Gewalt gegen Sie ausgeübt werden.

Wie ich in meiner letzten Kolumne ausgeführt habe, sind es letztlich die – oft unbewussten – Haltungen der Masse der Menschen und der sie Anführenden zu sich und der Welt, die es derzeit verunmöglichen, eine friedliebendere Gesellschaft oder eine im Kant’schen Sinne aufgeklärte Gesellschaft zu gestalten. Will man diese Menschen bei ihren Haltungen erreichen, müsste man ihnen vielmehr freundlichere, friedliebendere vorschlagen. Das ist der Weg. Einerseits darauf aufmerksam machen, wie Menschen friedvoll und freundlich zusammenleben können, wie Ludwig von Mises (1881–1973) dies für den Bereich der Ökonomie getan hat. Und andererseits darauf aufmerksam machen, dass dem Denken und Fühlen der Masse der Menschen heutzutage ungünstige Haltungen zu Grunde liegen. Ungünstig für sie selbst und andere, und zwar weil sie mit den Schlussfolgerungen der Handlungslogik (Praxeologie) nicht übereinstimmen und damit nicht mit der Lebenswirklichkeit handelnder Wesen. Diese ungünstigen Einstellungen und Überzeugungen führen dazu, dass die Menschen sich und anderen Leid zufügen. Und sie können das emotional noch nicht einmal reflektieren, obwohl sie, wie Immanuel Kant sinngemäß schrieb, verstandesmäßig dazu wohl in der Lage wären. Zuerst müsste man ihnen Haltungen anbieten, mit denen sie ihre Bedürfnisse nach Freiheit von sie marternden Gefühlen wie Schuldigsein, Ungenügen oder Angst befriedigen können.

Ich will also – ganz im Ernst – mit diesem Artikel niemanden aufhetzen, sondern es ist ein Gedankenspiel anlässlich eines Jubiläums, mit Hilfe dessen wir den Umgang miteinander abstrakt, nüchtern und kühl reflektieren können und uns die Frage stellen können, wie wir friedlicher miteinander auskommen könnten. Wir können andere freundlich einladen, uns auf diesem gedanklichen Weg zu begleiten. Die Gesellschaft zu spalten oder gegeneinander aufzuhetzen, sehe ich nicht als zielführend oder gar wünschenswert an. Es sind unsere Mitmenschen, wir sind mit ihnen verbunden und sie müssen so ticken, wie sie es tun, denn es wurde ihnen so beigebracht beziehungsweise haben sie es sich selbst so antrainiert, um ihre Unzufriedenheit zu vermindern. Mit der Handlungslogik können wir ihnen günstigere Haltungen anbieten, die mit der Lebenswirklichkeit handelnder Menschen übereinstimmen.

Quellen:

200 Jahre Bayerisches Strafgesetzbuch (Legal Tribune Online)

Die Weltherrschaft, das Grab der Menschheit (Stephan Ring, Misesde.org)

Immer dieselben! Die radikalisierte „Mitte“? (Andras Tiedtke, Freiheitsfunken)

Zu Haltungen, die mit der Logik des Handelns übereinstimmen:

Der Kompass zum lebendigen Leben (Andreas Tiedtke, FBV)

Nichts ist so eindeutig, dass es sich nicht umdeuten ließe (Andreas Tiedtke, Misesde.org)


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