Was ist eine Verschwörungstheorie?: Die Möglichkeit, inhaltlichen Diskussionen aus dem Weg zu gehen
Die historische Realität sagt uns, dass die Geschichte voll von Verschwörungen ist
von Markus Krall
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Es gibt nur wenige Begriffe in unserer zunehmend diskursanämischen politischen Landschaft, die besser geeignet sind, einer inhaltlichen Diskussion aus dem Wege zu gehen, als das schöne Wort „Verschwörungstheorie“. Jemandem zum „Verschwörungstheoretiker“ zu stempeln ist als absolutes Ad-personam-Totschlagargument geeignet. Die gebrandmarkte Person muss nicht nur befürchten, dass ihr nicht mehr zugehört wird, sondern dass sie auch nach der Debatte als Fall für die Psychiatrie gilt und ihr soziales, berufliches, ja sogar familiäres Leben nachhaltig beschädigt wird.
Der Verschwörungstheoretiker gilt als verschrobener Kauz, der sich verschrobene Dinge ausdenkt, er leidet an Verfolgungswahn, trägt einen Aluhut gegen die Angriffe der Außerirdischen mit Hilfe von Wellen auf sein Gehirn und seine Fähigkeit zu denken, schmort so im eigenen Saft und gelegentlich läuft er Amok, ist also kein harmloser Spinner, sondern gefährlich. So jedenfalls die von ihm gezeichnete Karikatur.
Im Sowjetkommunismus stalinistischer Prägung war die Einweisung von Regimekritikern in die Psychiatrie ein häufiges Mittel der Verfolgung Andersdenkender. Das gibt es mittlerweile auch wieder im vielbeschworen freien und demokratischen „Westen“. Aber diese Übergriffigkeit des Staates kommt nicht aus heiterem Himmel. Die Brandmarkung einer Person zum Beispiel als Verschwörungstheoretiker geht ihr üblicherweise voraus. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Brücke zwischen den Begriffen Theorie und Paranoia eine sehr kurze ist. Die Theorie ist ein Gedankengebäude, das Vorgänge in der Welt erklären soll. Auch die Paranoia ist eine spezielle Theorie, die der Betroffene entwickelt, um vermeintlich unerklärliche, in der Regel als feindselig empfundene Vorgänge in seinem Leben zu erklären.
Eine Verschwörung ist eine im Geheimen stattfindende Planung von Maßnahmen, die sich gegen eine Person, Institution oder Ordnung richtet und die in der Regel bei ihrem Ziel Schaden anrichtet, was der Grund für ihre Geheimhaltung ist. Sie ist daher genau die Art von feindseligem Vorgang, der dem Gefühl der Verfolgung eine Grundlage gibt.
Und hier wird es interessant, denn die historische Realität sagt uns, dass die Geschichte voll von Verschwörungen ist, von der Ermordung Julius Cäsars über Kriege, Umstürze, Putsche bis zu Revolutionen. Der Holocaust war eine Verschwörung der Nationalsozialisten, die Russische Revolution eine Konspiration Lenins in Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, der Vietnamkrieg das Ergebnis eines inszenierten Zwischenfalls vor der Küste von Tonking, die Unterbringung von Gustl Molath in der Psychiatrie das Resultat einer privat organisierten Scharade, unzählige „Justizirrtümer“ waren und sind das Resultat von fingierten Beweisen, oft erstellt durch die Personen, die die Gesellschaft mit dem Finden der Wahrheit beauftragt hat. Die Gründung der „Federal Reserve“, der Zentralbank der Vereinigten Staaten im Jahr 1913 war das Ergebnis einer Konspiration, wie Anthony Sutton in seinem Buch „The Federal Reserve Conspiracy“ eindeutig bewiesen hat.
Staaten leisten sich ganze Behörden mit dem Auftrag, Verschwörungen sowohl zu inszenieren als auch sie aufzudecken, wenn der Gegner sie aufgezogen hat. Diese Behörden nennt man Geheimdienste.
Regierungen betreiben diese Dienste nicht deshalb, weil sie Verschwörungen für unmöglich halten, sondern weil sie sie für real und gefährlich halten. Regierungen, einschließlich unserer eigenen, sind mithin die größten Verschwörungstheoretiker überhaupt und bisher habe ich noch von niemandem gehört, dass man sie deshalb in die Psychiatrie einweisen sollte. Nicht, dass mir dafür nicht andere Gründe einfallen würden, aber das ist ein anderes Thema.
Verschwörungen existieren also, sie sind real.
Paranoia und Verfolgungswahn existieren somit nicht im luftleeren Raum, sondern ihre grundsätzliche Berechtigung ist das Ergebnis empirischer Tatsachenbeobachtung. Oder, um es mit den Worten eines guten Freundes zu charakterisieren, der einmal für einen Geheimdienst gearbeitet hat:
„Wenn du paranoid bist, dann heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind!“
Die Verschwörung als solche ist also ein Gegenstand, über den wissenschaftliche Theorien ebenso zulässig sind wie für jede andere Frage auch. Wer eine Theorie aufstellt, der hat auch nicht die Pflicht, sie sofort zu beweisen, denn der Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis ist kein punktförmiger, sondern er besteht aus Schritten und sich wiederholenden Schleifen. Am Anfang steht eine Beobachtung, die wir mit dem uns zur Verfügung stehenden Weltbild, also unserem Modell der Welt, nicht erklären können. Wir stellen also eine Frage: Was ist das, was wir da beobachten, wie funktioniert es?
Im zweiten Schritt erst suchen wir eine Erklärung, wir formulieren eine Hypothese, gewissermaßen eine Knospe, aus der die Blüte der Theorie, nämlich ein umfassendes Erklärungsmodell des beobachteten Phänomens, erwachsen soll. Zu diesem Zeitpunkt haben wir allenfalls Hinweise, aber noch keine Beweise für einen postulierten Zusammenhang. Die Weiterentwicklung einer Hypothese zu einer Theorie, einem Modell der Realität, erlaubt uns dann die Formulierung von Wenn-Dann-Zusammenhängen.
Ein Beispiel für eine solche Wenn-Dann-Beziehung in unserem Fall wäre: „Wenn es sich um eine Verschwörung handelt, deren Geheimhaltung durch die Theorie bedroht ist, dann werden die Urheber der Verschwörung rational auf die Publikation ihres Treibens reagieren. Sie werden – sofern noch möglich – die Geheimhaltung verschärfen oder – falls das nicht mehr möglich ist – versuchen, die Theorie zu desavouieren.“
Wir können an diesem jetzt hier postulierten, aber von mir noch nicht bewiesenen Zusammenhang erkennen, dass es der Verschwörungstheorie nicht besser geht als jeder anderen wissenschaftlichen Theorie auch: Sie hat Gegner. Ein Physiker, der den Nobelpreis für eine Theorie bekommen hat, wird in der Regel nicht erbaut sein, wenn ein Kollege eine neue Theorie formuliert, die die seine widerlegt. Nicht jeder hat die Größe eines Albert Einstein, der einmal über eine eigene Theorie, nämlich die Einführung der „kosmologischen Konstante“ rückblickend sagte, diese sei „die größte Eselei seines Lebens“ gewesen. Das ist natürlich umso bemerkenswerter, als die aktuell anerkannten kosmologischen Modelle immer noch mit dieser Konstante arbeiten.
Die Gegner von Verschwörungstheorien sind nur leider keine Professoren, die dann in „Nature“ einen Erwiderungsartikel verfassen, sondern es sind die Antipoden der Verschwörungstheoretiker, nämlich die Verschwörungspraktiker. Wäre ich ein Verschwörungspraktiker, dann würde ich die Theoretiker nicht mögen. Und daher ist es kein Zufall, dass der Begriff des Verschwörungstheoretikers und auch seine Kontextualisierung als irre, durchgeknallt, verschroben, verrückt und gefährlich nicht aus irgendeiner universitären Studierstube kommt, sondern aus der Welt der Geheimdienste, also der Verschwörungsprofis:
Keine geringere Institution als die CIA, die „Central Intelligence Agency“, der Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten, hat diese Kopfgeburt in die Welt gesetzt. Die CIA hat den Begriff Verschwörungstheorie erfunden und das ist keine unbewiesene Verschwörungstheorie. Sie wurde in der Regel immer dann als Waffe im Propagandakrieg eingesetzt, wenn es reale Verschwörungen der US-Regierung gab, die von irgendjemandem beim Namen genannt wurden. Natürlich wissen wir nicht für alle Fälle, in denen die Proponenten einer Theorie als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt wurden, ob eine reale geheime Maßnahme der Regierung den Hintergrund gebildet hat, aber für eine ganze Reihe von Fällen ist der Zusammenhang augenfällig und frappierend. Das gilt insbesondere für Vorgänge, die Kriegseintritten der USA vorausgegangen sind und die als Grund für die Anwendung von Gewalt herangezogen wurden.
Wir können zum Beispiel heute mit Sicherheit davon ausgehen, dass die US-Regierung den bevorstehenden Angriff der Japaner auf Pearl Harbor zumindest deutlich geahnt hat. Aber ohne diesen Angriff wäre die Front der Isolationisten im Kongress nicht zu brechen gewesen, die USA wären nicht in den Krieg eingetreten und die Achsenmächte Deutschland und Japan hätten ihn möglicherweise gewonnen. Also war Stillhalten angesagt. Der Hauptteil der US-Pazifikflotte verließ jedoch den Hafen von Pearl Harbor kurz vor dem Angriff, was sicher kein Zufall war.
Der Zwischenfall im Golf von Tonking wurde schon oben erwähnt. Er führte zum Eintritt in den Vietnamkrieg. Die Schauergeschichten von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen waren erfunden und führten das Land in den Zweiten Irakkrieg. Und dann ist da noch 9/11, wo es ein offizielles Narrativ gibt, das den Einmarsch in Afghanistan und den globalen „Krieg gegen den Terror“ eröffnete. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was damals passierte, aber wir können – aufgrund des Einsturzes eines dritten Gebäudes mit 50 Stockwerken am Tag nach dem Anschlag in der Nähe der Zwillingstürme – definitiv wissen, dass die offizielle Geschichte nicht oder nur in Teilen wahr ist. Und dass die Ausweise der Attentäter das Inferno irgendwie überstanden haben könnten, wie offiziell behauptet (man hat sie angeblich in den Trümmern des WTC gefunden) ist schon eine Machtdemonstration besonderer Klasse. Sie sagt nicht weniger aus als: „Wir können euch absolut jeden Schei* erzählen und die Masse der Leute wird es glauben, den Rest machen wir als Verschwörungstheoretiker platt!“
Diese Liste ist nicht vollständig. Alle diese Sachverhalte wurden von den offiziellen Stellen, den Geheimdiensten, der Regierung und den Medien als Verschwörungstheorien bezeichnet und so politisch neutralisiert. Dass sie alle sich oft Jahrzehnte später als wahr erwiesen haben, tat der Wirksamkeit des Mittels keinen Abbruch. Als es endlich rauskam, war das Thema lange aus der Tagespolitik und den Nachrichten verschwunden und kein Hahn krähte mehr danach. Der Neffe des ermordeten amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, Robert Kennedy, veröffentlichte 2022 Informationen, die zeigten, dass die CIA in die Ermordung seines Onkels zumindest verwickelt war. Bei uns hat es das nicht einmal in die Nachrichten des „öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ geschafft.
Die Gruppe, gegen die diese Keule „Verschwörungstheoretiker“ am intensivsten und längsten eingesetzt wird, ist übrigens die Gemeinde der Ufo-Gläubigen. Das macht ihre Theorien nicht wahr oder bewiesen, aber zumindest interessant genug für einen humoristischen Seitenhieb.
Wir sehen also: Wer immer in der CIA beim Brainstorming in den 40er oder 50er Jahren mit der Idee aufkam, der hat sicher in der „PsyOp“-Abteilung der „Firma“ eine große Karriere gemacht.
Was fangen wir jetzt an mit dieser Mischung aus wissenschaftstheoretischer Einordnung und historischen Fallbeispielen? Nun, wir können eine Verschwörungstheorie daraus basteln und die geht so:
„Es gibt eine oder mehrere Gruppen von Menschen, die sich als Verschwörungspraktiker betätigen. Sie mögen es nicht, wenn man Theorien über ihre Tätigkeiten aufstellt, noch weniger können sie es leiden, wenn man sie publiziert. Diese Gruppen verfügen in der Regel über Geld und Macht, sind meist mit dem Staat und der Regierung verwoben oder ein Teil davon. Ihre Pläne sind eigennützig und nicht gut für uns, die Allgemeinheit oder das Volk, denn wären sie es, dann müssten sie nicht im Geheimen betrieben werden.“
Die Geheimhaltung unterscheidet die Verschwörung übrigens von der politischen Tätigkeit. Ein politisches Programm, das in aller Öffentlichkeit betrieben wird, ist per Definitionem keine Verschwörung, weil die Geheimhaltung für sie konstitutiv ist. Es gibt aber auch hier das Problem der Abschichtung: Ein öffentlich und transparent betriebenes politisches Programm kann motiviert sein durch Ziele, die selbst nicht öffentlich, sondern geheim sind. Politiker versuchen uns dann etwas mit einem Etikettenschwindel zu verkaufen das nicht den behaupteten Zielen dient, sondern in Wahrheit ganz anderen Zielen. Politik und Verschwörung verschwimmen dann. Solche Konstellationen treten meistens dann auf, wenn Korruption im großen Stil im Spiele ist, wenn also zum Beispiel jemand Politiker oder gleich die ganze Regierung kauft, um sie zu Maßnahmen zu bewegen, die zum Vorteil des Korrumpierenden sind. Der Politiker wird sich dann nicht hinstellen und sagen: „Lasst euch die Impfe spritzen, weil die Pharmamafia uns gekauft hat“, sondern er wird sagen: „Schützt euch und andere vor dem bösen Virus, boostert euch alle drei Wochen.“
Das Beispiel dürfte übrigens der Grund sein, warum alle Kritiker der Coronamaßnahmen als Verschwörungstheoretiker verunglimpft wurden und es macht zugleich deutlich, wo die Grenzen dieser Methode sind: Ein Schwert, das man zu oft benutzt, wird stumpf. So auch hier. Das Ergebnis: Keiner hört mehr hin, ja man fordert geradezu den Spott der Verunglimpften heraus, der sich dann in dem Satz zusammenfassen lässt: „Ich brauche dringend neue Verschwörungstheorien, meine alten sind alle wahr geworden.“
Fassen wir zusammen und schlussfolgern wir: Es gibt Verschwörungen, also haben auch Theorien darüber eine Berechtigung. Die Hauptfeinde dieser Theorien sind die Verschwörungspraktiker, die meist über enorme propagandistische Feuerkraft verfügen. Der Satz der Aufklärung „Sapere aude!“, „Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen“ findet auch hier sinnvolle Anwendung. Daher gilt auch: Nicht jede Verschwörungstheorie ist wahr, nur weil eine sich als zutreffend erwiesen hat. Wer einmal mit einer Verschwörungstheorie richtig liegt, muss sich hüten, sie zu generalisieren. Denn wir alle neigen dazu, auf die eigene intellektuelle Unbeweglichkeit hereinzufallen und einmal einstudierte Muster für die einzig existenten zu halten. Wenn du einen Hammer hast, sieht alles aus wie ein Nagel, sagt ein englisches Sprichwort. Davor müssen wir auf der Hut sein, sonst blendet man sich selbst.
Das heißt: Jede Theorie muss sich dem empirischen Test stellen und alternative Erklärungsansätze sind oft die sinnvolleren.
So ist zum Beispiel die Negativauswahl unserer politischen Klasse (siehe hierzu meinen Aufsatz „Was ist adverse Selektion?“ auf Freiheitsfunken) oft weit eleganter in der Lage zu erklären, was schiefläuft, als eine komplizierte Verschwörungstheorie. Manchmal, nur manchmal allerdings trifft Dummheit auf Verschlagenheit. Dann reichen sie sich die Hand: Der Verschwörungspraktiker und sein nützlicher Idiot.
Markus Krall: Was ist adverse Selektion? (Freiheitsfunken)
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