19. September 2023 23:00

Die Psychologie der Politik Aufklärung und Gegenpropaganda

Der Weg

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

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Bildquelle: Ludwig von Mises Institute / Wikimedia Commons Kein Traumtänzer: Murray Rothbard

In meiner letzten Kolumne legte ich am Ende dar, dass gewisse gesellschaftliche Vorbedingungen erfüllt sein müssen, damit die Menschen sich selbst aufklären können. Die Gretchen-Frage ist: „Sag, wie hast du’s mit der Zensur?“ Deshalb warb Immanuel Kant (1724–1804) 1784 für die Meinungsäußerungsfreiheit („von seiner Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen“) und Murray Rothbard (1926–1995) sprach deshalb 1992 davon, in der Kommunikation die „Macht-Elite“ zu umgehen („to short-circuit the power elite“) und unmittelbar (und ungefiltert) zu der Masse der Menschen Verbindung aufzunehmen („reach out … the masses directly“).

Rothbard 1992. Rechtspopulismus

Murray Rothbard bezeichnete 1992 als das „Hayek Modell“, die „richtigen Ideen“ zu verbreiten und damit – über die Jahrzehnte – die Intellektuellen, Journalisten und Meinungsmacher zum Umdenken zu bewegen. Natürlich seien die richtigen Ideen das Wichtigste, so Rothbard, und die Verbreitung der Ideen sei ein wichtiger Teil der libertären Strategie. Aber das Modell der „Hayek’schen Bekehrung“ sei nicht nur langwierig, sondern dem liege gleichsam Annahme zu Grunde, dass die Intellektuellen und Meinungsmacher ausschließlich an der Wahrheit interessiert wären und ihnen ihr wirtschaftliches Eigeninteresse dabei nie in die Quere käme; was naiv sei.

Als einen zusätzlichen wichtigen Weg sah Rothbard deshalb einen populistischen, eine Koalition der Libertären mit dem Rechtspopulismus. Es gebe eine programmatische Schnittmenge. Wenn genug Menschen die Früchte ihrer Arbeit behalten wollten, Preisinflation ablehnten, ihre Familie schätzten, sicher sein wollten vor Diebstahl, Gewalt und Raub, keine imperialen Gelüste der Machthaber unterstützen möchten und dergleichen, könnte dies für eine Mehrheit reichen, so ganz kurz zusammengefasst. Damit hat Rothbard bereits 1992 Entwicklungen wie der Trump-Bewegung in den USA oder Javier Milei in Argentinien vorgegriffen.

Rothbard meinte im Übrigen mit den Rechtspopulisten keineswegs die „etablierten Konservativen“, die das Spiel spielten, „das geringere von zwei Übeln“ zu sein. Deren Zeit sah er mittelfristig als abgelaufen an, erst recht langfristig. Rothbard ging es vielmehr um „radikale Steuersenkungen“, einen „radikalen Rückschnitt des Versorgungsstaates“, radikale Dezentralität und dergleichen.

Nun mögen viele einwenden, dass es mit dem Rechtspopulismus so seine Probleme hat, und zwar nicht nur, weil manche Rechtspopulisten nationalistisch eingestellt seien, was dem Libertarismus klar zuwiderläuft. Sondern auch, weil viele Rechtspopulisten keineswegs auf Zwang verzichten möchten, um ihre politischen Vorstellungen auch gegenüber friedlichen Menschen durchzusetzen. Man hätte dann wieder einen „Kindergärtner“, nur dass dieser – aus der Sicht des zustimmenden Publikums – weniger streng wäre als der mehr sozialistisch eingestellte.

Deshalb bezeichnete Rothbard die „Strategie“ einer Koalition der Libertären mit Rechtspopulisten sinngemäß auch als „realpolitischen Kompromiss-Ansatz“. Denn die Alternative, darauf zu warten, bis die Amtsinhaber selbst von dem Chaos, das sie angerichtet haben, die Nase voll haben und demoralisiert das Handtuch werfen, wie die kommunistische Nomenklatura in der Sowjetunion und Osteuropa, diese Alternative sah er als noch schlechter an. Tatenlos zuzusehen, wie alles den Bach hinuntergeht, war Rothbard zuwider.

Kant. Meinungsäußerungsfreiheit und Reform der Denkungsart

Immanuel Kant meinte in Bezug auf das gerade Gesagte, dass eine „Abkürzung“ über das Politische nicht funktionieren könne. Eine „Revolution“ könne zwar sinngemäß von einer besonders despotischen Unterdrückung befreien und daher Erleichterung schaffen, aber sie könne nicht zu einer aufgeklärten und in diesem Sinne friedlichen Gesellschaft führen, solange es nicht zu einer grundlegenden „Reform der Denkungsart“ gekommen sei.

Und in der Tat, wenn die Masse der Menschen ihre feindseligen, infantilen Haltungen zu sich und der Welt beibehält, dann werden sich auch wieder Leute finden, die sich als politische Anführer anbieten und an diese Haltungen appellieren werden, die Neid, Angst und Zwietracht schüren. Wir befinden uns in einer geistigen Krise, deren Symptom eine politische Krise ist, und ein „Herumdoktern“ am Politischen kann daher nur kurzfristig Erleichterung bringen. Ganz maßgeblich beim Ausgang aus der geistigen Krise wird also die Möglichkeit sein, sich und seine Mitmenschen möglichst unbehindert aufzuklären.

Schlussbetrachtung und Ausblick

Verbindet man das pragmatische Denken Rothbards mit Kants psychologisch tiefer gehendem Blickwinkel, dann wäre demnach zuvörderst gegen solche politischen Maßnahmen vorzugehen, die „den öffentlichen Gebrauch der eigenen Vernunft“ einschränken. Maßnahmen, die heutzutage beispielsweise als „Cancel Culture“ bezeichnet werden oder als „Fakten-Checking“ (es geht ja meist nicht um die Fakten, sondern um die daraus gezogenen Schlüsse!), als „Kontakt-Shaming“ und „Deplatforming“ bis hin zu Schmierkampagnen und „juristischen Verfolgungsjagden“ („Lawfare“), die geeignet sind, Menschen einzuschüchtern im Hinblick auf den öffentlichen Gebrauch der eigenen Vernunft.

Wie Rothbard und Kant in diesem Zusammenhang weiter dachten, was Edward Bernays (1891–1995), der Neffe Sigmund Freuds und Autor des „Standardwerkes“ Propaganda, im Hinblick auf „Aufklärung durch Gegenpropaganda“ bemerkte, dazu mehr in der nächsten Kolumne.

Quellen:

Andreas Tiedtke: Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? Zu Immanuel Kants 218. Todestag

Murray Rothbard: Rechtspopulismus: Eine Strategie für die Paleo-Bewegung

Andreas Tiedtke: Juristische Kriegsführung – „Lawfare“

Andreas Tiedtke: Der Kompass zum lebendigen Leben


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