02. Oktober 2023 18:00

Buch und Video über Libertarismus Gelenkter Narrativaufbau für künftige Angriffe auf die Freiheitsbewegung

Auffällige Musterüberschneidungen zweier „unabhängig“ voneinander entstandener Werke

von Robert Grözinger

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Bildquelle: Shutterstock Zunehmende Falschdarstellungen des Libertarismus im Mainstream: Der schrittweise Abschied von Zwangsherrschaft soll vermieden werden

Das neulich veröffentlichte, von Zwangsabgaben finanzierte „Funk“-Video über die angebliche „Gefährlichkeit“ der Libertären, das meine Kollegen hier bei Freiheitsfunken, Michael Werner und Sascha Koll, bereits ausführlich besprochen und auseinandergenommen haben, bestätigt eine von mir im vergangenen Februar geäußerte Spekulation. Damals ging es um das im Suhrkamp-Verlag im Oktober des vergangenen Jahres erschienene Buch „Gekränkte Freiheit – Aspekte des libertären Autoritarismus“ von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey. Der Freiheitsfunken-Autor Stefan Blankertz hatte es in fünf Artikeln besprochen und dabei so gründlich zerschossen, dass kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Er gab eine erweiterte Besprechung als Buch heraus mit dem Titel: „Wider den Triumph repressiver Egalität – Zur Anatomie gekränkter Herrschaft“. In meinem Artikel vom Februar, der Blankertz‘ Buch als Geleitwort dient, schrieb ich:

„Während die Elite die libertäre Ideenwelt mit Argusaugen argwöhnisch beobachtet, tut sie ihr Möglichstes, sie demonstrativ ‚nicht mal zu ignorieren‘. Besser gesagt: Sie tat es. Neuerdings ist in unseren Breiten aus der passiven Diskursverweigerung eine aktive geworden. Soviel ist seit dem Erscheinen im vergangenen Herbst eines Buches von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey klar.“

Denn: „Schon von außen war zu erkennen, dass dieses Werk eine von der Herrscherklasse in Auftrag gegebene Schmähschrift war, ein Versuch, eine gegen den Libertarismus gerichtete üble Nachrede in populärwissenschaftlichem Gewand zu präsentieren. Geschrieben von Anwärtern auf höhere Weihen der Elite. Laut Amazon ist es am 10. Oktober 2022 erschienen und inzwischen – Stand Anfang Februar 2023 – ‚Nr. 1 auf der Sachbuch-Bestenliste (DLF Kultur/ZDF/Die Zeit)‘.“

Das mit der Bestenliste steht übrigens immer noch bei Amazon oben auf der Seite des Buches so da. In Wahrheit beachtet kaum jemand dieses Werk. Dessen Rang auf der Amazon-Bestsellerliste ist 23.305 in Bücher, 14 in politischer Bildung, 16 in Bürgerrechte und 21 in Globalisierung – Stand 30. September 2023. Also: Noch nicht auf dem Grabbeltisch, aber „Nr. 1 auf der Sachbuch-Bestenliste“ ist ein Märchen.

Weiter schrieb ich vor acht Monaten: „‚Gekränkte Freiheit‘ ist kein seriöses Werk. Es scheint, als sei sein Zweck, als propagandistische Munitionsaufstockung in Reserve zu dienen. Sollte der Libertarismus für die Elite materiell ungemütlich werden, hoffen ihre Propagandisten offenbar, dieses scheinseriöse Buch hervorkramen und irgendetwas daraus zitieren zu können, die Autoren zu Interviews einzuladen und so mit vielen pseudointellektuellen Aussagen die steigende Flut freiheitlicher Gesinnung zurückzudrängen.“

Zumindest wird die Elite bereits damals einen Trend erkannt haben, der darauf hinausläuft, dass der Libertarismus ihr in absehbarer Zeit „materiell ungemütlich“ werden kann, sonst hätte sie sich nicht um ein solches Buch bemüht. Der „Funk“-Beitrag vom 18. September bestätigt diese Ansicht. Er ist mit dem gleichen Muster gestrickt wie das Suhrkamp-Buch: Erstens stellt auch er Behauptungen über den Libertarismus ohne seriöse Belege auf. Zweitens vermeidet auch er krampfhaft eine Erwähnung intellektueller Vertreter der Freiheitsbewegung des 20. und 21. Jahrhunderts – mit einer sehr bezeichnenden Ausnahme: Robert Nozick. Seltsam: Das ist derselbe amerikanische Denker, der als einziger im Amlinger-Nachtwey-Buch vorkommt.

Über die Wahl Nozicks als Abarbeitungsoberfläche im Buch von Amlinger und Nachtwey schrieb Blankertz, es erscheine ihm „merkwürdig, dass er herangezogen wird“, denn Nozick vertrete zwar den libertären Grundsatz des Freiheitsrechts, andererseits „richtete sich sein einziges explizit libertäres Buch ‚Anarchie, Staat und Utopie‘ (1974) gegen radikale libertäre Ansätze, die davon ausgehen, dass die menschliche Gesellschaft ganz ohne Staatsgewalt auskomme. Diese radikalen Ansätze wollte Nozick widerlegen und lieferte dazu eine Legitimation staatlicher Herrschaft. Insofern ist er geradezu ein untypisches Beispiel für libertäres Denken.“  

Blankertz meinte damals, die Autoren hätten sich auf Nozick versteift, weil dieser Denker „vermutlich die äußerste Position markiert, die Amlinger und Nachtwey überhaupt in der Lage sind zu rezipieren.“  

Möglicherweise. Aber jetzt, wo auch im Video wieder nur Nozick vorkommt – abgesehen von Max Stirner, aber der ist aus dem 19. Jahrhundert und spielt in der modernen libertären Debatte eine noch geringere Rolle als der Amerikaner – sieht es so aus, als mache jemand mit einem hastig zusammengestellten „Wie mache ich den Libertarismus schlecht“-Baukasten die Runde, in welchem sich als einziger Intellektueller ein „Nozick-Baustein“ befindet.  

Es ist hinreichend klar, weshalb dieser vermutete Baukasten keinen Mises-, Hayek- oder Rothbard-Baustein enthält. Sowohl Werner als auch Koll haben bereits die jüdische Abstammung von Ludwig von Mises und Murray Rothbard erwähnt – und dass diese Tatsache dem unseriösen Narrativaufbau von Libertären als irgendwie „rechts“ und irgendwie „extremistisch“ hinderlich sei.

Zu Mises könnte man noch hinzufügen, dass er 1940 mit kaum mehr als seiner Haut davonkam, als er nach dem Einfall der Wehrmacht in Frankreich seine Schweizer Wahlheimat fluchtartig in einem Reisebus Richtung Spanien und Portugal verließ, von wo aus er in die USA emigrierte. Seine Bibliothek in Wien war bereits unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs von den Nazis beschlagnahmt worden. Mises war also nicht nur aus „rassischen“, sondern auch aus intellektuellen Gründen der Angstgegner der Kollektivisten von – nominell – „rechts“. Aber er war auch der Angstgegner der zutreffend „links“ verorteten Kollektivisten, denn am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde seine umfangreiche Büchersammlung von den Sowjets nach Moskau entführt und weggeschlossen.

Dass auch der bekanntere Friedrich von Hayek keine Erwähnung findet, der in Sachen Staatsnotwendigkeit einen Nozick ähnlichen „weichen“ Standpunkt einnimmt, liegt vermutlich an dem ihm 1974 verliehenen Nobelpreis für Ökonomie, der ihm aus Sicht des Mainstreams einen gewissen Nimbus unangreifbarer Seriosität verschafft.   

Meine Spekulation vom Februar, dass die heutigen Kollektivisten – man könnte sie auch „Extrem-Etatisten“ nennen – den Strategiewechsel von „nicht mal ignorieren“ auf „Angriff mit angezogener Handbremse“ vornehmen, weil sie eine zunehmende Angst vor einem populärer werdenden Libertarismus haben, wird nicht nur aufgrund der nur scheinbar anlassfreien Veröffentlichung des „Funk“-Videos erhärtet, das die gleiche Stoßrichtung und dieselben Elemente enthält wie das Buch von Amlinger und Nachtwey. Inzwischen gibt es eine Entwicklung, die diese Spekulation zu einer fast sicher erscheinenden Vermutung ausbaut: Die allseits bekannten stasiartigen Verfolgungs- und Zersetzungsmaßnahmen des Staates gegen Dr. Markus Krall und Dr. Hans-Georg Maaßen in den vergangenen Wochen und Monaten. Nebenbei: In ihrem Fall verläuft der Angriff auf sie persönlich mit Sicherheit nicht „mit angezogener Handbremse“.

Der stark von libertärem Gedankengut geprägte Volkswirt, Unternehmensberater und Autor – unter anderem bei Freiheitsfunken – Krall hat vor kurzem angedeutet, eine neue Partei gründen zu wollen. Auch seine diesbezüglichen Verlautbarungen sind durch und durch libertär. Es sieht so aus, als wolle er dieses Projekt in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten und jetzigen Vorsitzenden der Werteunion, Maaßen, starten.

In libertären Kreisen wird derzeit heftig über den Sinn dieses Plans diskutiert. Dabei geht es hauptsächlich darum, ob eine solche Partei den Verrätern am Christentum im Bundestag, auch „CDU/CSU“ genannt, und den Verrätern am Liberalismus, auch „FDP“ genannt, schon bei der nächsten Wahl Stimmen und Sitze wegnehmen kann, ohne der AfD, der bisher einzigen nicht dem Herrscherkartell untergeordneten Partei im Parlament, zu schaden.

Ich denke, solche Überlegungen sind zweitrangig. Auch wenn es erwähnenswert ist, dass eine Partei außerhalb des Herrscherkartells, die weniger etatistisch ist als die AfD, den Bundestag durchaus bereichern würde. Weit wichtiger aber ist, dass die Verfolgungsmaßnahmen gegen Krall und Maaßen sowie der Kulissenaufbau mit Buch und Video zusammengenommen ein deutliches Zeichen dafür sind, dass die herrschende Klasse ein gewisses Muffensausen vor dem Libertarismus zu haben beginnt. Sie riskiert mit ihren Maßnahmen sogar, dass sich das Wissen um den – echten – Libertarismus schneller weiterverbreitet als ohnehin. Jener Libertarismus, dessen Verwirklichung Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, friedliches Zusammenleben und wachsenden Wohlstand fördern wird. Das sollten Libertäre begrüßen; und den Herren Krall und Maaßen danken, dass sie den Mut haben, sich dem Ungeheuer, welcher der Staat und die mit ihm verschmolzenen, diversen, industriellen „Komplexe“ geworden sind, persönlich entgegenzustellen.

Quellen:

Robert Grözinger: Die herrschende Klasse hat Angst vor dem Entstehen einer libertären „kritischen Masse“ (Freiheitsfunken)

Stefan Blankertz: Unterstellte Theorielosigkeit (Freiheitsfunken)


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