06. Februar 2023

Angriff auf den Freiheitsgedanken Die herrschende Klasse hat Angst vor dem Entstehen einer libertären „kritischen Masse“

Daher das Buch „Gekränkte Freiheit“, das Stefan Blankertz jetzt souverän zerpflückt hat

von Robert Grözinger

Die Idee der individuellen Freiheit ist Jahrhunderte alt. Mindestens. Mit fundierter Begründung kann man ihre tiefsten Wurzeln in der Exodus-Geschichte der Bibel erkennen. So alt diese Idee ist, so alt ist auch der Kampf ihrer Protagonisten gegen die Vertreter der Gegenposition, nämlich die Idee, dass eine „Elite“ über den großen Rest der ihr untergebenen Masse an Menschen herrschen sollte. Dass dies legitm sei, wenn diese Elite angeblich erleuchtet und/oder sonstwie, zum Beispiel rassisch, „besser“ als der Rest ist. Es ist die Idee einer Elite, die sich anmaßt, die einzig richtige Vorstellung der Ordnung zu haben, unter der jeder einzelne Mensch zu handeln und gar zu denken habe. Einer Elite, deren Mitglieder ihren Untertanen die Entdeckung einer für sie vorteilhafteren Ordnung nicht zutrauen. Oder die ihr diese durchaus zutrauen, die aber eine solche Ordnung kategorisch ablehnen, weil sie sich selbst für gottgleich halten und auf Grundlage dieser pathologischen Verblendung in Versuchen, solche auf Freiwilligkeit basierenden Ordnungen zu errichten, frevelhafte Infragestellungen ihrer Sonderstellung wittern – womit sie durchaus recht haben.

Die Mitglieder der Herrscherklasse meiden natürlich das Eingeständnis einer solchen Motivation wie der Teufel das Weihwasser, da sie sich damit selbst als die Psycho- oder Soziopathen entlarven würden, die sie sind. Weil der Libertarismus ihnen einen sehr klaren Spiegel vorhält, meiden sie die ehrliche Auseinandersetzung mit ihm. Das heißt aber nicht, dass sie dessen Ideen nicht wahrnehmen. 

Ich schreibe seit gut 20 Jahren mehr oder weniger regelmäßig für eigentümlich frei und jetzt auch für Freiheitsfunken. In diesem Umfeld sammeln sich die Freiheitsbewegten des deutschsprachigen Raums. Oft genug konnte ich im Verlauf dieser Jahre beobachten, dass ein relativ obskures, nicht-aktuelles Thema, das ich zufällig in einem Artikel angerissen hatte, etwa zwei Wochen später – befreit von allen libertären Gedanken – auf den Seiten von zum Beispiel „Spiegel Online“ auftauchte, einem der wichtigsten Propagandarohre der transatlantisch eingenordeten Herrscherklasse in Deutschland. Anderen ef-Autoren wird es sicherlich ähnlich ergangen sein. Während also die Elite die libertäre Ideenwelt mit Argusaugen argwöhnisch beobachtet, tut sie ihr Möglichstes, sie demonstrativ „nicht mal zu ignorieren“.

Besser gesagt: Sie tat es. Neuerdings ist in unseren Breiten aus der passiven Diskursverweigerung eine aktive geworden. Soviel ist seit dem Erscheinen im vergangenen Herbst eines Buches von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey klar. Ein Buch mit dem absurden Titel „Gekränkte Freiheit – Aspekte des libertären Autoritarismus“. Ich sah das vom Suhrkamp Verlag herausgebene Werk Ende Oktober in der Auslage einer Filiale einer großen Buchhandelskette in einer norddeutschen Großstadt. Auf dem Rücken des eingeschweißten Produkts wurde aus der Besprechung ausgerechnet der „Spiegel“ zitiert: „Kritische Theorie hat selten mehr eingeleuchtet.“  

Schon von außen war also zu erkennen, dass dieses Werk eine von der Herrscherklasse in Auftrag gegebene Schmähschrift war, ein Versuch, eine gegen den Libertarismus gerichtete üble Nachrede in populärwissenschaftlichem Gewand zu präsentieren. Geschrieben von Anwärtern auf höhere Weihen der Elite. Laut Amazon ist es am 10. Oktober 2022 erschienen und inzwischen – Stand Anfang Februar 2023 – „Nr. 1 auf der Sachbuch-Bestenliste (DLF Kultur/ZDF/Die Zeit)“.

Diese neue, aggressivere Reaktion der Elite auf ihre grundsätzlichsten, nämlich libertären Gegner erforderte eine schnelle, gründliche und umfassende Antwort. Stefan Blankertz greift den Fehdehandschuh momentan auf und zerpflückt in seinen jüngsten fünf Freiheitsfunken-Kolumnen die Argumente Amlingers und Nachtweys, bis nichts mehr übrigbleibt. Der anarchokapitalistische Theoretiker ist einer der ersten deutschen Libertären in der Tradition des Amerikaners Murray Rothbards, der wiederum der brillanteste Schüler des genialen Vertreters der Österreichischen Schule, nämlich Ludwig von Mises, war. Blankertz ist darüber hinaus ein fundierter Kenner und Analyst der „Frankfurter Schule“ und ihrer „kritischen Theorie“. Er weiß die in ihr schlummernden libertären Elemente zu identifizieren und hervorzuheben. Kaum jemand in Deutschland ist daher besser geeignet, eine kompetente Replik auf „Gekränkte Freiheit“ zu schreiben, und ich bin ihm sehr dankbar, dass er diese Herausforderung annimmt.

„Gekränkte Freiheit“ ist kein seriöses Werk. Es scheint, als sei sein Zweck, als propagandistische Munitionsaufstockung in Reserve zu dienen. Sollte der Libertarismus für die Elite materiell ungemütlich werden, hoffen ihre Propagandisten offenbar, dieses scheinseriöse Buch hervorkramen und irgendetwas daraus zitieren zu können, die Autoren zu Interviews einzuladen und so mit vielen pseudointellektuellen Aussagen die steigende Flut freiheitlicher Gesinnung zurückzudrängen.

Warum das Buch gerade jetzt erscheint, ist nicht schwer zu erraten: Der tyrannische Impuls, der totalitäre Instinkt, dem die Autoren dienen, hat in der Coronakrise mächtig zugelegt. Der Umfang des ihm diesbezüglich entgegentretenden Widerstands hat ihn aber überrascht – und bereitet ihm Sorgen. Die große Masse der „Querdenker“ ist nicht libertär – sie war meist sehr etatistisch, also staatsgläubig. Die Betonung liegt auf „war“. Diese Menschen sind jetzt auf der Suche nach neuer Orientierung. Die Herrscherklasse fürchtet offenbar, dass viele den Libertarismus entdecken und attraktiv finden werden. Daraus könnte sogar eine anti-etatische „kritische Masse“ erwachsen. Deshalb glaubt die Elite, prophylaktisch vor dem Libertarismus warnen zu müssen.

Amlingers und Nachtweys rühriges Plädoyer, dass der Staat doch „ein Instrument zur Durchsetzung sozialer Fortschritte“ sei, klingt schon fast wie Stasi-Mielke im Endstadium: „Ich liebe doch alle Menschen.“ Die beiden Autoren glauben, den typischen Libertären als „ein atomares, gleichzeitig unbeschränktes Individuum“ charakterisieren zu können, „das auf (fast) nichts und niemand Rücksicht nimmt außer auf sich selbst“. In Ergänzung zu Blankertz‘ kühler, logisch-theoretischer Dekonstruierung dieser Diffamierung biete ich ein Zitat eines Zeitgenossen, der einen selten-ehrlichen Blick von außen auf das libertäre Milieu unternahm. Oliver Uschmann schrieb im Buch „20 Jahre eigentümlich frei“, das 2017 im Lichtschlag-Verlag erschien:

„Was ich ‚allein unter Libertären‘ aber jedes Mal feststellen konnte, war, dass diese fremde Gemeinschaft ihre Gäste außerordentlich gut behandelt. In keiner anderen Subkultur – und ich habe sehr viele von ihnen gesehen – erlebte ich eine so angenehme Kombination aus hohem Bildungsniveau, guter Kinderstube, gegenseitigem Respekt und rheinischer Fröhlichkeit, die von den Machern in Düsseldorf“ – gemeint ist ef – „offensichtlich auch auf die Mitarbeiter überschwappt, die in Berlin, Hamburg, München oder Wien beheimatet sind.“ Dem vorherrschend „gutherzigen Typus“ des Libertären sei „verschmitzter Humor und Selbstironie nicht fremd“. Auch wenn man dies, wie Uschmann hinzufügt, „den Texten nicht immer anmerkt.“ Warum das so ist, ist leicht zu erklären: Der typische Libertäre mag gutherzig sein, ist aber auf keinen Fall naiv.

Der typische Libertäre weiß, dass auch seine Freiheit bedroht ist, wenn die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Auch wenn der Angriff perfide, hinterhältig und sympathieheischend daherkommt, erkennt er dahinter den tyrannischen, totalitären Impuls. Stefan Blankertz, ein typischer, ja urtypischer und, wie ich persönlich bezeugen kann, äußerst gutherziger Libertärer, weiß sich zu wehren, wie die unten verlinkten Kolumnen beweisen.

Libertärer Autoritarismus? Teil 1: Freiheit ist Sklaverei

Libertärer Autoritarismus? Teil 2: Dialektik der Gegenaufklärung

Libertärer Autoritarismus? Teil 3: Unterstellte Theorielosigkeit

Libertärer Autoritarismus? Teil 4: Im Fadenkreuz: Konsensleugner

Libertärer Autoritarismus? Teil 5: Gekränkte Herrschaft


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