Streitgespräch zwischen „rechts“ und „links“: Kooperation oder Staatsgewalt
Welcher Weg führt zu einer besseren Welt?
von Robert Grözinger
Am 21. März wurde ein außergewöhnliches Streitgespräch veröffentlicht. Es ist ein Lehrstück darüber, was „rechts“ und „links“ voneinander trennt, und wer derzeit die besseren Argumente hat.
In Zeiten, in denen die meisten Menschen sich in ihre Meinungsblase zurückziehen und kaum mehr mit einem Andersdenkenden sprechen, geschweige denn diskutieren, ist es bemerkenswert, wenn zwei Meinungsführer aus unterschiedlichen Blasen diese allgegenwärtige „Brandmauer“ durchbrechen und eine lebhafte, in die Tiefe gehende Debatte führen. Besonders dann, wenn aus dieser Debatte Lehren über jeweilige grundsätzliche Sichtweisen gezogen werden können.
So geschehen vor wenigen Tagen. Der kanadische Psychologe Jordan Peterson, der hier schön öfters vorgestellt wurde, diskutierte kürzlich mit dem amerikanischen Livestreamer und politischen Kommentator „Destiny“, Realname Steven K. Bonnell II. Peterson wird gemeinhin als „rechts“ empfunden: Er ist ein Klimawandelskeptiker, oder zumindest ein Skeptiker der bisherigen Maßnahmen dagegen; ein Lockdowngegner und Impfskeptiker; er analysiert und kritisiert schärfstens den „Diversity, Equity and Inclusion“-Kult. Am entschiedensten wendet er sich in diesem Bereich gegen Pubertätsblocker und die geschlechtliche Umoperation von Minderjährigen.
Bonnell war nach eigenen Angaben früher ein „Bush-Konservativer“, unterstützte zunächst den Irakkrieg, im Jahr 2008 jedoch die Präsidentschaftskampagne des Kriegsgegners Ron Paul. In der Zeit las er Ayn Rand. Als der 35-Jährige als Videospielstreamer viel Geld zu verdienen begann, habe er ein Bewusstsein für die Einkommens- und Chancenunterschiede in Amerika entwickelt. Aus seiner Wikipedia-Seite geht hervor, dass er auch heute noch für den Kapitalismus ist. Seit 2016, dem Jahr der Wahl Donald Trumps als Präsident, wandte er sich zunehmend gegen „rechte“, insbesondere „alt-right“-Kommentatoren auf Youtube und gilt seither als Linker. Sein Youtube-Kanal hat 770.000 Abonennten und 20 bis 50 Millionen Abrufe pro Monat.
Da Bonnell, auch in der Debatte mit Peterson, die Vorzüge der Marktwirtschaft über den Sozialismus betont, kann er in der deutschen politischen Landschaft vermutlich am ehesten mit „rechten“ Sozialdemokraten gleichgesetzt werden, eine Gruppe, die „Kanaler“ genannt wird – falls es diese noch gibt. Er befindet sich somit am „Rand“ seiner eigenen Blase, was vermutlich das Zustandekommen der Diskussion mit dem auf der linken Seite des Spektrums allseits gefürchteten 61-jährigen Gelehrten erleichterte. Dennoch dienen seine Aussagen als wertvolle Hinweise darüber, wie man in seiner Blase so „tickt“.
Diese beiden wortagilen Kommentatoren fochten insbesondere über die Klima- und Coronapolitik. Das Gespräch ist auf Rumble abrufbar, siehe Link unten.
Peterson gewann das Streitgespräch in praktisch jeder Hinsicht. Interessanter aber als meine auf zugegebenermaßen parteiischer Basis stehende Bewertung des Debattenausgangs ist die zu beobachtende Dynamik. Was ich damit meine: Wie geht die eine Seite mit den Argumenten der anderen um, wie behandelt sie sie? Genau hier zeigt sich die Schwäche der linken Seite.
Beispiel: Als die beiden Streithähne über Klimapolitik debattieren, sagt Peterson: „Die Datenlage ist in hohem Maße kompromittiert. Es sind keine Daten, es sind Vermutungen. ‚Wir werden die Armen in der Zukunft retten‘ – das haben schon die Kommunisten gesagt. Die Alternative ist, dass die Eliten aufhören, eine utopische oder anti-dystopische Zukunft zu entwerfen. Diese Politik wirkt sich bereits jetzt auf die Armen der Welt aus. Die Zahl der Menschen, denen Entbehrungen drohen, ist in den vergangenen sechs Jahren von 100 Millionen auf 350 Millionen gestiegen. Afrikanische Länder erhalten keine Kredite von der Weltbank, wenn sie ihre Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen ausbauen möchten. Und warum setzen sich die Grünen nicht für die Atomkraft ein? Die Linke will den Armen helfen? Aber sie tut alles, um die Armen zu vernichten. Im Verlauf dessen auch noch die Umwelt zerstört wird.“
Daraufhin fällt Bonnell nichts anderes ein, als zu sagen: „Nehmen wir an, Sie haben recht. Was ist dann das Ziel?“ Er hat also hier kein Gegenargument. Stattdessen hebt er die Debatte auf eine andere Ebene. Wo die Linke immer hofft, besser dazustehen: Wir haben ein hehres Ziel. Der oft verschwiegene Hintergedanke: Welches zu erreichen die Mittel heiligt.
Peterson fällt nicht auf diese Finte herein und destilliert das weniger hehre Ziel der Gegenseite: „Manche Leute sagen, es gibt zu viele Menschen auf dem Planeten. Das klingt mir, als habe Satan selbst die Macht über diese Leute errungen. Wer soll denn sterben? Im Übrigen: Genozidale Gesellschaften entstehen normalerweise zusammen mit utopischen Visionen.“
Nach einigem Hin und Her sagt Bonnell dann: „Vielleicht sind die Leute einfach falsch informiert und ignorant, statt den Planeten entvölkern zu wollen? Warum sonst sollten sie so viel Geld dafür ausgeben, um die Armen in der Welt zu füttern und medizinisch zu versorgen?“
Daraufhin Peterson: „Ein Teil davon ist Verwirrung. Ein anderer Teil ist unbewusste Missgunst.“ In der Tat: So wie nationale staatliche Wohlfahrt zu nationaler Verwahrlosung führt, so verwahrlost auch internationale Sozialhilfe das Leben in sogenannten Entwicklungsländern. Für manche eine unbeabsichtigte Wirkung. Für andere aber die reale, gewollte Auswirkung einer vielleicht unbewussten Missgunst – und auch eines neokolonialen Überlegenheitsdünkels.
Eine ähnliche Wendung Bonnells beobachten wir, wenn es zum Thema Covid-Impfungen kommt. Als Peterson ihm daralegt, wie schädlich es für die Gesellschaft war, Impfungen verordnen zu wollen, weicht Bonnell wieder aus und sagt, Freiheitsbeschränkung war nicht das Hauptargument der Impfgegner, sondern die Furcht vor massenhaften Nebenwirkungen, massenhaften Todesfällen, Korruption und „noch Verrückteres“. Alles Sachen, die „nicht eintraten.“
Peterson protestiert und fragt: Was ist mit den überschüssigen Sterbefällen von ungefähr 20 Prozent allein in Europa? Womit er zwar Recht hat, aber in diesem Fall nicht den Kern der Ausweichtaktik Bonnells trifft. Besser wäre gewesen, er hätte hier gefragt: Was macht das schon, wenn das „damals“ nicht das Hauptargument war? Was im Übrigen zu bezweifeln ist. Wie auch immer: Das macht das Argument jetzt nicht falscher oder schwächer.
Aus der ganzen Debatte schält sich dieser Hauptunterschied in den Ansätzen der beiden Kontrahenten heraus: Bonnell, der „Linke“, will das materielle Wohlergehen in der Welt fördern. Dafür ist ihm auch das Mittel der Gewalt recht. Auch dann, wenn die Systeme, welche mit Gewalt die notwendigen Maßnahmen durchsetzen, Psychopathen anziehen. Außerdem glaubt er an Wissenschaft durch Konsens.
Peterson, der „Rechte“, weiß, dass Wissenschaft kein Konsensgeschäft ist. Er betrachtet außerdem staatliche Gewalt lediglich als die notwendige Ausnahme von einer wichtigen Regel. Diese Regel ist, dass erfolgreiche Gesellschaften auf Kooperation aufbauen. Die notwendige „Gewalt“ ist seiner Ansicht nach in Wirklichkeit die Durchsetzung des für diese Kooperation notwendigen Rechts; und zwar mit dem Ziel, so schnell wie möglich eine funktionierende Kooperation wieder herzustellen und das Prinzip der Kooperation zu verteidigen. Mit anderen Worten: Der Zweck heiligt die Mittel nicht.
Das passt übrigens zum Eingangsstatement Bonnells, als er von Peterson aufgefordert wurde, den Grundunterschied zwischen politisch links und rechts zu definieren: Linke, sagt er, wollen die Welt mit Hilfe des Staates, also Steuergeldern, verbessern; Rechte dagegen mit Organisationen freiwilliger Zusammenarbeit. Aus dieser Stellungnahme des Amerikaners können wir ableiten: Es gibt Leute, die glauben, die Welt mit Gewalt verbessern zu können und zu dürfen. Und er gehört dazu. Es gibt andere, die dies nur auf freiwilliger Basis wollen. Der Unterschied ist der, dass die „Kooperativen“ mit Demut und Geduld an die Herausforderungen herangehen, die ihnen die Welt anträgt; den „Gewalttätigen“ dagegen fehlt diese Demut und Geduld.
Die beiden sind sich jedoch einig darüber, dass, wenn die Rechten wieder, auch kulturell, an die Macht kämen, sie ebenso versucht wären, mit Hilfe von Staatsgewalt „cancel culture“ auszuüben. Peterson fragte: „Wie können wir diesen Impuls abschwächen?“ Bonnell: „Über die Verfassung. Dezentralisierte Regierung und Gewaltenteilung.“ Peterson ergänzt: „Wir brauchen auch psychologische und philosophische Schutzmechanismen. Wir müssen dem Gebrauch der Macht entsagen können.“ Und dann der Kernsatz: „Jegliche Politik, die Gewalt und Zwang benötigt, muss mit extremer Vorsicht behandelt und mit extremem Skeptizismus betrachtet werden.“ Stattdessen sollten wir in der Regel auf das klärende Gespräch setzen.
Peterson, kann man festhalten, geht, was „klärende Gespräche“ angeht, mit vorbildlicher Entschlossenheit voran. Bonnell ist zu danken, dass er sich dem Gespräch mit dem ihm weitaus überlegenen Kanadier stellte, der sich immer mehr zu einer führenden Figur des Widerstands gegen die aufziehende globale Tyrannei größenwahnsinniger Psychopathen entwickelt. Bonnell selbst ist sicher kein Psychpath. Er ist, trotz seines Erfolges auf Youtube, in vielerlei Hinsicht nur eine „Randfigur“ der linken Blase. Aber in dem Gespräch mit Peterson diente er ungewollt einem wichtigen Zweck: Der Klärung der Fronten.
„Streaming, Politics and Philosophy“, Streitgespräch zwischen Jordan Peterson und Steven K. Bonnell II (rumble.com, englisch)
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