Dritte Welt: Nützt Entwicklungshilfe armen Ländern?
Über teure Almosen
von Olivier Kessler
Seit der Verabschiedung der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen wurde die staatliche Entwicklungshilfe der Geberländer nahezu verdoppelt. Auch der Schweizer Zentralstaat – der Bund – beteiligt sich und steuert als Ziel jedes Jahr 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungshilfe bei. Im Jahr 2018 etwa wendete die Schweiz über drei Milliarden Franken dafür auf. Mit den zusätzlichen Entwicklungshilfe-Milliarden sollte insbesondere die schleppende Entwicklung in armen Ländern in Gang gebracht werden. Doch welchen Erfolg hat die Entwicklungshilfe vorzuweisen? Hat sie dazu beigetragen, nachhaltige Strukturen und Institutionen zu schaffen, dank denen die Entwicklungsländer der Armut entkommen konnten?
Ein Aufschluss darüber, wie solche Strukturen und Institutionen auszusehen haben, gibt der Index für wirtschaftliche Freiheit, der in der Schweiz vom Liberalen Institut mitherausgegeben wird. Der Index bestätigt regelmäßig den engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Freiheit und Wohlfahrtsentwicklung. Primäres Ziel der Entwicklungshilfe müsste es also sein, freiheitliche Rahmenbedingungen zu fördern.
Die Studie „Ernüchternde Bilanz der Entwicklungshilfe“ des Liberalen Instituts aus dem Jahr 2016 analysierte die 40 Länder, die vom Bund im Jahr 2015 Entwicklungshilfe in Höhe von mindestens 15 Millionen Franken erhalten haben, und verglich damit die Entwicklung der jeweiligen Länder im Index wirtschaftlicher Freiheit. Vergleichswerte lagen für 34 der 40 Länder vor. Acht dieser Staaten konnten Ränge im Ranking des Index gutmachen. Ganze 26 Länder verloren an Boden und fielen relativ zu den anderen untersuchten Staaten zurück.
Betrachtet man die absoluten Indexwerte, sieht das Ergebnis noch ernüchternder aus: Lediglich sechs der 34 untersuchten Empfängerländer konnten sich in besagter Periode um mehr als einen Punkt im Index für wirtschaftliche Freiheit verbessern. Sieben Länder verschlechterten dagegen trotz der Hilfegelder ihre absoluten Indexwerte. Mit anderen Worten haben sich in diesen Ländern die für ein wirtschaftliches Wachstum unabdingbaren Rahmenbedingungen verschlechtert statt verbessert. Dies traf konkret auf Mosambik, Bolivien, Mali, Libanon, Tschad, Iran und Ägypten zu. Die restlichen 21 Länder dümpelten vor sich hin, ohne nennenswerte Fortschritte zu machen – und dies trotz (oder vielleicht gerade wegen) signifikanter Entwicklungshilfebeträge, die ins Land strömten.
Die enttäuschende Bilanz der Schweizer Entwicklungshilfe bestätigt den heutigen Stand der Forschung: Etliche Studien weisen die Wirkungslosigkeit respektive sogar die Schädlichkeit der Entwicklungshilfe nach. Die Entwicklungshilfe hat daher einen besseren Ruf, als sie verdient. Das liegt mitunter auch am irreführenden Namen. „Entwicklungshilfe“ impliziert, dass einem Land dabei geholfen werde, sich besser zu entwickeln – wer kann da schon etwas dagegen haben? Doch die Dinge liegen komplizierter.
Unbestritten ist die freiwillige und kurzfristige Hilfe bei Katastrophen, wobei es den richtigen Fokus und das adäquate Ausmaß im Auge zu behalten gilt. Es geht primär um die Hilfe zur Selbsthilfe, nachdem eine Region durch unvorhergesehene Ereignisse wie einen Tsunami, ein Unwetter oder eine Hungersnot hart getroffen worden ist. Die fundamentalsten menschlichen Bedürfnisse sollen weiterhin befriedigt werden können, während man um den Wiederaufbau besorgt ist.
Hilfe von außen ist – abgesehen von der punktuellen Katastrophenhilfe – kontraproduktiv. Äußerst nachteilig ist Entwicklungshilfe etwa in Form einer Einführung von Gratis-Artikeln und kostenlosen Lieferungen in das betroffene Land. Diese weisen ungewollte Nebeneffekte auf. Sie reduzieren die Anreize für das Unternehmertum in der betroffenen Region. Werden beispielsweise kostenlose Produkte wie Betten, Schuhe oder Nahrung von ausländischen Entwicklungshilfeorganisationen angeboten, so wird der lokale Unternehmer, der bislang vom Verkauf dieser Produkte gelebt hat, aus dem Markt gedrängt. Er geht in Konkurs, weil niemand mehr seine Produkte kauft. Warum sollte dies auch noch jemand tun, wenn es diese Produkte nun kostenlos gibt? Der Unternehmer verliert sein Einkommen, seine Selbständigkeit und wird ebenfalls abhängig von der Hilfe aus dem Ausland. Außerdem geht dem betroffenen Land unternehmerisches Know-how und Kapital verloren. Mehr Entwicklungshilfe führt also nicht zu einer besseren Entwicklung, sondern schafft mehr Entwicklungshilfe-Abhängige und die oberflächliche Rechtfertigung für eine weitere Erhöhung der Entwicklungshilfe. Ein Teufelskreis.
Auch staatliche Direktzahlungen an Regierungen in Entwicklungsländern haben eine ganze Reihe negativer Konsequenzen. Erstens wird dadurch Korruption gefördert – insbesondere dann, wenn Regierungen mit frei verfügbarem Geld versorgt werden. Je höher die Beträge, die eine Regierung erhält, desto leichter und unauffälliger können Gelder, die für das Allgemeinwohl bestimmt sind, in eigene Taschen und die Taschen nahestehender Personen und Unternehmen umgeleitet werden.
Weiter erscheint die Eroberung der Staatsmacht mit steigenden Entwicklungshilfesummen umso attraktiver. Dies äußert sich nicht nur in einer unverhältnismäßigen und entwicklungsschädlichen Aufblähung staatlicher Bürokratien. Die Aussicht auf ein hohes Einkommen ohne produktive Tätigkeit kann zudem viele Personen und Gruppierungen dazu verleiten, die Machthaber stürzen zu wollen – was nicht selten in bewaffnete Konflikte oder Bürgerkriege mündet, welche die wirtschaftliche Entwicklung enorm und über lange Zeiträume hinweg erschweren.
Dauerhafte Entwicklungshilfe führt bei politischen Entscheidungsträgern in Entwicklungsländern außerdem zu mangelndem Reformwillen, obwohl gerade liberale Reformen und der Schutz von Eigentumsrechten der erfolgversprechendste Weg zu höheren Lebensstandards wären, wie der peruanische Ökonom Hernando de Soto in seiner Forschung betont. Für das politische Personal besteht dank sicherer Einnahmen durch die Entwicklungshilfe keine Notwendigkeit zur Verbesserung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen.
Warum machen sich denn angesichts dieser überwältigenden Nachteile immer noch so viele Kräfte für die Weiterführung und Ausweitung der Entwicklungshilfe stark? Entwicklungshilfe nützt vor allem den Entwicklungshilfe-Organisationen selbst. Sie bieten vielen Mitarbeitern das oberflächliche Flair, sich für das moralisch Gute einzusetzen, und befriedigen damit ein weitverbreitetes Hilfsbedürfnis. Wenn die Entwicklungshelfer den Hunger und die Missstände in armen Ländern tatsächlich besiegen würden, bräuchte es ihre Stelle nicht mehr. Die niederländische Journalistin Linda Polman beschreibt in ihrem lesenswerten Buch „Die Mitleidsindustrie: Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen“ (2010) eindrücklich, wie das Buhlen um Spendengelder absurde Züge angenommen hat und das Leid in Entwicklungsländern dadurch vergrößert wird. Ein erster Schritt zu einer besseren Entwicklung wäre daher, die „Entwicklungshilfe“ einzustellen.
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