Gehaltsdebatte: Sind hohe Löhne und Boni Abzockerei?
Es kommt auf den Nutzen für die Allgemeinheit an
von Olivier Kessler
Eine Ursache für das weitverbreitete Unverständnis hohen Löhnen gegenüber ist die Verallgemeinerung des Mittelstandsdenkens. In seiner Studie „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ beschreibt Rainer Zitelmann diese Verabsolutierung von Werten der Mittelschicht anhand des Beispiels eines CEOs einer Firma, der 100- oder 300-mal mehr verdient als der am geringsten bezahlte Arbeiter des Unternehmens. Dieser Lohnunterschied könne aus Sicht eines typischen Angehörigen der Mittelschicht nicht durch Leistungsunterschiede gerechtfertigt werden, weil sich das Gehalt diesem Verständnis nach hauptsächlich aus der Anzahl geleisteter Arbeitsstunden und dem Maß der Anstrengung zusammensetze. So gesehen sei es unmöglich, dass der CEO 100- oder 300-mal länger arbeiten oder sich um so viele Male mehr anstrengen könne als der schlechtbezahlteste Mitarbeiter, was einen derartigen Lohn als unverdiente „Abzockerei“ entlarve.
Die Vorstellung, dass der Lohn einzig auf die geleisteten Arbeitsstunden zurückzuführen sei, geht auf die falsche Arbeitswertlehre von Karl Marx zurück und letztlich auch auf Missverständnisse klassischer Ökonomen wie Adam Smith und David Ricardo, die Marx beeinflussten. Doch dieses fehlgeleitete Verständnis wurde längst von Ökonomen der Österreichischen Schule – allen voran Eugen Böhm von Bawerk – widerlegt. Mit ihrem subjektivistischen Ansatz haben sie gezeigt, dass der Wert eines Produkts nichts Objektives, sondern etwas Subjektives ist. Der Preis eines Gutes kommt nicht aufgrund von objektiv nachprüfbaren Arbeitsstunden zustande, sondern aufgrund der subjektiven Beurteilung der beim Tausch involvierten Personen.
Was dieses Mittelstandsdenken deshalb außer Acht lässt, ist die Tatsache, dass sich auch ein Lohn nicht nur aus der geleisteten Arbeitszeit oder der Anstrengung zusammensetzt. Für den wirtschaftlichen Erfolg können geradeso gut innovative Ideen oder ein ausgebautes persönliches Netzwerk entscheidend sein. Das Maß der Anstrengung interessiert die allermeisten Konsumenten nicht. Entscheidend sind vielmehr die Ergebnisse und das Ausmaß des gestifteten Nutzens für den Verbraucher. Ob dieser Nutzen nun mit großem zeitlichen Effort oder durch eine geniale Erfindung geschaffen wird, ist für die meisten zweitrangig.
Eine zweite Ursache für die Verunglimpfung hoher Einkommen ist der weitverbreitete Nullsummenglaube. Dieser führt zur Annahme, reich zu sein sei per se unmoralisch, weil Reichtum nur auf Kosten der Armen möglich sei. Man müsste demnach den Armen den ihnen zustehenden Anteil durch staatliche Umverteilung zurückgeben, um Gerechtigkeit herzustellen. Doch die Wirtschaft sollte nicht mit einem im Laufe der Zeit immer gleich großen Kuchen verglichen werden, bei dem alle anderen ein kleineres Stück bekommen, wenn einer ein größeres Stück erhält. Die internationale Arbeitsteilung, Spezialisierung und Kooperation haben den Kuchen vielmehr anwachsen lassen — und das seit der Industrialisierung in einem unfassbar starken Ausmaß. Einkommen, Lebensdauer und Komfort haben sich massiv erhöht. Hungersnöte und Massenarmut sind für heutige Generationen in Wohlstandsländern zu surrealen Phänomenen verkommen. Der Nullsummenglaube ist ein Irrglaube.
Hinter dem Vorwurf der Abzockerei steckt nicht selten auch der Neid. Man mag es anderen nicht gönnen, mehr zu verdienen als man selbst. Die Forderungen nach einer Lohnobergrenze, einer Bonisteuer, einer Vermögenssteuer oder einer progressiven Einkommenssteuer werden deshalb oft nicht aus Sorge um die Armen, sondern aus Missgunst gegenüber materiell Bessergestellten gefordert. Allerdings wäre es für alle Gesellschaftsmitglieder vorteilhafter, wenn die Betroffenen ihre Neidgefühle in etwas Positives und für alle Nützliches umwandeln würden. Etwa dadurch, indem sie als Angestellte durch herausragende Leistungen höhere Positionen und höhere Saläre anstreben, und als Unternehmer dadurch, indem sie die Bedürfnisse der Allgemeinheit besser als andere befriedigen und dadurch mehr Marktanteile gewinnen. Durch ethisch verträgliche Maßnahmen also, mit denen man niemandem etwas wegnimmt, sondern anderen zusätzlichen Nutzen stiftet.
Hohe Löhne sind keineswegs per se etwas Schlechtes oder Unmoralisches, sondern etwas Erstrebenswertes. Je höher die realen Löhne in einer freien Marktwirtschaft wachsen, desto besser geht es den Menschen. Und was ist schon gegen steigenden Wohlstand und höhere Lebensstandards einzuwenden? Hätte der Staat bereits in den frühen Phasen der kapitalistischen Epoche Löhne ab einer überdurchschnittlichen Höhe steuerlich stark bestraft oder gesetzlich unterbunden, hätte es wohl niemals zum nachfolgenden Wohlstandsschub für breite Massen kommen können, weil dadurch Leistung bestraft und Innovation unterdrückt worden wären.
Bedeutet dies nun, dass es in unserer Gesellschaft gar keine „Abzocker“ gibt? Diesen Schluss zu ziehen, wäre zu voreilig. Manche verwenden den Begriff „Abzocker“ fälschlicherweise als Synonym für Leute, die viel verdienen. Doch dieses Kriterium alleine greift definitiv zu kurz. Denn wer viel leistet, gute Ideen hat und der Allgemeinheit Produkte und Leistungen anbietet, die von dieser besonders geschätzt werden, tut ja deswegen nichts Falsches.
Nur wenige würden die Fußballtalente Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo als „Abzocker“ bezeichnen, weil diese viel verdienen. Um Messi und Ronaldo zu sehen, pilgern Zuschauer aus aller Welt in Fußballstadien, in denen diese auftreten. Sie schauen sich deren Ballkünste und Tricks in Fernsehübertragungen – auch auf Pay-TV-Sendern – an. Und sie kaufen sich deren Trikots. Solchen freiwillig zahlenden Leuten verdanken diese Fußballer ihre hohen Löhne. Würden die Zuschauer und Fans verhindern wollen, dass diese Stars so viel verdienen, könnten sie den Stadien einfach fernbleiben, keine Trikots mehr kaufen und auch keine Sender mehr abonnieren, die diese Spiele übertragen.
Von einem gutverdienenden Unternehmer, der tolle Produkte entworfen hat und sie einer breiten begeisterten Masse verkaufen kann – so wie etwa Steve Jobs oder Bill Gates mit ihren Smartphones und Softwares –, kann man ebenfalls nicht behaupten, dass es sich bei ihnen um Abzocker handelt. Es erscheint daher auch nur logisch, dass jemand, der eine große profitable Firma mit Erfolg leitet, mehr verdient als jemand, der beispielsweise Taxifahrer ist. Denn Taxifahren ist etwas, das fast jeder könnte. Im Gegensatz dazu sind nur wenige Leute in der Lage, eine innovative Firma zu gründen und erfolgreich zu entwickeln.
Abzocker sind vielmehr jene, die für die Allgemeinheit keinen nachweisbaren Nutzen stiften und sich dann trotzdem ein üppiges Salär auf Kosten dieser Allgemeinheit – mittels staatlichen Zwangs – herausziehen. Wir wollen einen Abzocker daher als jemanden definieren, der mehr verdient, als ihm selbst aufgrund seiner Leistungen auf dem freien Markt zustehen würde – mehr also, als ihm die anderen Leute freiwillig für seine Tätigkeiten oder Produkte bezahlen würden.
Bei der staatlichen Verwaltung und bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen wie etwa bei staatlichen finanzierten Radio- und Fernsehstationen ist unklar, welchen Wert sie für die Allgemeinheit schaffen, zumal ihre Produkte und Dienstleistungen nicht von freiwillig zahlenden Kunden finanziert werden. Vielmehr werden ihre Angebote den Menschen aufgenötigt. Dadurch verschaffen sich diese Anstalten unverdiente Einkommen, die ziemlich sicher nicht dem Niveau entsprechen, das ihnen die Menschen freiwillig zahlen würden, zumal bei staatlichen Medienanstalten nicht nur die höchsten Durchschnittsgehälter der Branche bezahlt, sondern auch die Chefetage auf Kosten der Zwangsgebühren-Zahler üppig abkassiert. Wenn es irgendeine „Abzockerei“ zu bekämpfen gibt, dann diese – durch entsprechende Liberalisierungsschritte.
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