23. Mai 2024 06:00

„Fake News“ Glauben Sie gefälligst der Wissenschaft!

Denn das ist alternativlos …

von Olivier Kessler

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Bildquelle: MikeDotta / Shutterstock Weltweit durch „die Wissenschaft“ legitimiert: Maskenzwang und soziale Distanzierung

Mit Verweis auf Aussagen von Forschern und Studien werden heute oftmals Sachzwänge behauptet, die ein bestimmtes Eingreifen des Staates als „alternativlos“ erscheinen lassen. Besonders augenscheinlich sind diese Tendenzen aktuell in den Bereichen Gesundheits- und der Klimapolitik. Wer die behaupteten Sachzwänge bezweifelt, wird oft als „Wissenschaftsleugner“ abgestempelt und aus der öffentlichen Debatte „gecancelt“. Es sei solchen Kritikern abhandengekommen, etwas anzuerkennen, womit sie nicht verhandeln könnten. Es gelte, das zu akzeptieren, was die Wissenschaft bewiesen habe. Was aus wissenschaftlicher Sicht getan werden müsse, das müsse eben getan werden.

Wer sich gegen diese Notwendigkeit stelle, handle verantwortungslos. Solchen Stimmen dürfe man keinesfalls auch noch eine Plattform bieten. Soziale Medien sind deshalb bestrebt, Beiträge, die „wissenschaftlichen Befunden“ widersprechen, umgehend zu löschen oder sie zumindest mit „Fake News“-Warnhinweisen zu versehen. Und in vielen Massenmedien erscheinen Gegenthesen meist gar nicht mehr – vermutlich aus Angst, dem diffusen Vorwurf ausgesetzt zu werden, „Verschwörungstheorien“ zu verbreiten und einen entsprechenden „Shitstorm“ zu ernten, der vom dominierenden etatistischen Milieu losgetreten wird.

Das Hinterfragen, Anzweifeln und Erheben von Widerspruch erscheinen aus dieser Perspektive, wonach wissenschaftlich angeblich alles Relevante geklärt sei, nur als lästig. Es sei schlichtweg unnötig, weiter über etwas zu diskutieren, worüber bereits Klarheit herrscht. Unnötiger Zweifel steht einer raschen Umsetzung des wissenschaftlich Empfohlenen nur im Weg, womit wertvolle Zeit verloren geht. So wird beispielsweise unter Einforderung eines Klima- oder Gesundheitsnotstands gewarnt, es müsse sofort etwas getan werden, sonst sei es zu spät.

Doch wer oder was ist „die Wissenschaft“ überhaupt? Wer entscheidet, welche der vielen Studien nun Gewicht im öffentlichen Diskurs erhalten, welche Fachdisziplinen für eine konkrete Fragestellung als relevant erachtet werden, welche Methoden die geeigneten sind? Wer wählt die sogenannten „Experten“ aus, die Sachzwänge behaupten und der Politik „wissenschaftliche“ Handlungsanweisungen erteilen? Das sind Fragen, die in der öffentlichen Debatte viel zu wenig diskutiert und beleuchtet werden.

Die Instrumentalisierung der Wissenschaft für politische Zwecke ist eine Gefahr für liberale Gesellschaften. Der Einzelne soll mit Hinweis auf „wissenschaftliche Erkenntnisse“ bis ins Kleinste kontrolliert und verwaltet werden, so als ob „die Wissenschaft“ ein für alle Mal festlegen könnte, was als sakrosankt zu gelten hat und nicht mehr hinterfragt werden darf. Ein solches Verständnis hat mit der ursprünglichen Bedeutung von Wissenschaft nichts mehr zu tun: „Wissenschaft“ wird so zu einer quasireligiösen Autorität erhoben, anstatt sie als eine unkorrumpierbare Methode und einen unbestechlichen Prozess zur Annäherung an die Wahrheit zu sehen. Die Verfechter eines derartigen Wissenschaftsverständnisses plädieren für den neuen Imperativ „Glaubt der Wissenschaft!“ – ohne die Absurdität ihrer Forderung zu erkennen.

Der Philosoph Karl R. Popper (1902–1994) argumentierte, Wissenschaft setze nicht unhinterfragbare Glaubenssätze, sondern Thesen voraus, die falsifiziert werden könnten (wobei dieser Grundsatz nicht auf alle Wissenschaften zutreffen muss, insbesondere nicht auf die a priori Wissenschaften Mathematik, Logik und Praxeologie). Wissenschaft basiert demnach auf einem Wettbewerb der Ideen und widerstreitenden Theorien, die sich bewähren müssen. Die Forderung, der Einzelne oder die Politik habe sich zwingend bestimmten „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ zu unterwerfen und unkritisch zu akzeptieren, ist also weder wissenschaftlich noch mit dem Pluralismus einer offenen Gesellschaft vereinbar.

Natürlich sollten Meinungen von Experten möglichst vorurteilsfrei angehört werden. Selbstverständlich sollten politische Entscheidungen wissenschaftliche Erkenntnisse miteinbeziehen. Dabei darf jedoch weder die Vielfalt der wissenschaftlichen Diskurse außer Acht gelassen werden, noch darf man sich hinter vermeintlichen „Sachzwängen“ verstecken.

Eine offene Gesellschaft zu verteidigen bedeutet, die vielfältigen Ansichten und Bedürfnisse friedlich miteinander in Einklang zu bringen. Voraussetzung dafür ist ein freier Diskurs, nicht eine moralisierende „Cancel Culture“. Letztere will lediglich eine Wahrheitshegemonie durchsetzen, Andersdenkende stigmatisieren und sie als „wissenschaftsfeindlich“ diffamieren, damit man sich nicht mehr mit deren Argumenten auseinanderzusetzen braucht. Dieser Diskurs besteht nicht nur aus den Beiträgen ausgewählter Spezialisten, sondern aus all den Argumenten, Haltungen und Einstellungen, aus denen sich eine öffentliche Meinung über Vermittlungsprozesse unabhängiger Medien bilden kann.

Naturwissenschaften wie die Physik, Biologie und die Chemie befassen sich mit konstanten Beziehungen zwischen Elementen. Sie erkennen diese mit hinreichender Genauigkeit in Laborexperimenten, die beliebig wiederhol- und überprüfbar sind. Die Wissenschaft kann allerdings keine Aussage darüber machen, was jemand oder die Politik nun mit diesen Erkenntnissen tun sollte. Sie ist immer nur deskriptiv, nicht normativ. Sie stellt fest, was ist, nicht was sein soll. Sie kann nicht für jemanden festlegen, was dieser jemand wollen muss. Verschiedene Menschen wollen Verschiedenes, haben unterschiedliche Werte und Präferenzen, verschiedene Bedürfnisse und Ziele, die sich im Laufe der Zeit ändern.

Die Wissenschaft kann also niemals „herausfinden“, „bestätigen“ oder „beweisen“, dass wir alle eine Maske tragen müssen, und dass die Politik einen entsprechenden Maskenzwang einführen muss, selbst wenn die Wissenschaft herausfinden würde, dass eine Maske die Übertragung von Krankheiten reduzieren würde. Die Wissenschaft kann auch keine Aussage darüber treffen, dass jemand seinen CO2-Ausstoss reduzieren und etwas gegen die Klimaerwärmung tun muss, selbst wenn bewiesen werden könnte, dass der CO2-Ausstoss einen signifikanten Einfluss auf das Klima hätte. Denn ob die betroffene Person das so beschriebene „Problem“ überhaupt als solches wahrnimmt und ob sie es als prioritär genug erachtet, um ihre knappen Mittel zur Bewältigung dieses (und nicht eines anderen) Problems einzusetzen, hängt vom individuellen, subjektiven Werturteil ab, und ist keine objektiv unbestreitbare Tatsache.

Entsprechend kann „die Wissenschaft“ auch keine Handlungsempfehlungen zuhanden der Politik abgeben, weil es immer nur subjektive Präferenzen von Einzelpersonen gibt, die in der Werteskala von anderen Menschen nicht den gleichen Stellenwert einnehmen müssen. Ebenso kann sich die Politik auch nicht auf „die Wissenschaft“ stützen, wenn sie vermeintlich „alternativlose“ Gesetze erlässt, die man damit begründet, dass man lediglich dem Rat der Wissenschaft folge. Denn politisches Handeln basiert immer auf der Androhung oder Anwendung von physischer Gewalt, was dazu dient, die Präferenzen von bestimmten Gruppen auf Kosten aller anderen durchzusetzen. Die Wissenschaft kann niemals feststellen, welche Präferenzen richtig und welche falsch sind, weil es sich hier eben um subjektive Werturteile handelt.

Während die einen die Klimaerwärmung um jeden Preis bekämpfen wollen, begrüßen andere, dass es etwas wärmer wird, oder wollen dieselben Ressourcen zum Beispiel lieber in die Krebs- oder Malariaforschung investieren. Oder während die einen den Gesundheitsschutz und die Verlängerung der eigenen Lebenszeit über alles stellen, ist anderen der soziale Kontakt mit anderen (anstelle von „social distancing“) und das Auskosten der vorhandenen Lebenszeit wichtiger. Wie um alles in der Welt soll man hier nun „wissenschaftlich“ feststellen, wer recht hat und wer nicht?


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