Staatsformen: Wenn Demokratie Eigentumsrechte relativieren darf, endet sie im Sozialismus
„Das beste aller denkbaren Systeme des Zusammenlebens“?
von Olivier Kessler
Die Demokratie genießt bei den meisten von uns einen ausgezeichneten Ruf. Demokratie ist zu einem Synonym für Frieden, Freiheit und Wohlstand geworden. Und tatsächlich bringt ein demokratisches System so einige Vorteile mit sich: Es ermöglicht einen unblutigen Machtwechsel, erlaubt politische Mitbestimmung und verschafft dem staatlichen Handeln dadurch eine größere Legitimität. Wenn die Demokratie nicht nur eine repräsentative, sondern eine (halb-) direkte ist, steigt das Interesse sowie das Bewusstsein der Bürger für komplexe gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge und es darf von einem höheren politischen Bildungsgrad ausgegangen werden.
Demokratieverherrlichung ist dennoch fehl am Platz, auch weil im Namen der Demokratie großer Unsinn betrieben wird. Die Demokratie hat fundamentale Schwächen, die verdeutlichen, dass die Welt keineswegs eine bessere wäre, wenn wir bloß überall der Demokratie (militärisch) zum Durchbruch verhülfen.
Ein zentrales Argument für die Demokratie ist jenes, dass sie den friedlichen, unblutigen Machtwechsel ermögliche. Im Gegensatz zu autokratischen oder diktatorischen Regimen ist das natürlich ein Vorteil. Doch wir sollten die Demokratie nicht nur mit offensichtlich dysfunktionalen und unethischen Systemen vergleichen, in denen eine Minderheit eine Mehrheit ausplündert, sondern auch mit möglicherweise funktionalen Alternativen, in denen niemand irgendjemanden ausplündern darf und in denen das Recht für alle gleichermaßen gilt. Das heißt: mit Systemen, in denen niemand legal einen Staatsapparat dazu einsetzen darf, seinen Willen unter Androhung oder Anwendung von Gewalt gegenüber anderen durchzusetzen. Ein solches System wurde weltweit leider noch nirgendwo konsequent umgesetzt. Doch vielleicht ist genau das der Hauptgrund dafür, weshalb es das noch nicht gibt: weil die Bürger meinen, die Demokratie sei das beste aller denkbaren Systeme des Zusammenlebens. Doch wie Lysander Spooner anmerkte: „Ein Mensch ist nicht weniger versklavt, wenn ihm erlaubt wird, alle paar Jahre einen neuen Herrn auszuwählen.“
Oft wird davon ausgegangen, dass Freiheit und Demokratie zwingend zusammengehörten. Doch das ist ein Irrtum. Es gibt undemokratische Länder wie Singapur (der Bertelsmann Transformation Index etwa ordnet Singapur den autokratisch regierten Staaten zu), die eine wesentlich größere Wirtschaftsfreiheit aufweisen als demokratische Länder wie zum Beispiel Deutschland, Frankreich oder Italien. Das autokratisch regierte Singapur weist gemäß aktuellem Index wirtschaftlicher Freiheit sogar eine größere wirtschaftliche Freiheit auf als die Schweiz. Außerdem bietet die Demokratie keinen Schutz gegen Unfreiheit, wie bereits Friedrich A. von Hayek betonte: „Nachdem sich viele Millionen immer wieder in die vollständige Abhängigkeit eines Tyrannen gewählt haben, versteht unsere Generation vielleicht irgendwann, dass die Möglichkeit, seine Regierung wählen zu können, nicht notwendigerweise dazu führt, seine Freiheit zu bewahren.“
Freiheit und Demokratie schließen sich auf der anderen Seite aber auch nicht aus. Es ist durchaus denkbar, mit dem Prozess einer demokratischen Abstimmung zu einem ethisch vertretbaren Resultat zu gelangen. Nämlich dann, wenn vor einer Abstimmung alle von der Abstimmung Betroffenen eingewilligt haben, dass sie mit dem Instrument einer Abstimmung zu einem bindenden Ergebnis gelangen möchten. Liegt diese Einwilligung allerdings nicht vor, handelt es sich bei einer Abstimmung um eine Scheinlegitimation für Gewaltausübung gegen Minderheiten. Dies gilt insbesondere, wenn Abstimmungen lanciert werden, die im Kern nichts anderes sind als Angriffe auf Leben und Eigentum einiger (zum Beispiel eine Sondersteuer für Reiche). In einem solchen Fall trifft der Benjamin Franklin zugeschriebene Ausspruch durchaus zu: „Demokratie, das ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen.“
In den nahezu unbeschränkten Demokratien von heute können die Wähler sich zwar selbst zur Wahl aufstellen und mitbestimmen. Aber sie können eben nicht selbst bestimmen. Ihre eigenen Geschicke liegen nicht in ihren eigenen Händen, sondern in den Händen einer wie auch immer definierten politischen Macht. Es ist offensichtlich, dass es für jeden Einzelnen vorteilhafter wäre, wenn er über seine eigenen Angelegenheiten selbst befinden dürfte, weil wir davon ausgehen, dass jeder seine Situation am besten kennt und besser als andere Menschen einschätzen kann, was gut und schlecht für ihn ist. Es wäre zum Beispiel besser, wenn jeder in einer Pandemie selbst gemäß seiner eigenen Risikoabwägung entscheiden dürfte, ob er sich zu Hause einigeln, zum Selbstschutz eine Maske tragen oder sich einen experimentellen Impfstoff verabreichen und diesen mehrmals auffrischen möchte. Unethisch erscheint hingegen ein System, in dem eine Stimmbürger-Mehrheit allen anderen (auch Nicht-Stimmbürgern wie Minderjährigen und Ausländern) aufzwingen kann, wie sich jeder zu verhalten hat. Die besonders hässliche Seite eines Menschen tritt zutage, wenn dieser aufoktroyierte Verhaltenskodex bei Nonkonformität medial denunziert und bei der Polizei angezeigt wird, damit diese mit Gewalt gegen Abtrünnige durchgreift.
Es kann zudem durch logisches Nachdenken einfach erkannt werden, dass ein liberales System der Selbstbestimmung einem demokratischen System der Mitbestimmung nicht nur ethisch, sondern auch im Hinblick auf die Anhebung des Lebensstandards überlegen wäre. Im reinen Liberalismus stünde im Gegensatz zur ausgedehnten Demokratie nicht die von einer Stimmbürger-Mehrheit befohlene Zwangsausübung im Vordergrund, sondern freiwillige Vertragsvereinbarungen. Während es sich bei einer Zwangsausübung immer um eine Win-lose-Beziehung handelt (eine Gruppe gewinnt auf Kosten einer anderen), entsteht bei freiwillig abgeschlossenen Verträgen aus Sicht der Vertragsparteien immer eine Win-win-Situation. Denn niemand würde freiwillig einen Vertrag abschließen, wenn man dadurch verliert. Weil der Wohlstand kein Nullsummenspiel ist – kein immer gleich bleibender Kuchen, den man einfach jedes Jahr wie von Zauberhand geschaffen aus dem Ofen holen und dann verteilen kann –, wächst der Kuchen umso mehr, je mehr Win-win-Beziehungen entstehen.
Der Ökonom Hans-Hermann Hoppe formulierte in seinem Buch „Demokratie: Der Gott, der keiner ist“ die wohl vernichtendste Demokratie-Kritik, die je geäußert wurde: „Die Demokratie muss sowohl in wirtschaftlicher als auch in moralischer Hinsicht als historischer Fehlschlag beurteilt werden. Demokratie fördert Kurzsichtigkeit, Kapitalverschwendung, Unverantwortlichkeit und moralischen Relativismus. Sie fördert das Demagogentum und den Egalitarismus. Sie ist nach innen gegenüber der eigenen Bevölkerung und nach außen hin aggressiv und tendenziell totalitär. Insgesamt führt sie zu einem dramatischen Anstieg der Staatsmacht. Sie ist ebenso zum Untergang bestimmt, wie der Sowjetkommunismus zum Untergang bestimmt war.“
Winston Churchill (1874–1965) hatte vielleicht recht, wenn er meinte, dass „die Demokratie die schlechteste aller Staatsformen“ sei – „ausgenommen aller anderen“. Doch wir sollten eben nicht nur in „Staatsformen“, sondern wie Roland Baader (1940–2012) auch etwas „out of the box“ denken: „Wir haben tausend Jahre gebraucht, um festzustellen, dass wir keine Kaiser, Könige und Fürsten brauchen, die uns vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Hoffentlich brauchen wir keine weiteren tausend Jahre, um zu begreifen, dass wir dazu auch keine Regierungen, keine Parteien, keine Politiker und keine Funktionäre brauchen.“
Bertelsmann Transformation Index
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