03. August 2024 22:00

Deutschpflicht beim Doktor In einem privaten System gibt es keine Sprachbarrieren

Wenig Empathie mit ausländischen Eltern

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: fast-stock / Shutterstock Unabdingbar beim (Kinder-) Arzt: Eine gute Kommunikation

Mit Kindern in einem fremden Land ohne Sprachkenntnisse zum Arzt zu müssen, ist für viele Eltern ein Albtraum oder zumindest mit einer großen Portion Unbehagen verbunden. Ich kann das gut nachempfinden, schließlich wurde mein Sohn in einem albanischen Krankenhaus geboren, in dem die Kommunikation mit Ärzten und Krankenschwestern auch alles andere als einfach war.

Die Realität ist nun einmal, dass wir in einer Welt mit enormen Migrationsbewegungen leben. Und Fremdsprachen zu lernen ist nicht einfach, und das sage ich als jemand, der immerhin drei gelernt und diese zu unterschiedlichen Zeiten auch ziemlich gut gesprochen hat. Leicht fiel mir das Erlernen fremder Sprachen nie. Diejenigen, die oft am impertinentesten darauf dringen, dass Ausländer hier doch bitte zügig Deutsch, eine der schwersten europäischen Sprachen überhaupt, lernen sollen, sind dann wenig überraschend auch oft die, die selbst keine Fremdsprache flüssig sprechen. Umgekehrt muss es aber jedem potenziellen Einwanderer, der dauerhaft in Deutschland bleiben will, natürlich klar sein, dass er hier nie glücklich werden wird, wenn er ausschließlich Arabisch oder Paschtu spricht. Und das ist dann auch im Umgang mit medizinischem Personal ein Problem. 

Deswegen habe ich tendenziell erst mal Verständnis für beide Sichtweisen in der Diskussion um eine Kinderarztpraxis aus Kirchheim unter Teck bei Stuttgart, die sich weigert, Patienten ohne ausreichende Deutschkenntnisse zu behandeln, und dies durch ein Schild am Praxiseingang kommuniziert. In den sozialen Medien ging es daraufhin, ausgelöst durch einen Bericht in der „Stuttgarter Zeitung“ und später der „Bild“-Zeitung, hoch her. Die einen wittern Rassismus, die anderen stellen sich auf die Seite der beiden Ärzte und legen Eltern ohne Deutschkenntnisse nahe, doch besser mal einen Sprachkurs zu besuchen, als sich zu beschweren. Viel Schwarz-Weiß-Denken ist da dabei und mein Gefühl sagt mir, dass weder die Rassismusschreier noch die Sprachchauvinisten über größere Auslandserfahrung verfügen. 

Gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“ rechtfertigte sich einer der beiden Ärzte der bereits seit über 20 Jahren bestehenden Praxis, bei der es sich um die größte in der 40.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Esslingen handelt. Als Beispiel für die Problematik einer Sprachbarriere führt Ulrich Kuhn die Verabreichung von Impfungen an. „Jede Impfung ist eine kleine Körperverletzung. Deshalb müssen die Eltern explizit einwilligen. Dabei muss auch klar sein, dass sie verstanden haben, was passiert.“ Volle Zustimmung! Nur könnte man dieses Problem nicht dadurch lösen, indem man einfach auf das Impfen verzichtet, wenn die Eltern die Aufklärung darüber nicht verstehen können? Wenn man zudem sieht, welchen emotionalen Druck Kinderärzte teilweise auf Eltern ausüben, damit sie ihre Kinder impfen lassen, darf man sich auch fragen, was das eigentlich noch mit Aufklärung zu tun hat. Dabei kommt es, denke ich, zu schlimmeren Missverständnissen und fataleren Entscheidungen, als wenn man einen kurzen Informationstext für die Eltern mit deepl übersetzen lässt. Viele Kinderärzte impfen sogar dann, wenn nur ein Elternteil zustimmt, solange es sich um eine empfohlene Impfung handelt. Es gibt beim Thema Kinderimpfungen wahrlich größere ethische Baustellen als potenzielle Sprachbarrieren. 

Doch laut Kuhn geht das Problem noch viel tiefer. Er sei als Kinderarzt gesetzlich dazu verpflichtet, die Krankengeschichte zu erheben und dabei auch nach Vorerkrankungen oder Allergien zu fragen. Kuhn: „Dazu müssen wir schon mit den Eltern sprechen können.“ Auch gehe es darum, Abläufe in der Praxis „so effizient wie möglich zu gestalten“, was natürlich nicht gewährleistet sei, wenn zahlreiche Patienten die Sprache nicht sprächen. Hier lässt sich mit einer gewissen Berechtigung fragen, ob es gegenüber den deutschsprachigen Patienten fair ist, wenn sie mit Fünf-Minuten-Terminen abgespeist werden müssen, weil der Arzt 30 Minuten braucht, um einer ausländischen Familie mit Übersetzungs-App und Händen und Füßen seine Diagnose zu erläutern. 

Mein erster Impuls war: Seine Gründe sind mir eigentlich egal, es ist seine Praxis und er soll mit seinem Kollegen entscheiden, welche Patienten er annehmen will, zumal die beiden Ärzte ja auch extra darauf verweisen, dass sie in Notfällen selbstverständlich jeden behandeln. Das würde ich gelten lassen, allerdings mit einer kleinen Einschränkung, und zwar aufgrund der staatlichen Einbindung von Ärzten in arbeitsrechtliche Fragen. Wer nicht zur Arbeit kommen kann, weil das Kind krank ist, benötigt ein Attest. Oder Eltern brauchen es als Beleg für das Jobcenter, damit ihnen die Grundsicherung nicht gekürzt wird. Nun ist diese Praxis in einer Stadt der Größe Kirchheims bestimmt nicht die einzige, und auch Stuttgart ist nicht so weit weg, wo Eltern sicher Kinderärzte finden, die ihre Kleinen ohne Deutschkenntnisse behandeln. Aber die Frage stellt sich schon: Was, wenn es der einzige Kinderarzt im Umkreis von 50 Kilometern wäre oder die Eltern kein Auto haben? Oder wenn das alle Kinderärzte in einer Stadt so halten würden? Nun gibt es seit diesem Jahr auch die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung für Kinder. Aber wie soll das denn erst am Telefon ohne Deutschkenntnisse werden? In diesem Zusammenhang stößt es mir schon übel auf, dass Kuhn im Gespräch mit der Zeitung andere Kinderärzte indirekt ermuntert, es ihm gleichzutun. „Die Kollegen haben zwar das gleiche Problem und sie sehen das genauso wie wir mit der rechtlichen Unsicherheit“, so Kuhn. „Sie sind aber wohl noch nicht auf die Idee gekommen, dass man das machen könnte – oder sie haben Sorgen vor Reaktionen aus dem Netz.“ 

Seit einer Werbekampagne des Landes Baden-Württemberg wissen wir, dass die Menschen im Ländle alles können – außer Hochdeutsch. Doch wie schaut es mit Englisch aus? Mir ist schon klar, dass einige Patienten oder deren Eltern, die von Kuhn nun abgewiesen werden, vermutlich einer Klientel entstammen, die oft auch nicht zur Kommunikation in einer anderen europäischen Kultursprache, also Englisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch, in der Lage wäre. Doch ein wenig provinziell kommt Kuhns pauschale Sprachforderung natürlich schon daher. Vielleicht würde es sich für die beiden Ärzte lohnen, zumindest stundenweise einen Kollegen anzustellen, der zumindest des Englischen mächtig ist? Oder eine Praxishelferin finden, die mal zwei Jahre in Frankreich oder Spanien gelebt hat und vielleicht zusätzlich aus dem Englischunterricht in der Schule ein bisschen was mitnehmen konnte, die dann zumindest für bestimmte Patienten übersetzen kann? Dass niemand dort zumindest Englisch spricht, ist für eine städtische Arztpraxis schon ein Armutszeugnis. Und auch modernen Hilfsmitteln verweigert sich Kuhn offenbar. Über Übersetzungs-Apps sagt er: „Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob man radebrechend in ein Restaurant geht, um sich etwas zu bestellen, oder ob wir rechtssicher behandeln müssen. Dazu muss ich selber wissen, was ich gesagt habe.“ Ich danke meinem Herrgott, dass die Ärzte in Albanien da wesentlich flexibler waren und selbstverständlich im Zweifel auch Übersetzungsprogramme genutzt haben. Kein Englisch zu sprechen, wird von Ärzten dort als Makel empfunden, für den man sich entschuldigt, anstatt ihn noch an die große Glocke zu hängen, wie Kuhn das tut. Bei Ärzten, die gar kein Englisch sprechen, frage ich mich immer unweigerlich, wie die eigentlich die ganze Fachliteratur in ihrem Gebiet verstehen wollen. Oder verlassen sie sich dabei auch ganz auf deutsche Quellen? Oder vielleicht dafür am Ende doch auf deepl? Meiner Erfahrung nach eignen sich moderne Übersetzungsprogramme gerade für die doch eher direkte und einfache Kommunikation zwischen Arzt und Patient viel besser als etwa für lange journalistische Texte mit vielen Phrasen und Redewendungen.

Dass ein Schild an der Praxis überhaupt nötig sein soll, verstehe ich auch nicht. Wenn ich im Ausland zum Arzt gehe oder mit meinem Kind zum Arzt muss, rufe ich eine Nummer an und frage auf Englisch nach einem Termin. Wenn ich dann keine Antwort bekomme oder nur in einer Sprache, die ich nicht verstehe, wähle ich die nächste Nummer, bis ich eine Praxis erreiche, die mit mir kommunizieren kann und will. Gerade auf dem Balkan ist es auch durchaus üblich, dass eine Praxis, mit der zunächst keine Kommunikation möglich war, ein paar Minuten später zurückruft, weil sie erst jemanden finden musste, der in der Lage ist, auf Englisch Auskunft zu geben. Wer in Albanien eine gute Behandlung möchte, muss einen Arzt in der Regel bar auf die Hand bezahlen. Die Mentalität der Ärzte ist eine ganz andere, wenn der Patient zahlender Kunde ist. Da werden Sprachprobleme auch oft einfach dadurch gelöst, dass der Arzt seinen ausgewanderten Bruder in Chicago anruft, der dann die Übersetzung übernimmt. In einem privaten System gibt es keine unüberwindbaren Sprachbarrieren, egal, in welchem Kulturkreis. Der Grund, warum das albanische Gesundheitssystem dennoch oft als katastrophal beschrieben wird, liegt am fürchterlichen Zustand der staatlichen Krankenhäuser und einem aus der Akademikerabwanderung resultierenden gravierenden Ärztemangel. Für einen Kunden wird der Arzt im Zweifel Kommunikation ermöglichen, aber freilich nicht für einen Kassenpatienten, für den er einen lächerlichen Pauschalbetrag bekommt. Kassenarzt Kuhn hingegen hält es folgerichtig für die Aufgabe der Eltern kranker Kinder, in einer Situation, wenn das Kind Fieber hat und gerade seine Stofftiere vollkotzt, auch noch einen Dolmetscher zu organisieren, den sie dann in die Praxis mitbringen sollen. Und wie sollen Alleinerziehende das machen? Das ist so weltfremd, da fragt man sich schon, ob der gute Mann eigentlich selbst Kinder hat beziehungsweise jemals in deren Erziehung eingebunden war.

Dass Ärzte die Regeln für ihre Praxis selbst festsetzen sollen, unterstütze ich voll und ganz. Wenn mir das als Patient nicht passt, gehe ich eben woandershin. Warum sollte ich von einem Arzt behandelt werden wollen, der mich nicht behandeln will? Selbst hier in Deutschland würde ich mit meinem Sohn ausschließlich zu Kinderärzten gehen, die auch Englisch sprechen – schließlich möchte ich ja, dass auch meine Frau mit dem Arzt kommunizieren kann. Als Vater, der mit seiner Familie im Ausland gelebt hat und auch perspektivisch wieder im Ausland leben möchte, stört mich aber doch der Mangel an Empathie, der nicht deutschsprachigen Eltern durch solche Aktionen entgegengebracht wird und der offenbar auf viel Zustimmung in Teilen der Bevölkerung stößt. Ausländer ohne ausreichende Deutschkenntnisse leiden in der Regel schon im Alltag genug am deutschen Sprachnationalismus, verbunden mit Ausgrenzung und ständigem Rechtfertigungsdruck. Ich habe das nirgendwo auf der Welt so krass erlebt wie hier! Da werden unterschiedslos von Ausländern Sprachkenntnisse eingefordert, deren Lebenssituation man doch überhaupt nicht kennt: etwa, wie lange jemand schon im Land lebt, wie alt er ist und ob das private Umfeld oder sein Bildungshintergrund überhaupt die Voraussetzungen für das Erlernen einer Sprache bieten, um nur mal ein paar Faktoren herauszugreifen. Wer nicht mindestens eine Fremdsprache verhandlungssicher in Wort und Schrift beherrscht, sollte sich mit steilen Forderungen an Ausländer am besten sowieso ein wenig zurückhalten!


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