18. August 2024 09:00

(Nur) Science-Fiction? Die offene Verschwörung

Herbert George Wells und der „Weltstaat“

von Antony P. Mueller

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Bildquelle: Picryl Pionier der Science-Fiction-Literatur H. G. Wells : Propagierte einen sozialistischen Weltstaat

Der englische Schriftsteller Herbert George Wells (1866–1946) ist vor allem als Autor von Zukunftsromanen berühmt, darunter auch sein in Deutschland sehr bekanntes Buch „Die Zeitmaschine“ (erstmals 1895). H. G. Wells war aber auch als Essayist aktiv. Im Rückblick, angesichts der Entwicklungen in unserer Zeit, sind vor allem sein 1928 erstmals erschienener Essay „Die offene Verschwörung“ (The Open Conspiracy“) bedeutsam – zusammen mit seiner 1940 erschienenen Schrift „Die neue Weltordnung“ (The New World Order“).

Für H. G. Wells liegt der hauptsächliche Grund, eine Weltregierung und einen Weltstaat zu fordern, darin, dass damit die Kriege zwischen den Nationen beendet werden könnten. Ohne Nationalstaaten, kein Krieg, so die These. Der Autor kann sich dabei eine solche Weltregierung jedoch nicht anders vorstellen als durch eine umfassende Kollektivierung aller Lebensbereiche. Dies wird allerdings nach ihm nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, sondern muss Schritt um Schritt erfolgen. Der Weg zum Weltstaat muss nach Wells über „Kollektivierung, Gesetz und Wissen“ erfolgen.

Für Wells ist der zukünftige Weltbürger berechtigt, „Ernährung, Beherbergung und medizinische Versorgung“ einzufordern, um sein volles physisches und mentales Potenzial zur Entfaltung bringen zu können. Dabei gilt, dass ein derartiger Rechtsanspruch nur dann gewährleistet wird, wenn durch eugenische und bevölkerungspolitische Maßnahmen der Umfang und die Qualität der Bevölkerung nach wissenschaftlichen Methoden optimiert werden.

Entsprechend muss auch die kollektivierte Wirtschaft ausgerichtet werden, denn mit dem Wirtschaftswachstum kann es nicht so wie im 19. Jahrhundert auch in Zukunft weitergehen. Für Wells steht fest, dass sich die Rohstoffe zu Ende neigen und die Weltbevölkerung (damals rund eineinhalb, heute ungefähr acht Milliarden Menschen) ihr Maximum schon überschritten hat.

Um die notwendige Begrenzung von Wirtschaft und Bevölkerung zu verwirklichen, müssen jedoch die traditionellen kulturellen und religiösen Widerstände eingeebnet werden. Dafür dient das Bildungssystem.

Der in unseren Tagen vom Weltwirtschaftsforum (WEF) geforderte „Neustart“ klingt an, wenn H. G. Wells in seiner Schrift über die neue Weltordnung den „nationalistischen Individualismus und die unkoordinierte Wirtschaft“ als die Krankheiten bezeichnet, unter der die Welt leidet und die dringend „ersetzt“ werden müssen. 

Es braucht eine „offene Verschwörung“, so Wells, um den Weltstaat zu verwirklichen. Diese Bewegung muss von der „atlantischen Zivilisation“ ihren Ausgang nehmen. Als Träger der Transformation können weder Diplomaten noch Generäle oder Admiräle dienen, denn es geht ja gerade darum, den nationalen Wettbewerb zu beenden. Dazu ist ein kultureller Wandel nötig. Dieser erfordert eine Umgestaltung des Erziehungssystems – weg von seinen traditionellen Werten hin zur neuen progressiven Ideenwelt des atheistischen Internationalismus.

Nach Auffassung von Wells hat der Sowjetkommunismus beispielhaft gezeigt, dass sowohl ein wirtschaftlicher als auch ein kultureller Wandel in kurzer Zeit möglich ist. Aber, so erläutert er in seiner Schrift über die offene Verschwörung, Russland kann kein Pionier der neuen Weltordnung und ein wertvolles Mitglied im Club der offenen Verschwörung bilden, da die intellektuelle Elite dieses Reiches zu klein und die Masse seiner rückständigen Bevölkerung zu groß sei. Die Konspiration zur Einrichtung des Weltstaats muss ein „atlantisches“ Unterfangen sein, also, wie man heute sagen würde, ein Projekt des „Westens“.

Die Wortwahl „offene Verschwörung“ bezeichnet ein Ideenwerk und enthält den Aufruf zu Diskussion, Erklärung und Propaganda des Projektes der Schaffung eines Weltstaates mit einer singulären Weltregierung. Diese Aufklärungskampagne muss sich über ein weites Feld erstrecken und darf vor allem die biologisch-medizinischen Aspekte nicht auslassen. Als Adressat soll vor allem die Jugend angesprochen werden. H. G. Wells benutzt das deutsche Wort „Kulturkampf“, um zu kennzeichnen, worum es geht. 

Die grenzüberschreitenden internationalen Organisationen (die „Vereinten Nationen“ an der Spitze) und die Geburtenkontrollbewegung sowie die radikalsten sozialistischen Bewegungen sind die Bereiche, wo die offene Verschwörung am ehesten mit Sympathisanten rechnen kann. (Heute würde man die ökologische Bewegung dazuzählen und unter den internationalen Organisationen die EU hervorheben.)

Neben der Auflösung der herkömmlichen nationalen Regierungen und ihrem Ersatz durch eine Weltregierung bestehen die weiteren Zielsetzungen der offenen Verschwörung in einer Verlagerung der Kredit-, Transport- und Massengüterproduktion von einer privaten, lokalen und nationalen Eigentümerschaft in die Hände eines „Weltdirektoriums“.

Zu den Zielen der Weltregierung gehört auch die „praktische Anerkennung der Notwendigkeit einer weltweiten biologischen Kontrolle“ von Krankheiten und der Bevölkerung. Der Weltstaat der Zukunft wird die Bevölkerung in quantitativer und qualitativer Hinsicht einer Steuerung unterziehen. Neben den Finanzen (der Internationale Währungsfonds und die Weltbank wurden bereits 1944 auf der Bretton-Woods-Konferenz konzipiert) nimmt die Biologie dabei eine herausragende Rolle ein. (Die Weltgesundheitsorganisation WHO wurde 1948 in Genf als Agentur der Uno geschaffen.)

Zwar wird der zu errichtende Weltstaat einen Mindeststandard an individueller Freiheit und an Wohlfahrt gewährleisten, aber dies wird nur insoweit geschehen, wie es als höchste Pflicht zu respektieren gilt, dass die persönlichen Interessen dem weltumspannenden Direktorium untergeordnet werden. Bezogen auf das Hauptziel einer allgemeinen Förderung des menschlichen Wissens, gilt es, die Fähigkeiten und die Macht des Kollektivs zu stärken.

Eng mit der Erziehung ist die Rolle der Wissenschaft in die offene Verschwörung eingebunden. Als Führungskräfte der Bewegung allerdings taugen die Wissenschaftler nicht. Sie dienen den Verschwörern als Mittel zum Zweck, also als „nützliche Idioten“, wie Lenin zu sagen pflegte.

Ebenso wie bei der Erziehung gilt für die Wissenschaft, dass sie von der Bewegung der „offenen Verschwörung“ beherrscht sein wird. Die Wissenschaftler müssen unter technokratische Kontrolle gebracht werden. Ein wichtiges Instrument dafür ist die staatliche Bereitstellung von Forschungsgeldern und die damit verbundene Vorgabe spezifischer Forschungsziele. Um diese Wissenschaftskontrolle effektiv durchführen zu können, soll die Bewegung der offenen Verschwörung darauf drängen, alle wissenschaftlichen Forschungsaktivitäten zu katalogisieren, zu indexieren und zu evaluieren und einem globalen Wissenschaftsmanagement zu unterstellen (wie es inzwischen als Rating der wissenschaftlichen Zeitschriften und ihrer Veröffentlichungen besteht).

Als Instrument in der Hand der Betreiber der offenen Verschwörung soll die Schaffung internationaler wissenschaftlicher Vereinigungen gefördert werden, die der Errichtung eines Weltstaates dienlich sind. Ziel der Organisation der Wissenschaft ist die Kontrolle des Wissens, nicht jedoch die Erweiterung der Erkenntnis, was ja zu unerwünschten Ergebnissen führen könnte.

Die Kooperation mit Unternehmen ist ausdrücklich erwünscht. Besonders wichtig für den Plan der Realisierung einer Weltregierung ist es, die Großindustrie für diesen Plan zu gewinnen. Die führenden Manager sind „mit ihren Gaben, Neigungen, Positionen und Chancen“ für einen Erfolg der offenen Verschwörung unverzichtbar, erkennt Wells. (Die 1971 von Klaus Schwab und seinen Hintermännern initiierte und später „Weltwirtschaftsforum“ genannte Institution ist für diese Strategie ein glänzendes Beispiel.) Bei diesem Unterfangen gilt es, von der kapitalistischen Privatwirtschaft Abschied zu nehmen. H. G. Wells nimmt an, dass der Siegeszug der Großunternehmen weitergeht und das Wirtschaftsleben immer weniger von Zufällen abhängt. Gewinnorientiertes Wirtschaften hat ausgedient, Wirtschaft findet nicht mehr als Wagnis, sondern strikt nach Plan statt. Deshalb wird es auch nicht mehr außergewöhnliche spekulative Gewinne geben: „Der Übergang vom spekulativen Abenteuer zur organisierten Vorausschau im Interesse der Gemeinschaft in der ganzen Welt des Wirtschaftslebens ist die wesentliche Aufgabe der offenen Verschwörung.“

Der Sozialismus und besonders der Sowjetkommunismus haben mit diesen Entwürfen einen Anfang gemacht, aber die sozialistische Bewegung ist nicht imstande, ihr Ziel der „Diktatur des Proletariats“ zu verwirklichen. Die Kommunisten verdammen zwar Profit und Privatwirtschaft, wissen aber nicht, was man an ihre Stelle setzen soll. Anstelle der revolutionären Herangehensweise der Kommunisten wird deshalb die „offene Verschwörung“ darauf ausgerichtet sein, die Privatwirtschaft in den Plan einzubringen. Eigentumsrechte sollen formell bestehen bleiben, aber indirekt wird die private Wirtschaft mittels der Weltregierung und ihrer Organisationen beherrscht werden.

Ziel des Projektes ist der komplette Umbau der „Psychologie“ der Industrie und der Arbeitsbeziehungen im Hinblick auf Effizienz und gemeinwirtschaftliche Wohlfahrt: „Anstelle des groben Vorschlags der Sozialisten, das Privateigentum zu ‚enteignen‘ und die Wirtschaft ‚staatlich zu übernehmen‘, wird die offene Verschwörung eine enzyklopädische Konzeption des modernen Wirtschaftskomplexes als labyrinthisches Pseudosystem aufbauen, das Verschwendung schrittweise beseitigt und sich seinen Weg auf unzähligen Kanälen zur Einheit, zur Klarheit des Zwecks und Methode, zu reichlicher Produktivität und effizientem sozialen Dienst bahnt.“

Zum Schluss seiner Schrift prophezeit H. G. Wells, dass die „offene Verschwörung“ den Sozialismus ablösen wird, um wie dieser zu einer globalen Bewegung zu werden. Die „offene Verschwörung“ wird zur neuen Weltreligion erkoren.

Sieht man das gegenwärtige Weltgeschehen durch die Linse, wie sie H. G. Wells vorgezeichnet hat, mag dem einen oder anderem Leser ein Licht aufgehen.

H. G. Wells: „Die offene Verschwörung“ (1986)

H. G. Wells: „Die neue Weltordnung“ (neue Edition 2021)

A. P. Mueller: „Technokratischer Totalitarismus. Anmerkungen zur Herrschaft der Feinde von Freiheit, Wohlstand und Frieden“ (KDP 2023)


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