Warnung: Diese Rezension enthält Spoiler: Dune, Teil zwei: Gegen die Monstrosität von Macht sind Sandwürmer winzig
Denis Villeneuve gelingt die bislang beste Adaption der Romanvorlage
von Axel B.C. Krauss
Es gibt Bücher, die als unverfilmbar gelten. Sei es aufgrund ihrer narrativen Komplexität, der Vielschichtigkeit der behandelten Themen und der Fülle ihrer Figuren und ihrer Beziehungen oder wegen einer extremen Sprunghaftigkeit und phantastischen Überdrehtheit ihrer Visionen, die auf Film kaum zu zähmen sind, ohne ins Profane oder gar unfreiwillig Komische abzugleiten. Hollywood kann eine lange Liste solcher Verfilmungen vorweisen, in der Buchvorlagen so weit „kalifornisiert“, sprich trivialisiert wurden, dass sie kaum wiederzuerkennen waren.
William S. Burroughs „Naked Lunch“ zum Beispiel fiel lange Zeit in letztere Kategorie: zu abgedreht. Bis der kanadische Regisseur David Cronenberg, Spezialist für „Körperhorror“ und psychologische Tiefseetauchfahrten, sich des Stoffes annahm. Er hatte genau die richtige Idee: Da es zwecklos wäre, Burroughs Vorlage eins zu eins visualisieren zu wollen, erzählte er eher die Entstehungsgeschichte des Buches und machte daraus eine bizarre, zuweilen albtraumhafte, aber auch surreal komische und philosophische Achterbahnfahrt durch Fragen nach Wahrnehmung, Identität und Realität, gestellt von rauschdrogengeschwängerten literarischen Paradiesvögeln.
„Dune“ hingegen, ein Roman des amerikanischen Fantasy- und Scifi-Autors Frank Herbert, fiel in erstere Kategorie: zu komplex. Völlig unmöglich, eine so vielschichtige Erzählung auf zwei oder drei Stunden zu komprimieren. Der chilenische Schauspieler und Regisseur Alejandro Jodorowsky plante deshalb einmal eine Monumentalverfilmung von sagenhaften acht Stunden Laufzeit. Das Projekt scheiterte letztendlich aber an der selbstgesetzten Herkulesaufgabe. Es wurde zu teuer, Financiers sprangen ab und das Studio zog die Notbremse. Schade eigentlich, denn Jodorowsky hatte niemand Geringeren als den Schweizer Künstler Hans-Rüdi Giger (H. R. Giger) als Produktionsdesigner gewonnen, der mit seinen Entwürfen für Ridley Scotts Meisterwerk „Alien“ das Horror- und Science-Fiction-Genre über Jahrzehnte maßgeblich prägte.
Bis David Lynch, ein anderes „Enfant terrible“, der Cineasten mit Streifen wie „Eraserhead“ oder „Der Elefantenmensch“ in helles Entzücken versetzte, sich der Sache annahm. Dasselbe Problem: Wie dampft man so einen Stoff auf eine für das moderne Kinopublikum akzeptable Länge ein, ohne der Geschichte zu viel Fleisch von den Rippen zu schneiden? Auch Lynchs Projekt drohte beinahe an den Kosten zu scheitern und brachte die Produzenten an den Rand des Bankrotts, schaffte aber doch noch den Sprung ins Kino – wo es sich als Kassenflop erwies. Man hatte Lynch wegen der zunehmenden Probleme bei der Fertigstellung des Werks die Kontrolle über den Schnitt entzogen, sodass er sich von der Kinofassung distanzierte. Unter Fans wurde leidenschaftlich gestritten: Ist „Dune“ mit Jürgen Prochnow als Herzog Leto Atreides, Kyle McLachlan als Paul, Sting als Feyd-Rautha Harkonnen, Sean Young als Chani und der italienischen Stardarstellerin Silvana Mangano als ehrwürdige Bene-Gesserit-Schwester ein totaler Reinfall oder ein Geniestreich?
Lynch zauberte ein visuell opulentes, phantasievoll gestaltetes Epos mit erstklassigem Cast zusammen, aber – was nicht anders zu erwarten war – die Geschichte wurde dabei natürlich so stark gerafft, ja fast schont entleibt, dass viele wichtige, ja sogar die wichtigsten Aspekte von Herberts Roman, der darin auch viele politisch-philosophische Fragestellungen beackert, fast völlig untergingen. Mehr noch: Die Wandlung von Paul Atreides vom behüteten Adelsspross zum beinharten Wüstenkämpfer und „auserwählten“ Anführer des Volkes der Fremen (= „Free Men“, freie Menschen) nimmt man McLachlan aufgrund seiner Ausstrahlung, die eine gewisse aristokratische Noblesse verströmt, zwar durchaus ab, doch von der Komplexität der Figur – Pauls Kampf mit sich selbst und den überlebensgroßen Erwartungen, die in ihn gesetzt werden – blieb nichts mehr übrig.
Ganz im Gegensatz zum zweiten Teil von Denis Villeneuves „Dune“-Verfilmung. Dass Villeneuve ein Ausnahmeregisseur ist, steht außer Frage. Das hat er zur Genüge bewiesen: mit Filmen wie „Die Frau, die singt – Incendies“, „Prisoners“, dem Sequel zu Ridley Scotts „Blade Runner“ („Blade Runner 2049“) und erst recht dem brillanten Psychodrama „Enemy“ mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle. Die finale Szene dieses Filmes – Stichwort Spinne – gehört zu den originellsten und denkwürdigsten Wendungen der Filmgeschichte und genießt unter Fans des Genres zu Recht Kultstatus.
Dann kam „Dune – Part One“ – und spaltete erneut die Fangemeinde. Während manche in seiner audiovisuellen Pracht schwelgten, nicht zuletzt dank Hans Zimmers Donnerscore (Bass, Bass, wir brauchen Bass), kritisierten andere die langsame Gangart: Wann geht es denn nun los mit der Geschichte? Dieser nicht unberechtigte Eindruck hat seine Ursache im simplen Umstand, dass der erste Teil eigentlich „nur“ – womit Villeneuve und das Studio ein Risiko eingingen – der Einführung der wichtigsten Charaktere diente sowie dem Aufspannen des narrativen Rahmens, in dem sich der Konflikt um den Wüstenplaneten und die für interstellare Reisen unverzichtbare bewusstseinserweiternde Droge namens „Spice“ entfaltet. Allerdings war schon im ersten Teil klar, dass der Regisseur den Schwerpunkt nicht auf pompöse Hollywood-Schlachtengemälde legen wird – sondern auf die Psychologie der Figuren und ihre Entwicklung.
Trotzdem war ich skeptisch und zögerte lange, mir den zweiten Teil anzuschauen: Bleibt es bei bloßer Bildgewalt, unter der sich eine Geschichte eher schüchtern verkrümelt, oder dreht Villeneuve jetzt auf? Tut er. Und zwar voll.
Vor allem widmet er sich der von Lynch übergangenen Frage nach den möglichen Folgen der schier erdrückenden Macht, die auf Pauls Schultern ruht – oder besser gesagt, ihm aufgebürdet wird. Denn auch er scheint nur eine Schachfigur in einem, wie man im zweiten Teil erfährt, sich über Jahrtausende (!) erstreckenden eugenischen Plan des Ordens der Bene-Gesserit-Schwestern zur Erzeugung des „Kwisatz Haderach“, des „Übermenschen“ des gesamten Universums, zu sein. Waren bei Lynch die moralischen Grenzen zwischen dem barbarisch-faschistischen Haus Harkonnen, deren Beschreibung Villeneuve in „Dune – Part Two“ eine Sequenz in bedrückend Riefenstahlscher Ästhetik widmet, und dem Haus Atreides als „gute“ Herrscher noch klar gezogen, sodass Zuschauer leicht die „richtige Seite“ wählen konnten, macht es ihnen das Drehbuch von Villeneuve und Jon Spaiths im Verlauf der Erzählung beileibe nicht mehr so einfach.
Dies wird schon im ersten Drittel des Films klar, als Paul zweifelt, ob er wirklich der „Auserwählte“ ist, der „Eine“, der dem Volk der Fremen in uralten Prophezeiungen angekündigt wurde. Als er seine Gefährtin Chani (gespielt von Zendaya) fragt, ob sie denn nicht an diese Prophezeiung glaube, antwortet sie: „Wenn du Menschen kontrollieren willst, erzählst du ihnen, ein Messias wird kommen. Und dann warten sie – jahrhundertelang.“
Als Prinzessin Irulan (Florence Pugh), die Tochter des Imperators des bekannten Universums (Christopher Walken), der Bene-Gesserit-Oberschwester Mohiam, von Charlotte Rampling mit machtmathematisch versteinerter Miene grandios verkörpert, entgegnet, ihre Wahl von Feyd-Rhauta (Austin Butler) als Anführer des Kampfes auf Seiten der Harkonnen könne nicht ihr Ernst sein, denn der sei „psychotisch“, antwortet sie ungerührt: „Das ist irrelevant. Die Frage ist: Können wir ihn kontrollieren?“
Etwas später wirft Irulan ihr vor, das gesamte Haus Atreides bewusst ausgelöscht, also einen Genozid begangen zu haben. Aber ja, antwortet Mohiam, das habe sie in Kauf genommen, schließlich geht es um ein größeres Ziel. Sympathieträger sucht man unter den Mächtigen in diesem Film vergeblich. Es geht nur um Macht und Kontrolle. Als Paul gegen Ende des Films den Imperator anherrscht, sich niederzuknien und seinen Siegelring zu küssen, übermittelt Jessica, Pauls Mutter (Rebecca Ferguson), Mohiam telepathisch: „Du hast dich auf die falsche Seite der Geschichte gestellt.“ Woraufhin Mohiam antwortet: „Gerade du solltest doch wissen: Es gibt keine Seiten.“
Villeneuve gelingt das Kunststück, der Monstrosität ausufernder Macht durch zwei einfache, aber hocheffektive dramaturgische Kniffe eine ungeheure emotionale Wucht zu verleihen:
Erstens dadurch, sich für Pauls Wandlung zum „Muad’Dip“ so viel Zeit gelassen zu haben. Nimmt man die zweieinhalb Stunden des ersten Teils hinzu, kommt man auf fast vier Stunden Filmzeit, in der Thimothée Chalamet Paul als unerfahrenen, recht naiven, behüteten Thronfolger darstellt, der nicht nur zögert, sondern sogar Angst vor der Macht hat, die ihm von seinem größten Fürsprecher, Stilgar von den Fremen (Javier Bardem), der fanatisch an dessen Rolle als „Mahdi“ glaubt, ständig zugesprochen wird („Es ist mir egal, was du glaubst“, sagt Stilgar zu Paul. „Ich glaube daran!“), Was dazu führt, dass immer mehr Fremen ihm folgen.
Bei einem Wiedersehen zwischen Gurney Halleck (Josh Brolin), dem „Kriegsmeister“ des Hauses Atreides, und Paul fragt ihn Gurney, warum er denn noch zögere, seine neugewonnene Macht über die Fremen dafür einzusetzen, seinen ermordeten Vater zu rächen und endlich in den Krieg zu ziehen. Paul antwortet, er könne Dinge vorhersehen: „All meine Visionen führen ins Grauen. Milliarden von Leichen, verstreut über die Galaxis. Alle sterben – nur meinetwegen.“ Gurney: „Weil du die Kontrolle verlierst.“ Paul: „Weil ich sie erlange.“
Gerade deshalb wirkt seine Transformation in einen Kriegsfürsten, der unerschütterlich an seine Rolle als Führer glaubt, nachdem er von einer mysteriösen Flüssigkeit namens „Wasser des Lebens“ trank, umso erschreckender. Wenn er brüllt, niemand seiner Gefolgsleute könne es mit ihm aufnehmen, fragt man sich, ob er einem Gottkomplex anheimgefallen ist und wie man eigentlich noch Sympathien mit diesem einst so unschuldigen, liebenswerten jungen Mann hegen soll. Erst recht, nachdem er aus reinem Kalkül seine große Liebe Chani, der er noch kurz zuvor versprach, sie immer zu lieben, für eine Heirat mit der Tochter des Imperators ohne zu zögern aufgibt.
Der zweite Kniff besteht darin, die Figuren im Zuge ihres Machtzuwachses schleichend anzugleichen: War Jessica vorher eine liebende, sorgenvolle Mutter, wird sie nach Pauls Wandlung der einst verabscheuten Mohiam immer ähnlicher – auch aus ihrer Miene verschwinden die menschlichen Regungen zusehends.
Es ist für Hollywoodverhältnisse mutig, Zuschauern solche Charakterwandlungen zuzumuten. Allerdings wird „Dune – Part Two“ dadurch zu einem sehr viel interessanteren, spannenderen Film, der in der letzten halben Stunde enorme Lust auf den geplanten dritten Teil macht. Villeneuve erklärte in einem Interview, er sei nach dem zweiten Teil so erschöpft gewesen, dass er erst mal eine Pause vom Dune-Universum brauche. Er sollte sich die Zeit ruhig nehmen, denn das Füllhorn an Fragen, die dieser Film aufwirft, bedarf eines würdigen Abschlusses statt eines hollywoodtypischen Sequel-Schnellschusses aus der Hüfte.
Bis nächste Woche.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.