E-Mobilität in China: Das grüne Nummernschild
Wie Verbrenner im Reich der Mitte ausgebremst werden
von Stephan Unruh
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Keine Sorge, ich will hier keinen ideologischen Monolog für oder gegen E-Autos führen. Jeder soll fahren, was immer er will – aus technischer wie auch aus ökonomischer Perspektive gibt es Pros und Kontras für beide Antriebsarten, und natürlich verschiebt sich die Perspektive, je nachdem ob der „Betrachter“ ein Autokäufer, -händler oder -hersteller ist … Eine (historische) Anmerkung sei mir allerdings gestattet: Der Markt hat sich vor rund 100 Jahren für den Verbrenner entschieden. Mit der Erfindung des elektrischen Anlassers 1911 und der Entwicklung zur Serienreife war das Kernproblem des Verbrennungsmotors, der durchaus gefahrvolle Start des Motors per Handkurbel, gelöst. Das E-Auto geriet ins Hintertreffen und die Produktion wurde komplett eingestellt, obwohl es bis dato beträchtliche Marktanteile hatte: Noch im Jahr 1905 wurden in Berlin mehr E-Autos als Verbrenner verkauft – sogar der Kaiser fuhr einen Stromer – das heißt, höchstwahrscheinlich ließ er sich fahren.
Heute – so scheint es – bewegt sich die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung: Geht es nach dem Willen der Politik, so wird der Verbrenner in wenigen Jahren sein wohlverdientes Ende finden, wegen CO2 und Klima und so. Natürlich ist das keine Marktentscheidung, weshalb es wenig überraschend ist, dass der Impetus dazu am Ende aus China stammt, wo trotz aller Reformen im Kern natürlich immer noch die Zentralplanung die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt. Nicht so sehr in dem Sinne, dass konkret geplant würde, was wann wo und wie zu produzieren ist, sondern in einem strategischen Sinne: Die KPCh identifiziert beispielsweise, welche Sektoren wichtig sind und welche Ziele man in diesen erreichen will. Die Umsetzung überlässt man dann den privaten Unternehmen, wobei diese mit entsprechenden Anreizen und Sanktionen in die vorgegebene Richtung gelenkt werden. Ähnliches gilt für die Konsumenten.
In Sachen E-Auto ist China in jeder Hinsicht führend: 80 Prozent der weltweiten Verkäufe finden im Reich der Mitte der Mitte statt. Die meisten E-Autoproduzenten sitzen hier. Die Infrastruktur ist nahezu vorbildlich. Die führenden Batteriehersteller stammen aus China. BYD verkauft weltweit die meisten E-Autos, und inzwischen sind die führenden chinesischen Konzerne im Begriff, den Weltmarkt zu erobern: mit führender Technologie, innovativen Konzepten und unschlagbaren Preisen. Entsprechend sind die Washingtoner und Brüsseler Bürokraten längst alarmiert und setzen bereits die erste Runde an Sanktionen beziehungsweise Schutzzöllen gegen die Emporkömmlinge aus Fernost um. Das kommt davon, wenn man aus klimakommunistischer Verblendung die eigenen Industrien abschießt.
Bemerkenswerterweise hat China immer klar die Pläne für die chinesische Automobilindustrie kommuniziert. Zunächst versuchte man, sich via Joint Ventures mit den westlichen Unternehmen (insbesondere der führenden deutschen Automobilindustrie) Wissen und Fähigkeiten anzueignen, um dann mit ebendiesen die eigene Industrie selbständig aufzubauen. Das hat in gewissen Bereichen und zu einem gewissen Grad funktioniert, jedoch nicht im zentralen Bereich: dem Antriebsaggregat aka Verbrennungsmotor. Ab etwa Mitte der 2000er Jahre entschied Peking daher, einen Strategiewechsel durchzuführen und sich voll auf das E-Auto zu konzentrieren – drei Gründe wurden dabei genannt:
Erstens: Man glaubte nicht, in absehbare Zeit (25 bis 30 Jahre) konkurrenzfähig zu westlichen Verbrennern werden zu können.
Zweitens: Man wollte die Luftverschmutzung zumindest in Teilen aus den Städten aufs Land verlagern.
Drittens: Man wollte unabhängiger von Öl-Importen werden (damals flossen circa 80 Prozent des chinesischen Rohölkonsums durch die Straße von Malakka und das Südchinesische Meer – eine US-Flugzeugträgergruppe an einer neuralgischen Stelle würde genügen und China säße buchstäblich auf dem Trockenen).
Nun ist aber so, dass die chinesischen Konsumenten, ähnlich wie der Rest der Welt, in Sachen E-Auto wie folgt agierte: mit Desinteresse. Wie auch im Rest der Welt müssen die Stromer mit massiven Anreizen an den Mann gebracht werden – die Gründe hierfür sind vielfältig und ich will sie an dieser Stelle nicht weiter thematisieren. Während aber der Rest der Welt vor allem auf monetäre Anreize sowie immer strengere Regulierungen in Sachen Abgasnormen und schließlich sogar schlicht Verbote der von den Klimakommunisten ungeliebten Verbrenner setzt, kam China mit einer deutlich clevereren Methode um die Ecke, die in großen Teilen die Beliebtheit der E-Autos im Reich der Mitte erklärt.
Anders als in der BRD, wo Nummernschild und Zulassung (noch) recht einfach und auch günstig zu bekommen sind (Fallstricke lauern nur dort, wo ein Bürokrat Nazizahlenkombinationen wie 88, 18 oder 74 ausmacht), ist der Vorgang im Reich der Mitte kompliziert und teuer: Ein Nummernschild bekommt man nicht einfach so. Die Beantragung ist langwierig und teuer. Es gibt lange Wartelisten, Losziehungen und Versteigerungen, um die begehrten Schilder zu erhalten und die Kosten liegen bei wenigstens 100.000 Chinesischen Renminbi, wobei man durchschnittlich 3,5 Jahre auf ein neues Nummernschild wartet. Der Hintergrund sind natürlich die enormen Menschenmassen in China. Trotz sechs- oder auch zehnspuriger Straßen platzt in den Metropolen der Verkehr aus allen Nähten. Hier in der Greater Bay Area leben mehr als 70 Millionen Menschen auf der Fläche des Saarlandes. Die wollen alle mobil sein. Dazu der gewaltige Logistiksektor eines ökonomischen Powerhouses mit zwei der größten Häfen der Welt (Shenzhen und Hongkong) – sprich, es gibt bereits jetzt schon viel zu wenig Platz für zu viele Autos. Und anders als der durchschnittliche Bundesbürger käme kein Chinese auf die Idee, seinen Wagen gegen ein Lastenfahrrad einzutauschen …
Entsprechend muss das Verkehrsaufkommen irgendwie reguliert werden. Die Regulierung des Verkehrs findet unter anderem durch strikte Vergabebeschränkungen von Nummernschildern sowie durch vom Nummernschild abhängige Zugangsbeschränkungen statt. Denn die begehrten Schilder sind günstiger und schneller in Nachbarkommunen, die nicht so sehr unter dem Verkehr leiden, zu bekommen – mit diesen aber darf man nur an bestimmten Tagen in die Innenstädte, die Nutzung gewisser Autobahnbereiche ist teurer und parken darf man dann auch nicht überall …
Und nun kommt der Clou: All das kann man sich sparen, wenn man ein grünes Nummernschild (was in dem Fall tatsächlich wörtlich zu nehmen ist) erwirbt. Die Voraussetzung hierfür ist aber der Kauf eines E-Autos. Das grüne Nummernschild gibt es sofort, es kostet einen Bruchteil des normalen Nummernschildes und unterliegt keinerlei Beschränkungen in Sachen freier Fahrt. Natürlich – wie immer, wenn der Staat irgendwelche Anreize setzt – entstehen daraus Effekte, die die Bürokraten nicht bedachten … Das grüne Nummernschild unterläuft natürlich die Idee der Regulierung des Verkehrsaufkommens. Entsprechend versucht man schon seit geraumer Zeit, die Vorteile des „umweltfreundlichen“ Nummernschildes zu beseitigen. Aber: Jedes Mal, wenn Peking versucht, die Anreize für den Kauf eines E-Autos zu reduzieren, brechen die Verkäufe ein, und noch ist die Führungsposition der chinesischen E-Autoindustrie nicht gesichert. Entsprechend werden die Subventionen dann ganz schnell wieder eingeführt beziehungsweise verlängert.
Das grüne Nummernschild wird China also noch lange erhalten bleiben.
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