Freiheit der Popkultur: The Good Son (Das zweite Gesicht)
Eine packend erzählte Geschichte, in der besonders jene auf ihre Kosten kommen, die sich mit Psychopathie beschäftigt haben.
von Sascha Blöcker
Deutlich unterschätzt, vielleicht weil er mit Vorwissen im Bereich Psychopathie besser wird und dieses bis heute keinen Einzug in die breite Masse gefunden hat. Dr. Hare allerdings hat ihm viel Authentizität nachgesagt. Allerdings ist dieser Film meiner bescheidenen Meinung nach auch ohne entsprechendes Vorwissen mehr als sehenswert. Dies müssen sie allerdings selbst entscheiden.
Handlung
Mark (Elijah Wood) verliert seine Mutter und ist nun allein mit seinem Vater. Dieser muss jedoch nach Tokyo, um einen großen Deal abzuwickeln. Seine Hoffnung besteht darin, genug Geld zu verdienen, dass er sich in Zukunft mehr Zeit für seinen Sohn nehmen kann. Also muss Mark zu seinem Onkel Wallace Evans und seiner Tante Susan Evans. Die beiden haben selbst drei Kinder, wobei eines davon tot ist.
Frisch bei seiner Verwandtschaft eingetroffen, freundet er sich rasch mit Henry Evans (Macaulay Culkin) an. Wie es sich für zwei etwa Dreizehnjährige so schickt, machen die beiden auch gemeinsam Unsinn. Mark spürt gelegentlich, dass Henry nicht dieselben moralischen Grenzen hat wie er selbst. Das Ganze wird filmisch auch hervorragend inszeniert. So sind die beiden in einer alten Fabrikhalle und werfen Fenster ein – bis ein Erwachsener kommt. Mark rennt sofort weg, Henry aber wirft noch einen Stein. Diese Szene wird eigentlich erst später interessant, da wir sie am Anfang gar nicht so wahrnehmen, wie sie gemeint ist. Was daran liegt, dass sie subtil inszeniert ist, etwas, das Hollywood komplett verlernt hat. Die Freundschaft von Mark und Henry wird stark dadurch getrübt, dass Henry irgendwann einen Hund erschießt. Henry allerdings ist sehr geschickt in der Manipulation von Menschen und kann Mark noch einmal überreden, mit ihm loszuziehen. An diesem Punkt überspannt er allerdings den Bogen und Mark wendet sich fortan Henrys Schwester Connie Evans (Quinn Culkin) zu. Weiter möchte ich Ihnen diesen Film nicht darlegen, denn er ist absolut sehenswert und ich möchte Ihnen diesen nicht kaputtschreiben.
Handwerklich
Was den handwerklichen Teil des Films angeht, kann ich über nur zwei Dinge schreiben.
Die Drehorte sind malerisch, was unverzichtbar ist, denn das zeigt den Kontrast zwischen dem, was der Ort verspricht, und dem, was der Ort unserem Protagonisten tatsächlich bietet. Als kleine Randnotiz möchte ich auch noch anmerken, dass Ian McEwan als Drehbuchautor gerade in der Recherche zum Thema Psychopathie ganze Arbeit geleistet hat. Dazu später mehr.
Das Schauspiel in dem Film ist sehr gut, wobei Elijah Wood bisher nicht das ist, was er später in „Der Herr der Ringe“ sein wird. Macaulay Culkin hingegen liefert hier seine wohl beste Performance ab und spielt auch die erwachsenen Darsteller mit einer spürbaren Leichtigkeit an die Wand. Ich bin ein großer Freund deutscher Synchronarbeit, aber jeder, der Englisch beherrscht, sollte sich sein Schauspiel in der Originalsprache gönnen. Wood hingegen funktioniert im Deutschen besser.
Die Regie von Joseph Ruben lässt stellenweise zu wünschen übrig. An vielen Stellen hätte sich der Film gerne noch ein oder zwei Minuten Zeit lassen können. Nicht um uns etwas zu erklären, sondern um die Spannung zu dehnen oder um uns einige der Figuren näherzubringen. Das allerdings ist das berühmte Meckern auf hohem Niveau.
Psychopathen in Filmen
Wie viele Libertäre habe auch ich mich mit dem Thema Psychopathie auseinandergesetzt, um zu verstehen, was in der Politik vorgeht. Und ja, natürlich mit dem Standardwerk von Dr. Robert D. Hare: Gewissenlos – die Psychopathen unter uns. Was mich zu meinem vorher ausgesprochenen Lob für den Drehbuchautor bringt, denn dieser muss mindestens so tief im Thema sein, wie ich es bin. Die Darstellung von Henry könnte direkt aus der Feder von Dr. Hare stammen. Es wurde auf sehr viele Details geachtet. Allerdings sind diese Details für uns, für diejenigen, die sich mit der Thematik befasst haben. Das Fehlen klassischer Angst und die Fehlinterpretation von Henry, was Angst ist. Die Manipulationen, das Üben vor dem Spiegel. Es ist alles drin und es wird nur gezeigt, nicht ausgesprochen. Es kommt kein Psychologe vor die Kamera, der all das erklärt, damit auch der Unbelesene Spaß damit hat. So habe ich mich durch andere Filmkritiken gewühlt und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Kritiker die Figur des Henry genauso betrachten, wie es Mark tut. Nämlich wie ein Kind. Sie schreiben vom bösen Kind, als wären solche Kinder undenkbar. In ihrer Borniertheit werfen sie dem Film vor, plakativ zu sein. So sind wir nicht, wir wissen es besser und können viel Freude mit diesem Film haben. Übrigens, auch all jene, die kein Buch von Dr. Hare gelesen haben.
Dr. Robert D. Hare
Dr. Robert D. Hare ist Professor für Psychologie in Vancouver, Kanada, und der weltweit führende Experte für Psychopathie. Er entwickelte die Psychopathie-Checkliste, die sich als das Standard-Testinstrument in Forschung und klinischer Praxis durchgesetzt hat. Dr. Hare hat zwei Bücher und zahlreiche Artikel über Psychopathie verfasst.
Fazit
Dieser Film ist nicht perfekt, aber welcher Film ist das schon? Für jene, die sich mit der Thematik beschäftigt haben, bietet er nebst dem spannenden Thriller-Erlebnis, welches er ja vordergründig sein möchte, auch interessantes Anschauungsmaterial in Hinblick auf Psychopathie. Neben „Die böse Saat“ der vermutlich beste Film, wenn man etwas zu Psychotherapie bei Kindern sehen will. Bei mir hat der Film in erster Linie ein Bedauern darüber ausgelöst, dass wir derlei heute nicht mehr zu sehen bekommen. Zwar hat Dexter kürzlich ein Prequel erhalten, aber da ist er auch schon zu alt und natürlich mit seinem berühmten Kodex vertraut. Anspruchsvolles Kino, wo bist du nur hin? Oft bleiben uns nur die Klassiker, und „The Good Son (Das zweite Gesicht)“ sollte unbedingt als ein solcher betrachtet werden.
Deutscher Trailer: Das Zweite Gesicht
Kommentare
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