Oberbürgermeisterwahl Ludwigshafen: Die Wähler steigen aus
Ein Vorgeschmack auf den Effekt eines AfD-Verbots
von Oliver Gorus drucken

Bürgermeisterwahlen sind der Inbegriff der Demokratie. Seit dem 13. Jahrhundert wählten die Deutschen in vielen Städten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation Bürgermeister beziehungsweise Schultheiße durch Stimmen von Teilen der Bürgerschaft. Bürgermeister sind bis heute die einzigen Amtsträger in unserer Gesellschaft, die direkt vom Volk gewählt werden und bei denen Kandidaten auch ohne Parteizugehörigkeit eine Chance auf den Wahlsieg haben. Alles andere ist bekanntlich Parteiengedöns.
Zwar treten vor allem in großen Städten häufig Parteikandidaten an, aber ich habe mit meiner Agentur häufig parteifreien Kandidaten in kleineren und mittleren Städten gegen Parteikandidaten mit Kampagnen ins Amt verholfen, und dabei hat sich die Parteiunabhängigkeit stets eher als Vorteil erwiesen.
In den 1950er und 1960er Jahren lagen die Wahlbeteiligungen bei Bürgermeisterwahlen typischerweise durchweg bei über 70 Prozent, teilweise sogar über 80 Prozent. Die Bürger hatten in der Nachkriegsgeschichte ganz offensichtlich Gefallen daran, mit ihrer Stimme Einfluss auf ihre unmittelbare Lebenswirklichkeit zu nehmen. Diese Freude ist verflogen.
In heutiger Zeit sind die Wahlbeteiligungen auf häufig unterhalb von 50 Prozent gesunken. Gründe dafür lassen sich viele anführen: gestiegener Ausländeranteil, nachlassendes Interesse an lokalen Themen durch Dauerberieselung mit nationalen und internationalen Themen oder einfach nur Sattheit, Wahlmüdigkeit und Desinteresse.
Auffällig dabei ist, dass in kleinen Gemeinden die Wahlbeteiligungen typischerweise noch deutlich höher sind als in größeren Städten – in kleinen Gemeinden kennt der Wähler die Kandidaten häufig persönlich beziehungsweise hat er die Chance, sie vor Wahlen persönlich zu treffen. Diese unmittelbare Nähe und das hohe relative Stimmengewicht des Bürgers in kleinen Gemeinden erzeugen das Gefühl von Selbstwirksamkeit: Die Stimme macht wenigstens noch ein kleines bisschen einen Unterschied. Der Bürger kann Einfluss nehmen auf die Welt.
Dieses Gefühl der Wirksamkeit ist der demokratische Schlüssel – wie sollte man einem Bürger die Teilnahme an einer Wahl verkaufen, wenn der sich völlig ohnmächtig fühlt und sicher ist, dass seine Stimme völlig irrelevant ist?
Hinzu kommt in den letzten Jahren das Phänomen, dass die zunehmende Politikverdrossenheit in schroffes Misstrauen gegenüber Parteien und Politikern umgeschlagen ist. Über mehrere Umfragen hinweg festigt sich das Bild, dass heute etwa zwei Drittel der Bürger den Parteien nicht mehr vertrauen – mit rapide steigender Tendenz. Die Körber-Stiftung beispielsweise ermittelte, dass zwar neun von zehn Deutschen „demokratische Werte“ wichtig seien, aber die Zahl derjenigen, die Parteien vertrauen, sank von 29 Prozent im Jahr 2020 über 20 Prozent im Jahr 2021 auf neun Prozent 2023. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, kein Vertrauen mehr in das politische System insgesamt zu haben.
Und solche Umfragen gibt es viele. Den Zustand des politischen Systems als schwer angeschlagen zu bezeichnen ist angesichts dieser Fakten eher euphemistisch.
In dieser Gesamtsituation waren nun am vergangenen Wochenende die Bürger von Ludwigshafen am Rhein zur Oberbürgermeisterwahl aufgerufen. Ludwigshafen ist die größte Stadt der Pfalz, 180.000 Einwohner, 53 Prozent mit Migrationshintergrund, Arbeiterstadt, 40.000 arbeiten bei BASF, ehemalige Hochburg der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, Durchschnittseinkommen unter dem Bundesdurchschnitt. Von der Wählerstruktur her früher eine typische SPD-, heute eine typische AfD-Hochburg. Bei der Bundestagswahl 2025 erzielte die AfD in Ludwigshafen 24 Prozent der Zweitstimmen und wurde damit stärkste Kraft in der Stadt.
Was machen „Unseredemokraten“ überall, wenn die AfD zur ernsthaften Konkurrenz wird? Erstens Brandmauer, zweitens Verbot. Also schloss der von der bisherigen SPD-Bürgermeisterin geführte Ludwigshafener Wahlausschuss mit Vertretern von SPD, CDU, Grünen, FWG, FDP und Volt ihren gemeinsamen Gegner, den OB-Kandidaten der AfD, Joachim Paul, kurzerhand von der Wahl aus. Angesichts der politischen Großwetterlage eine Torheit, deren Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Der kurzfristige Sieg eines Kandidaten aus der Einheitsfront der Nicht-AfD wird mit der Bestätigung der zentralen Thesen der Zweifler an der Demokratie erkauft: „Würden Wahlen etwas verändern, wären sie verboten“, heißt es da.
Tja.
Und was glauben Sie, wie die nächsten Wahlen in Ludwigshafen ausgehen werden, an denen die AfD nicht gehindert wird, teilzunehmen? Jenseits von kurzfristiger Wahltaktik ist die Suspendierung des AfD-Kandidaten nicht nur strategisch eine saudumme Idee, sondern auch prinzipiell.
Denn diese Entscheidung, ob ein Kandidat von einem Amt fernzuhalten ist oder nicht, hat der Wähler in einer Republik natürlich selbst zu treffen. Dazu braucht es keinen paternalistischen Rat von „Demokraten erster Klasse“, die das zweitklassige Dummvolk davor bewahren, den „Falschen“ zu wählen.
Die „Unseredemokratie“ setzt sich hier auf arrogante Weise ins Unrecht und präsentiert sich selbst als undemokratisch. Dagegen hilft auch nicht, dass der formale Akt vom Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht bestätigt wurde: Nur weil der Wahlausschuss die Suspendierung vornehmen darf, bedeutet das noch nicht, dass es politisch klug ist, den Bürger derart zu bevormunden.
Ja, der ausgeschlossene AfD-Kandidat hat das Recht, die Wahl hinterher anzufechten. Und immerhin gut 40 Prozent der Deutschen vertrauen laut einer Studie des Schweizer Meinungsforschungsinstituts Media Tenor noch der deutschen Justiz, Tendenz fallend. Aber egal, wie das ausgeht, der Schaden ist angerichtet, die Wahl ist im Eimer, die Signale sind ausgesendet.
Die linken Parteien und die inhaltlich entkernte Union versuchen mittlerweile seit zwölf Jahren, die AfD zu dämonisieren – mit dem Effekt, dass in den nationalen Umfragen die AfD stärkste Partei ist und in den ostdeutschen Ländern absolute Mehrheiten vor der Tür stehen. Es ist offensichtlich, dass Dämonisierung nicht funktioniert. Langt’s jetzt mal?
Was die selbsternannten „Demokraten“ nicht verstehen: Es gibt jede Menge Bürger, die gar nicht AfD wählen wollen, die aber eine „Demokratie“ nach dem Muster der DDR ablehnen. Die unbeantwortete Frage lautet: Wen, bitte, sollen diese Bürger denn wählen?
Die Ludwigshafener haben erstaunlich souverän reagiert: Sie kehrten diesen vorkonfigurierten OB-Wahlen einfach den Rücken: Über 70 Prozent sind nicht zur Wahl gegangen. Vom kläglichen Rest, der teilgenommen hat, haben etwa zehn Prozent ihren Stimmzettel absichtlich ungültig gemacht, indem sie zum Beispiel den Namen des ausgeschlossenen Kandidaten handschriftlich ergänzt haben.
Der Landesvorsitzende der CDU von Rheinland-Pfalz wirkt angesichts der Abwendung der Wähler hilflos. Sein Kandidat wurde von jämmerlichen zehn Prozent der Wahlberechtigten gewählt und geht nun mit dem ähnlich dürftig legitimierten SPD-Kandidaten in die Stichwahl. Auf X postete er das übliche verlogene Politiker-Blabla, das niemand mehr hören will: „Die Menschen in Ludwigshafen haben ein deutliches Signal gesetzt: Sie wollen Veränderung und neue Perspektiven für ihre Stadt.“
Kaum zu glauben, was für einen Schwachsinn diese neofeudalen Produkte geistiger Inzucht immer wieder rausschwätzen. Nein, das einzige Signal der Wähler bei dieser Wahl lautet: Wir machen nicht mehr mit!
Dieses Signal ist ein Vorgeschmack auf den Effekt eines kommenden AfD-Verbots: Dort, wo die AfD stark ist, würden die Bürger den Politikern der anderen Parteien die Legitimität der Herrschaft entziehen. In Regionen, wo die AfD die absolute Mehrheit hat, würde das bedeuten: Die Bürger wenden sich ab. Diese Regionen machen dann künftig ihr eigenes Ding. „Sezession“ ist ein Wort, das wir in den nächsten Jahren noch häufiger hören werden …
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