Internationaler Handel: Wahrung des inländischen Wohlstands dank Schutzzöllen?
„Geld bleibt hier“
von Olivier Kessler
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Schutzzölle werden trotz überwältigender Erfolge des Freihandels heute immer noch von vielen als Instrument zur Wahrung des inländischen Wohlstands gesehen. Es wird behauptet, es sei schädlich für den Heimmarkt, wenn dieser mit Billigwaren aus dem Ausland geflutet würde. Denn so wäre die lokale Produktion vieler Güter nicht mehr profitabel und würde verschwinden. Wenn man diese Dinge nicht mehr selbst produzieren könne, fielen auch die Einnahmen und die lokalen Arbeitsplätze weg. Die Lebensstandards der Bewohner in diesem Territorium wären ohne Schutzzölle deshalb alles in allem tiefer, weil die Billigwaren frei eingeführt werden könnten.
Doch wer das behauptet, führt keine haltbaren Argumente ins Feld. Vielmehr zielt er damit auf unsere atavistischen Instinkte, die wir noch von unseren in Stammesgesellschaften organisierten Vorfahren geerbt haben. Damals herrschte wohl noch intensiver als heute eine „Wir gegen die anderen“-Mentalität vor, die zuerst mühsam überwunden werden musste. Nur so konnten die heutige anonyme Großgesellschaft und die globale Arbeitsteilung entstehen, die den enormen Wohlstand hervorgebracht haben, den wir heute genießen.
Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass einer der größten Meilensteine in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit jener Moment war, als das feindselige Stammesdenken dem Gedanken wich, dass man mit den anderen Stämmen auch Handel betreiben und davon gegenseitig profitieren konnte. Wenn ein anderer Stamm besser in der Speerherstellung war, lohnte es sich, die Speere dort einzukaufen und sich stattdessen auf die Produktion von Schleudern oder anderen nützlichen Dingen zu konzentrieren, die man im Gegenzug eintauschen konnte. Letztlich waren es jene Stämme, die mit anderen kooperierten und Handel trieben, die zu den am weitesten entwickelten und mächtigsten Stämmen aufstiegen, während jene, die sich dagegen abschotteten, untergingen.
Handel zu treiben, ist deshalb vorteilhaft, weil der Wohlstand aller involvierten Vertragsparteien jedes Mal wächst, wenn es zu einem freiwilligen Austausch kommt. Sie erhalten beide etwas, das sie als wertvoller erachten als das, was sie dafür eintauschen. Insofern ist jeder staatliche Eingriff in den freien Handel wohlstandsschädigend. Das gilt natürlich auch, wenn der Handel länder- und grenzüberschreitend stattfindet.
Schutzzölle sind ein politischer Zwangsmechanismus, der dem gesamtgesellschaftlichen Wohlstand des betroffenen Landes schadet. Wenn Zölle eingeführt werden, erhöhen sich die Kosten des Handels, womit weniger gehandelt und damit auch weniger Wohlstand geschaffen wird. Güterspezifische Zölle werden von den Behörden oftmals genau so festgelegt, damit sich ein bestimmter Austausch über die Landesgrenze hinweg nicht mehr lohnt. Obwohl zum Beispiel Holz im Ausland wesentlich günstiger bezogen werden könnte, werden Zölle in mindestens jener Höhe festgelegt, dass die Marge zunichtegemacht wird und sich ein Bezug aus dem Ausland nicht mehr lohnt. Wer es sich trotz der hinaufmanipulierten Preise leisten kann, muss das benötigte Holz folglich im Inland beziehen, wobei der ausländische Produzent gegenüber dem inländischen diskriminiert wird und die Bezüger gezwungen werden, den inländischen Produzenten einen ungerechtfertigten Mehrpreis zu zahlen.
Damit wird klar, warum Schutzzölle ihre Befürworter finden: Inländische Produzenten des betroffenen Gutes können aufgrund der Zölle zu marktunüblich hohen Preisen verkaufen. Sie erzielen einen Gewinn, der ihnen nicht zusteht, einfach aufgrund der Tatsache, dass eine staatliche Organisation jene Akteure terrorisiert, die grenzüberschreitenden Handel betreiben. Schutzzölle sind nicht nur wohlstandsbehindernd, sondern auch in hohem Grade konsumenten- und ausländerfeindlich.
Der Urinstinkt zur Abschottung wird mit vermeintlich logischen Argumenten zu rechtfertigen versucht, die große Zustimmung erfahren. Mit Slogans wie „Geld bleibt hier“ wird für diverse Schutzzölle geworben. Demnach sollten wir unser Geld nicht im Ausland ausgeben, um das inländische Wohlstandsniveau zu schützen. Wenn das Geld im Inland ausgegeben werde, so die Behauptung, so würden die inländischen Empfänger davon profitieren, weshalb der Wohlstand nicht ins Ausland verschenkt werde. Dass eine solche Argumentation bei Laien hin und wieder auf fruchtbaren Boden fällt, ist verständlich. Einem Ökonomen hingegen stehen alle Haare zu Berge.
Wenn wir ernsthaft glauben, den inländischen Wohlstand anheben oder sichern zu können, indem wir Geldflüsse ins Ausland stoppen, dann müsste diese Annahme ja auch im kleineren Rahmen gelten, zum Beispiel für die Bevölkerung des Kantons Aargau. Diese könnte ihren Wohlstand steigern, wenn sie ihr Geld nur noch im eigenen Kanton ausgäbe. Dasselbe gälte dann für die Bevölkerung jeder Gemeinde und letztlich auch für den Kreis der Familienangehörigen. Was, wenn jeder sein Geld nur noch bei sich behalten würde – ganz nach dem Motto „Geld bleibt hier“? Würden wir es dann alle wie von Zauberhand zu Reichtum bringen? Wenn es doch nur so einfach wäre …
Es ist keine neue Erkenntnis, dass wirtschaftliche Abschottung nicht zu Wohlstand, sondern zu ärmlichen Verhältnissen führt. Schon vor über 200 Jahren stellte der Ökonom David Ricardo (1772–1823) seine Theorie der komparativen Kostenvorteile auf. Er führte uns eindrücklich vor Augen, dass Arbeitsteilung und freier internationaler Handel allen Beteiligten Vorteile bringen, selbst jenen Ländern, die bei allen Gütern Kostennachteile haben. Die Geschichte hat Ricardo recht gegeben.
Indem wir also tolerieren, dass Geld nicht hierbleiben muss, sondern durchaus auch im Ausland ausgegeben werden darf, können wir alle unsere Lebensstandards verbessern.
Das Erfolgsrezept des Freihandels bedeutet im Grund genommen, dass man den Bürgern die freie Wahl lässt, wo und von wem sie ihre Produkte und Dienstleistungen beziehen. In einem Regime offener Märkte, in dem man nicht von der Politik dazu gezwungen wird, seine Einkäufe im Inland zu tätigen, steht den Menschen eine wesentlich größere Produktpalette zur Verfügung. Je größer das Angebot, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass auf die eigenen Bedürfnisse und Präferenzen zugeschnittene Produkte bezogen werden können – sei es, indem man das entsprechende Angebot wesentlich günstiger kriegt oder indem man aus komplett neuartigen Produkten, die im Inland nicht produziert werden, auswählen kann.
Andererseits intensiviert sich mit steigenden Wahlmöglichkeiten auch der Wettbewerb der Anbieter um die Gunst der Kunden, weil Unternehmen ihre Produkte überall hin exportieren dürfen. Die Unternehmen können sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern sind ständig darum bemüht, die Qualität und die Preise ihrer Produkte zu optimieren, um nicht von der Konkurrenz überholt zu werden. Dieser freie Wettbewerb auf freien Märkten ist der elementare Pfeiler der Innovation und des Fortschritts.
Ganz anders in abgeschotteten Gebieten: Aufgrund der Fernhaltung ausländischer Konkurrenz durch hohe Zölle oder regulatorische Vorgaben müssen sich inländische Unternehmen keine Sorgen machen und sich auch keine Mühe geben. In der Folge wird die Wirtschaft immer träger. Innovation und Produktqualität lassen nach – zum Nachteil der Kunden, versteht sich.
Schutzzölle gehören daher vollständig beseitigt. Der Staat hat sich strikt aus den Handelsbeziehungen der Menschen herauszuhalten und darf hier nicht Partei ergreifen.
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