Marktwirtschaft: Die Rolle von Gewinn und Verlust
Souveräner Konsument als Richter
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Wenn alle Marktteilnehmer die Zukunft richtig vorhersehen könnten, würden weder Gewinne noch Verluste entstehen. Unter der Annahme einer vollkommenen Voraussicht würden die Preise in der Wirtschaft zu jedem aktuellen Zeitpunkt schon die zukünftigen Preise widerspiegeln und es gäbe weder Gewinn noch Verlust. Der wirtschaftliche Profit gelingt durch die bessere Antizipation zukünftiger Konsumentenwünsche. Auf diese Weise kann dieser Unternehmer die Produktionsfaktoren gegenüber der Konkurrenz heute schon zu einem Preis erwerben, der die zukünftigen Preise des Produktes noch nicht vollständig wiedergibt. Ein solcher Unternehmer kauft die Produktionsfaktoren zu Preisen, die als Kosten auf einem Niveau entstehen, das unter den zukünftigen Einnahmen liegt, und erzeugt so einen wirtschaftlichen Gewinn, der über den rein buchhalterischen hinausgeht.
In seinem Aufsatz über „Gewinn und Verlust“ von 1951 macht Ludwig von Mises deutlich, dass in einer kapitalistischen Wirtschaft zwar die Unternehmer den Verlauf der Produktion bestimmen, doch der endgültige Richter über Erfolg oder Misserfolg in Gestalt des souveränen Konsumenten besteht. Deshalb liegt in einer Marktwirtschaft die letzte Entscheidung darüber, was produziert wird, in der Hand der Verbraucher. Dem Unternehmer kommt die Rolle zu, die Produktion so zu lenken, dass die jeweils dringendsten Bedürfnisse der Verbraucher bevorzugt bedient werden. Diejenigen Unternehmer, die die Wünsche der Verbraucher am besten erfüllen, erzielen Gewinne, während die ineffizienten Unternehmer Verlust erleiden und letztlich vom Markt verschwinden.
Gewinn im volkswirtschaftlichen Sinn muss von den anderen Arten des Erlöses unterschieden werden. Der Gewinn ist nur ein Teil des Gesamteinkommens. Um Gewinne von anderen Formen der Einnahmen zu unterscheiden, sind Zinsen auf das eingesetzte Kapital auszuschließen, ebenso der „Quasi-Lohn“ der Arbeit des Unternehmers. Man muss auch scharf zwischen „unternehmerischem Handeln“ und „technologischer Innovation“ unterscheiden.
Die wesentliche Funktion eines Unternehmers ist die Beseitigung von Fehlanpassungen in der Wirtschaft. Zu diesem Zweck besteht unternehmerische Tätigkeit in der Nutzung von Technologien, die noch nicht vollständig zugunsten der Verbraucher genutzt werden. Die Reaktion auf die Veränderung der Daten als Ergebnis des Nachfragewandels stellt einen weiteren Bereich der unternehmerischen Aktivitäten dar. Unternehmerische Tätigkeit besteht nicht darin, die Produktion einfach durch Kapitalakkumulation zu vermehren. Unternehmerisches Handeln bezieht mit ein, aus der Vielzahl der technologischen Möglichkeiten auszuwählen. Stets geht es dabei darum, die Bedürfnisse der Verbraucher bestmöglich zu befriedigen. In einer Markwirtschaft besteht die Funktion des Gewinns darin, als Anreiz für ein Handeln zu dienen, das zuallererst die Bedürfnisse der Verbraucher im Auge hat.
Unternehmer ist nicht dasselbe wie Erfinder oder Manager. Das ökonomische Problem ist nicht nur die Produktion, sondern es geht auch darum, die Produktion in einer Weise zu bewerkstelligen, dass zuerst die jeweils dringendsten Bedürfnisse der Verbraucher zum Zuge kommen. Es ist die Aufgabe des Unternehmers, die Wirtschaft in diesem Sinne zu lenken.
Non-Profit-Organisationen stehen außerhalb dieses Kontextes der Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen zugunsten der jeweils dringendsten Bedürfnisse. Die meisten öffentlichen Wirtschaftseinheiten arbeiten auf der Grundlage eines vorgegebenen Budgets, das ihnen das verfügbare Kapital zuweist. Die Regierungstätigkeit im Allgemeinen ist grundsätzlich von der Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse der Bürger entkoppelt. Schließlich ist es das Kennzeichen der Regierung, dass sie auf Zwang und Unterdrückung durch den Polizeiapparat zurückgreifen kann, um ihre Maßnahmen durchzusetzen. Regierungstätigkeit hat keinen Marktpreis. Deshalb gibt es im öffentlichen Sektor keine echte Wirtschaftlichkeits-, sondern nur eine Kostenrechnung. Regierungstätigkeit unterliegt nicht dem unternehmerischen Handeln, sondern dem bürokratischen Management. Als gemeinnützige Organisationen sind staatliche Unternehmen für sich selbst souverän, und ihr Tätigkeitsbereich ist im Wesentlichen durch die Höhe des zur Verfügung stehenden Kapitals und nicht durch die Wünsche der Öffentlichkeit oder der Verbraucher bestimmt.
Auf dem Markt findet aufgrund der Kaufentscheidungen der Öffentlichkeit eine permanente Volksabstimmung statt. Durch den Kauf und durch den Verzicht auf Kauf bestimmen die Verbraucher, wer tatsächlich Eigner der Produktionsfaktoren ist. In einer funktionierenden Marktwirtschaft herrschen nicht de jure Eigentümer, sondern de facto sind die Verbraucher Eigentümer des Kapitals in der Wirtschaft.
Nicht nur die unternehmerischen, auch die Entscheidungen der Verbraucher sind experimentell. Der Marktprozess besteht in einem ständigen Prozess von Versuch und Irrtum, wobei die Verbraucher ihre früheren Entscheidungen in Betracht ziehen und neue Wünsche formulieren. Entscheidungen der Politik sind in der Regel den wirtschaftlichen Entscheidungen der Bevölkerung auf dem Markt unterlegen. Während die meisten Kaufentscheidungen eine Korrektur zulassen, haben politische Entscheidungen oft langfristig nicht mehr zu korrigierende Konsequenzen. Je mehr Staat in einer Gesellschaft herrscht, umso mehr kommt es zu solchen Zwangläufigkeiten.
Gewinn und Verlust entstammen nicht der Leistung des Kapitals, sondern sind Folge von Ideen im Hinblick auf die Nutzung des Kapitals. Kapital an sich ist ein totes Ding. Die marxistische These, dass es „das Kapital“ sei, das den Gewinn „erzeugt“, hat keine Grundlage. Gewinne resultieren aus guten Ideen und ihrer unternehmerischen Umsetzung. Profit ist ein Produkt des Geistes. Unternehmerischer Erfolg besteht in der Vorwegnahme des zukünftigen Zustands des Marktes. Für Mises ist Gewinn „ein geistiges und intellektuelles Phänomen“.
Gewinne entstehen, wenn Fehlanpassungen durch unternehmerisches Handeln beseitigt werden. Je größer die Fehlanpassung, desto größer ist das Potenzial der Gewinne. Deshalb gibt es gibt keinen „normalen“ und ebenso wenig einen „außergewöhnlichen“ Gewinn. Hohe Gewinne kommen zustande, wenn starke Marktverzerrungen korrigiert werden. Nachdem diese Mängel behoben sind, verschwinden die hohen Gewinne wieder. Soweit es keine Kriterien für die Schaffung „normaler Gewinne“ gibt, gibt es auch keine Grundlage, um „übermäßige Gewinne“ zu verurteilen. Eine Besteuerung sogenannter übermäßiger Gewinne bedeutet vielmehr, Erfolg im Dienst der Öffentlichkeit zu bestrafen. Derartige Abgaben treiben die Wirtschaftstätigkeit dazu, Fehlinvestitionen zu tätigen und bestehende Fehlanpassungen zu belassen.
Die Verurteilung der Gewinne ergibt sich aus der falschen Annahme, dass der unternehmerische Gewinn durch Ausbeutung der Arbeitnehmer und Kunden entsteht. Durch die Abschaffung von Profit und Unternehmer, so behaupten die Sozialisten, könnten die Löhne höher und die Preise niedriger sein. Dies ist die Grundidee, die zum Anspruch des „Rechtes auf das gesamte Arbeitszeugnis“ und zur marxistischen Ausbeutungslehre führt. Wenn aber der Gewinn verschwindet, verschwindet als Folge die Kapitalakkumulation. Für neue Produktionszweige und für die Allokation von Kapital in Zweige, in denen die Nachfrage steigt, würde kein neues Kapital zur Verfügung stehen. Mit der Abschaffung der Gewinne würden also die Innovation und eine effiziente Kapitalakkumulation aufhören.
Antiprofit-Politiken sind das Ergebnis eines fehlerhaften Verständnisses darüber, wie Märkte funktionieren. Derartige gewinnfeindliche Politiken resultieren aus der Annahme, dass Unternehmen Macht hätten und dass sie diese Macht missbrauchen würden. Die Befürworter dieser Politik sehen nicht, dass es genau das Profitmotiv ist, das den Unternehmer dazu zwingt, Kapital zugunsten der Verbraucher anzuwenden und Güter und Dienstleistungen effizient zu liefern. In einer Marktwirtschaft existieren große Unternehmen nur so weit, wie sie für den Verbraucher besser gerüstet sind als kleinere Unternehmen. Die Entstehung von Gewinn ist ein Test, ob das Unternehmen effizient arbeitet und sein Produkt nützlich ist und den Vorlieben der Verbraucher gerecht wird.
Märkte sind nicht vollkommen, und die kapitalistische Produktion kann nicht jedes Bedürfnis aller erfüllen. Das Marktsystem beseitigt nicht die Knappheit. Dies kann kein Wirtschaftssystem. Was die Marktwirtschaft von anderen Formen der Wirtschaftsorganisation unterscheidet, ist ihre innere Fähigkeit zur Korrektur und zur Innovation. Dadurch ist das Marktsystem die Form der Wirtschaftsordnung, die am besten mit dem universellen Vorhandensein von Knappheit umgehen kann. Gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln ist die Grundlage, um einen effizienten Umgang mit Knappheit zu gewährleisten.
Ludwig von Mises. „Profit and Loss“ (1951)
Antony P. Mueller: „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie“ (2021)
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