Guter Einkauf: Die russische Ecke: Provozieren im Supermarkt
… oder den Funken der Freiheit verteilen
von David Andres
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Es liegt nicht an der Qualität der Produkte, was ich heute empfehle. Das muss zu Beginn klar sein. Die Nusswaffeln zum Beispiel, recht flach, sehr lang, kompakte, aber schwebend leichte Riegel … ja, man kann sie gut wegknuspern, aber die klassische Neapolitanerwaffel von Aldi, die man als kleine Stücke aus der Folie bricht, übertreffen sie nicht. Oder die Limonaden, meine Güte. Diese Limonaden. Sie sind teilweise so süß, dass die Supermärkte daneben auch gleich die Adressen und Angebote der örtlichen Zahnarztpraxen abdrucken könnten. Ähnlich süß wie die türkische Limonade Uludağ, bei deren Konsum (eiskalt geht es) man auch immer denkt, dass das Leben am Bosporus entweder sehr schwer sein muss oder dass die Türken auf Gesundheitsaposteleien einfach keinen grünen Heller geben … was ja sympathisch wäre. Gar nicht übel hingegen sind die Knabbereien, zum Beispiel schwarze Sonnenblumenkerne in bis zu 500 Gramm schweren Beuteln, gesalzen und in Öl geröstet.
Die Rede ist von russischen Produkten in deutschen Supermärkten. In gewisser Weise haben diese einen amerikanischen Charakter, sind meistens Convenience Food mit viel Zucker und viel Salz, eine aufdringliche, laute Gaumenattacke, als wären wir alle noch Kinder ohne ein Gespür für subtilere Nuancen. Oder brauchen Sie statt einfachem Weizengries tatsächlich welchen mit bereits eingemischten Himbeerstückchen? Essen Sie häufig Geleebonbons mit Wassermelonengeschmack oder obskure Schaumzuckerwaren? Im russischen Regal finden sich Instantnudeln aller Art, fertige Salatmayonnaisen aus Tüten, Fisch- und Fleischkonserven und – das erinnert dann wieder eher an das alte Europa und den traditionellen Osten – sehr viel Eingelegtes. Mit Milchsäure vergorene Gurken oder auch vergorener Weißkohl nach koreanischer Art, Kimchi.
Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen aussieht, aber in den Supermärkten meiner Region sind die russischen Regale teilweise noch vorhanden und gefüllt. Das ist eine Meldung wert, denn bereits im März verkündeten Presse und Fernsehbeiträge den Boykott russischer Produkte durch nahezu alle Supermarktketten. Auch die Sprache sollte mal wieder gereinigt werden. Bäckereien gingen durch die Schlagzeilen, die aus dem „Russischen Zupfkuchen“ nur noch den „Zupfkuchen“ machen wollten. Edeka veränderte neulich ein hauseigenes Sandwich-Eis von „Moskauer Art“ in „Kiewer Art“.
Als Edeka – die in Sachen moralischer Signalflaggen häufig an erster Stelle sind – im Frühjahr verkündete, den „russischen Lieferanten nicht mehr unterstützen“ zu wollen, schrieb eine Nutzerin bei Facebook: „Ohne Worte!!! Die sogenannten russischen Produkte gehören auch zu der ukrainischen Esskultur und werden auch von ihnen gerne gekauft. Viele Bürger der ehemaligen Sowjetunion, bestehend aus verschiedenen Ländern, konsumieren auch diese Produkte hier in Deutschland!!!“
Bei den russischen Produkte, die jetzt noch zu finden sind, handelt es sich wahrscheinlich um den Bestand, der sich nicht abverkauft. Weil keiner sich traut, danach zu greifen. Es könnten ja die Nachbarn schauen und denken, gleich pinsele man sich auch noch ein „Z“ auf das Auto, in dem man ungeimpft durch die Gegend fährt. Öffnen Sie den Korridor der Freiheit und ziehen Sie lächelnd die viel zu süße Limo, die eingelegten Gurken und die Schaumzuckerkrönchen aus dem Regal. Und wenn dadurch Gespräche entstehen, dann fragen Sie die Mitmenschen, was sie wohl denken, wer in dieser Welt Kriege anfacht und in Gang hält … tatsächlich die Hersteller von Süßigkeiten oder die Gurkenbauern? Oder doch eher ein für den freiwilligen, normalen Konsum gar nicht zugängliches Kartell aus Politik und Waffenindustrie? Fragen Sie, ob Ihr Gegenüber ein Ukrainer ist und bieten Sie an, die Ware zurückzulegen, falls es ihn als persönlich Betroffenen stört. In dem Fall – und in jedem anderen erst recht – soll er Ihnen aber auch erläutern, wieso die Ukraine russisches Gas kaufen darf und wir nicht.
Machen Sie den Supermarkt zu einem Ort der freien Rede und des freien Denkens … den Schaumzucker können Sie zur Not auch an die Nachbarskinder verteilen.
„24Rhein“ – Kaufland, Aldi, Rewe: Russische Waren fliegen aus Regalen – was Kunden wissen müssen
„Heidelberg24“ – Edeka: Kunden kritisieren Boykott russischer Produkte – „Ohne Worte!!!“
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