18. Oktober 2022 08:00

Personalprüfung zu Dieter Bohlen Der unpolitische Rebell

Wie der Pop-Titan auf vielen Ebenen Musik in die Dinge bringt

von David Andres

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Vielleicht hätte Dieter Bohlen die Folge 1875 des Podcasts von Joe Rogan hören sollen, um etwas mehr Fleisch an seine Kritik zu bringen. Dort saß kürzlich Dave Smith und fand unglaublich griffige Worte zum aktuellen Krieg. Beide Seiten seien bereits zu Beginn des Konflikts kurz vor einer Einigung gewesen, doch Boris Johnson habe damals interveniert, selbstredend in seiner Funktion als Vasall der aktuellen Biden-USA, die an einem langen, zähen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine interessiert sei. Smith ist ein prominenter Libertärer in den USA, Mitglied der Libertären Partei und gegebenfalls deren Präsidentschaftskanditat für 2024, Todfeind der Big-Tech-Hegemonie und Rothbard-Anhänger. Er hätte sein eigenes Porträt in eigentümlich frei verdient oder ein langes Gastgespräch – Lichtschlag, übernehmen Sie. An dieser Stelle jedoch zurück zu unserem deutschen Pop-Titan. Dieter Bohlen, der Argumente und an rhetorischer Wucht ärmer als ein Dave Smith oder eine Sahra Wagenknecht, aber in der Sache leidenschaftlich, kritisierte kürzlich öffentlich die Sanktionen gegen Russland und bezeichnete sie als unsinnig. Hätte man sich stattdessen „vernünftig an einen Tisch gesetzt, dann müssten die Leute jetzt nicht diesen ganzen Firlefanz machen“. Ob und wie dies versucht wurde? Siehe wieder Dave Smith und dessen Quellen in dem langen Gespräch beim furchtlosen Podcaster Rogan, dessen Sendung so in Deutschland niemals möglich wäre und sich zum erfolgreichsten Format dieser Art weltweit entwickelt hat.

Bohlen tätigte seine kleine Bemerkung im Rahmen eines Auftritts bei der Entrepreneur University, einem Weiterbildungsinstitut für Selbständige und Unternehmer. Einem Milieu also, mit dem die augenblicklich Empörten, die sich auf ihn stürzten, gar nichts anfangen können. Es hagelte Kolumnen und Verurteilungen durch jede Zeitung beziehungsweise deren Online-Variante, Faktenchecks, tiefste Betroffenheit von moralischen Instanzen wie der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, Impfpflicht-Befürworterin und Fan der Vermögensabgabe für Besserverdienende, also zum Beispiel für Dieter Bohlen. Dessen legendäres Pop-Duo Modern Talking hatte einen seiner größten Absatzmärkte einst in Russland, worauf die Empörten angesichts von Bohlens Bemerkung erstaunlich wenig eingegangen sind. „In Deutschland belächelt, in Moskau ein Volksheld“, schrieb der „Spiegel“ im Jahre 2009 über Bohlens ehemaligen Kompagnon Thomas Anders, der das Erbe noch lange weiter gen Osten trug, „kein Musiker trat dort so oft auf wie er“. Die Popularität begann in den 80er Jahren, als Modern Talking „als erste westliche Band offiziell ihre Alben in der Sowjetunion verkaufen“ durfte, da der Kreml seinem Volk etwas Frisches bieten wollte, das nicht britisch oder amerikanisch war und vor allem – unpolitisch. In dieser Hinsicht war alles, was Bohlen gemacht hat, schon immer eine Provokation in seinem deutschen Heimatland, wo „politisch“ zu sein von populären Musikern in dem Sinne erwartet wird, dass sie meist linke Regierungsnarrative nachplappern, sich aber am liebsten grundsätzlich mit der Macht gemein machen. Sigmar Gabriel war einst sogar Pop-Minister, die „Hannover-Connection“ schloss etwa die Scorpions mit ein, Campino unterstützte Gerhard Schröder bei dessen Run aufs Kanzerlamt.

Bohlen hält sich raus. Immer schon. Er komponiert profane, aber überaus wirkmächtige Popmusik im Sinne des unaufhaltsamen Ohrwurms, er machte die Castingshow als Straßenfeger-TV-Ereignis und seifenopernhaftes Drama groß und erzeugte zumindest in deren Frühphase tatsächlich einige Stars, die bis heute hervorragend davon leben können. Er hat sich nie für seinen Reichtum entschuldigt, der sich in jungen Jahren in Ferraris ausdrückte und später in den Koi-Karpfen seines Anwesens in Tötensen. In seinem Ratgeber „Planieren statt Sanieren“ redet er jungen Leuten ins Gewissen, dass ein Ferrari Geldverschwendung sei und ein Boot zu besitzen auch. Aber nicht etwa deshalb, weil er das kommunistische Gewissen seiner ganz kurzen linken Jugend wiederentdeckt hätte, sondern weil derlei Dinge mehr Arbeit machten, als dass sie Glück brächten. Viel Kohle zu verdienen und sie sinnvoll zu investieren, das sei eher zu empfehlen, und der Weg dorthin, der führe, „auch, wenn ihr das nicht hören wollt“, über „Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit“.    

Vor zwei Jahren komplimentierte RTL Bohlen aus seiner eigenen Sendung, um Deutschland sucht den Superstar politisch korrekt und „zeitgemäß“ neu aufzustellen. Die eine Staffel mit dem dafür auserkorenen Florian Silbereisen floppte. Nun wird Bohlen bald die nächste und definitiv letzte wieder unter seine Fittiche nehmen und mit dem Sieger erstmals höchstpersönlich nach der Show eine Tournee spielen. In der anderen großen Musikshow der Gegenwart, The Masked Singer, ließen sie am vergangenen Samstag – nach Bohlens Äußerungen – die Figur des vom Teufel besessenen Werwolfs ein Hardrock-Cover von Modern Talkings „You’re My Heart, You’re My Soul“ singen, ohne sich in der Moderation drumherum auch nur pseudo-ironisch von dessen Urheber zu distanzieren. Es kommt Musik in die Dinge. 

The Joe Rogan Podcast #1875

„Spiegel“: Die Russen mögen’s anders

Rezension bei Unternehmercoach: „Der Bohlenweg: Planieren statt sanieren“

TV Movie: DSDS alles neu: Dieter Bohlen enthüllt die Mega-Sensation der Jubiläumsstaffel!

The Masked Singer


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