Vorrevolutionäre Zeiten: Englische Davos-Parteien erleiden Popularitätsverlust
Auch in Großbritannien kündigt sich ein gewaltiges Umpflügen der politischen Landschaft an
von Robert Grözinger
Während in Deutschland anständige Menschen mit der Frage kämpfen, wie sie mit menschenähnlichem Abschaum leben können, der sich auf Amts- und Pressewegen an einem unschuldigen 16-jährigen Mädchen vergreift, brauen sich auch anderenorts vorrevolutionäre Zustände zusammen. Wir hören etwa von Bauernprotesten in anderen europäischen Ländern. In Großbritannien weniger, obwohl es Gründe dafür auch hier gäbe. Stattdessen aber könnte dort demnächst die parteipolitische Landschaft gewaltig umgepflügt werden.
Spätestens im nächsten Januar ist im Vereinigten Königreich die nächste Parlamentswahl fällig. Beobachter gehen derzeit von einer Wahl im November aus. Ein anderer möglicher Termin ist Anfang Mai. In einem sind sich aber alle sicher: Die regierenden Konservativen werden hochkant aus der Downing Street fliegen und sich, auf Schlumpfgröße geschrumpft, auf den Oppositionsbänken wiederfinden.
2019 gaben die Wähler der Partei unter dem damaligen Premierminister Boris Johnson eine einmalige Chance. Sie bekam eine selten große Mehrheit von 80 Sitzen. Aber mit Ausnahme der formalen Durchführung des „Brexits“ tat sie alles, was eine beliebige andere Ansammlung von Davos-Clonen auch getan hätte: Steuererhöhungen, mehr Klimaschwindel, mehr staatliche Überwachung, mehr Zulassung von Meinungsterror, mehr staatliche Wohlfahrt, mehr Einwanderung, auch illegale aus kulturfremden Regionen, mehr Wokismus einschließlich Gendergaga und so weiter.
Aufgrund des relativen Mehrheitswahlrechts könnte es zu einem für die konservativen fast vernichtenden, katastrophalen Einbruch kommen. So sehr könnte ihre Fraktion verkleinert werden, dass sie noch nicht einmal mehr die offizielle Opposition sein dürfte, ein Status, welcher nur der zweitgrößten Partei zukommt. Umgekehrt könnte die derzeit noch oppositionelle Labour-Partei einen Rekordwahlsieg einfahren.
Die Ironie der Geschichte: Gerade aufgrund dieser, oberflächlich betrachtet, gewaltigen Machtverschiebung deuten sich jetzt in Großbritannien unter dem Radar tatsächliche Umbrüche an, die viel tiefer greifen. Kurz gesagt: Genau wie in Deutschland und anderswo in der westlichen Welt droht der Davos- und Blackrock-hörige politische Mittelstrahl im Parlament sowohl vom rechten wie linken Rand des Spektrums mächtig in die Zange genommen zu werden.
An beiden Rändern sammeln sich Stimmen, die Themen ansprechen, die vielen Leuten unter den Nägeln brennen, aber vom Mainstream entweder ignoriert oder unterdrückt werden. Auf der rechten Seite ist es die Reform-Partei, die Nachfolgerin der Brexit-Partei, welche 2019 allein zum Zweck gegründet worden war, bei der damaligen EU-Wahl Druck auf die zögerlichen Konservativen unter Theresa May zu machen – was ihr mit durchschlagendem Erfolg gelang. Treibende Kraft hinter diesem Projekt war und ist: Nigel Farage, früher der Vorsitzende der UKIP, welche seit dem Brexit ihren Existenzgrund verloren hat.
Die Reform-Partei hat jetzt sogar einen Abgeordneten in Westminster. Lee Anderson, bislang ein Parlamentarier der Konservativen, ist übergetreten und hat sein Mandat mitgenommen. Zuvor war er aus der Fraktion der Regierungspartei ausgeschlossen worden. Der Grund war der, dass Anderson gesagt hatte, dass der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan „von Islamisten gesteuert“ werde. Von den üblichen Verdächtigen wurde die Aussage sogleich als „rassistisch“ und „islamophob“ gebrandmarkt.
In einem Interview mit dem TV-Kanal des konservativen „Spectator“-Magazins zeigte sich Reform-Ehrenvorsitzender Farage unbeeindruckt. Er hätte die Aussage anders formuliert, aber die Grundhaltung dahinter stimme und werde von der Mehrheit der Bevölkerung außerhalb des Londoner Regierungsviertels gestützt, so der Brexit-Rebell. Und diese Haltung sei: Wir verlieren die Kontrolle über die Straße, über den öffentlichen Raum.
Hintergrund der Anderson-Aussage sind die andauernden, samstäglichen Massendemonstrationen in der Hauptstadt zur Unterstützung der Palästinenser im Hinblick auf den andauernden Gaza-Konflikt. Bio-Engländer sind entsetzt. Weniger darüber, dass aus diesen Massendemonstrationen Forderungen nach der Vernichtung Israels erklingen. Beunruhigender finden sie, dass Teile ihrer Hauptstadt regelmäßig lahmgelegt werden, weil sich Massen über einen Krieg aufregen, mit dem sie, die Bio-Engländer, wenig bis gar nichts zu tun haben. Oder, besser gesagt: Haben wollen.
Diese Grundhaltung, gepaart mit der allgemeinen, abgrundtiefen Enttäuschung über die Konservativen, kommt allmählich in den Umfrageergebnissen zum Ausdruck. Bei den neuesten Erhebungen von „Yougov.co.uk“ bekam die Labour-Partei 44 Prozent und die Konservativen 19 (!) Prozent. Der Rest verteilt sich auf die beiden Regionalparteien in Schottland und Wales und die drei kleineren landesweiten Parteien: Liberaldemokraten, Grüne und neuerdings auch die – in Deutschland am ehesten mit der AfD vergleichbaren – Reform-Partei.
Während diese drei kleineren Parteien in den vier Jahren seit der vergangenen Wahl zwischen fünf und zehn Prozent pendeln, gelang „Reform“ seit vergangenem Oktober, also genau seit dem Beginn der erwähnten wöchentlichen Massendemonstrationen, umfragemäßig ein Durchbruch. Seither steigt sie in den Umfragen stetig an und liegt jetzt bei 15 Prozent. Sie hat also nur noch vier Prozent Abstand zu den Konservativen. 15 Prozent klingt nicht nach viel. Aber in einem System des relativen Mehrheitswahlrechts kann das für die Konservativen, woher die meisten der „Reform“-Wähler stammen, den parlamentarischen Tod bedeuten.
Und das scheint jetzt sogar das Hauptziel vieler dieser Wähler zu sein. Laut Farage gibt es in einer bestimmten Kategorie von Wahlkreisen unter vielen Wählern nur noch Verachtung für die Konservativen. Diese wichtigen Wahlkreise sind Teil der sogenannten „roten Mauer“. Es sind Wahlkreise, die seit Jahrzehnten fest in der Hand von „Labour“ waren. Bis sie bei der Brexit-Wahl von 2019 an die Konservativen fielen. Unter anderem deshalb, weil Farage damals aus taktischen Gründen in jenen Wahlkreisen die Kandidaten seiner Partei abzog.
In diesen Wahlkreisen, wo klassische Arbeitermilieus noch vorherrschen, wandten sich die Wähler von der als allzu EU-freundlich empfundenen Labour-Partei ab und, in Ermangelung der Brexit-Partei, den Konservativen zu. Das trug entscheidend zur oben erwähnten Mehrheit der Torys bei. Deren Politik in den vergangenen fünf Jahren lässt diese Wähler nun entsetzt und in Scharen zu „Reform“ überlaufen. Laut „Breitbart“ hat „Reform“ in einigen dieser Wahlkreise unter Männern bereits jetzt mehr Unterstützung als die Konservative Partei.
Auch für „Labour“ sind diese Arbeiter also verloren. Und nicht nur sie. Vor kurzem schrieb ein einflussreicher Journalist, er sei nach einer jahrzehntelangen Mitgliedschaft aus der Partei des linken Mainstreams ausgetreten. Owen Jones, so heißt der Mann, sieht in seiner Partei nur den Wunsch, im Wesentlichen die Politik der gegenwärtigen Regierung fortzusetzen und keine „echte linke“ Politik zu machen. Sei es beim Ausbau des Wohlfahrtsstaates oder einer „klimaneutralen“ Wirtschaft oder auch eine deutlichere Verurteilung von, wie er es sieht, Menschenrechtsverletzungen in Gaza. Dass er dabei nur eine schnellere Umsetzung des Davos- und Blackrock-Programms fordert, ist klar.
Andererseits zeigt seine Ungeduld, die sicher repräsentativ für die Klimakleber und sonstigen hirntraumatisierten Wokisten ist, dass Davos und Blackrock mit ihren Fußtruppen ein Problem haben. Die Fußtruppen nehmen den Utopismus, mit dem unsere Elite sie antreibt, ernst. Er kann ihnen nicht schnell genug kommen. Das kann für unsere selbsternannten Herrscher gefährlich werden, da auf extremen Utopismus und den Versuch, diesen umzusetzen, normalerweise eine heftige Reaktion erfolgt.
Jones sieht völlig zu Recht, dass der Höhenflug der Labour-Partei in den Umfragen nicht auf ihr Programm oder Personal zurückgeht, sondern auf die in aller Hinsicht grottenschlechte Leistung und Darstellung der Konservativen. Er erkennt, dass „Labour“ die nächste Wahl kaum verlieren kann und haushoch gewinnen wird. Deswegen sei es für echte Linke jetzt an der Zeit, die Grünen – in Großbritannien noch immer eine marginale Partei – oder unabhängige Kandidaten zu wählen, schrieb er vor kurzem im linken „Guardian“.
Höchstwahrscheinlich im November, also wenn auch in den USA gewählt wird, werden wir genauer wissen, ob die abgehobene Elite, die die Welt nach ihrem Bild „transformieren“ will, in Großbritannien das Volk noch so sehr im Griff hat, wie es für sie nötig ist, um an der Macht zu bleiben.
Quellen:
Interview von Spectator-TV mit Nigel Farage vom 15.03.2024 (Youtube)
Populist Reform UK Party Overtakes Tories in Support Among Men and Red Wall Voters (Breitbart)
Owen Jones über seinen Austritt aus der Labour-Partei (The Guardian, englisch)
YouGov-Umfrageergebnis vom 20.03.2024 zu Wahlabsichten in Großbritannien
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