19. Juni 2025 06:00

(Vermeintliche) Bedrohungen Notstand-Missbrauch

Verhindert „Trial and Error“-Prozesse

von Olivier Kessler drucken

Artikelbild
Bildquelle: Doers / Shutterstock Covid-P(l)andemie: Stilllegung des Lebens und der Grundrechte

Tief in uns drin ist seit Urzeiten der Instinkt verankert, auf eine Bedrohung kollektiv und mit voller Stärke zu reagieren. Wenn eine Hyäne sich einer Menschengruppe näherte, so mussten alle Stammesmitglieder mithelfen, das Tier mit Steinen zu bewerfen, wenn überhaupt jemand aus der Gruppe überleben wollte. Der kollektivistische Instinkt war also überlebensnotwendig. Unser Immunsystem funktioniert bei der Verteidigung unseres Körpers ähnlich. Es kann aber auch auf einen falschen Alarm hereinfallen, etwa wenn es aggressiv auf Blütenstaub reagiert oder den eigenen Körper anzugreifen beginnt, wie etwa bei Autoimmunerkrankungen.

Ebenso können wir auch heute noch bei auftretenden vermeintlichen oder tatsächlichen Bedrohungen übersensibel reagieren. So überboten sich die Regierungen weltweit – mit der Zustimmung vieler – ab dem Jahr 2020 mit radikalen Notrechtsmaßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19, einer, wie es damals hieß, überdurchschnittlich tödlichen Bedrohung für einen erheblichen Teil der Bevölkerung, was eine Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte nötig mache. Kritisch müssen wir uns die Frage stellen, ob die Außerkraftsetzung elementarer Freiheitsrechte auf der Basis lückenhafter wissenschaftlicher Erkenntnisse verhältnismäßig und richtig war und künftig bei ähnlichen Situationen wiederholt werden sollte.

Was war schon Mitte 2020 über Covid-19 bekannt? Die Letalität lag gemäß den Daten der am besten untersuchten Ländern bei durchschnittlich rund 0,2 Prozent, was derjenigen einer stärkeren Grippe entspricht. Das Median-Alter der Verstorbenen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, lag bei über 80 Jahren und damit im Rahmen der normalen Sterblichkeit. In vielen Ländern ereigneten sich die Todesfälle zu rund zwei Dritteln in Pflegeheimen, an einem Ort also, wo Lockdowns nicht viel bewirken können. Dabei ist nicht klar, ob die Patienten an Covid-19 oder einfach nur an den Vorerkrankungen gestorben sind.

Menschen im Alter bis 65 Jahre wiesen ein stark vernachlässigbares Sterblichkeitsrisiko auf, was die allgemeine Schließung von Schulen, das Herunterfahren eines signifikanten Teils des Wirtschaftslebens und die Einschränkung der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit in einem zweifelhaften Lichte erscheinen lassen. Die von der WHO zunächst stark überschätzte Letalität ist vor allem auf unzureichende Testkapazitäten – ein Staatsversagen – zurückzuführen, weil infizierte Personen mit milden oder keinen Symptomen zunächst gar nicht erfasst wurden. Die Überlastung der übermäßig kollektivierten Gesundheitssysteme in Italien, Spanien und in Großbritannien ist kein Phänomen, das es erst seit Covid-19 gibt, sondern leider zum tragischen Alltag während Grippewellen gehört.

Die in diversen Medien alarmistisch präsentierten exponentiell ansteigenden Corona-Fälle waren außerdem irreführend, weil auch die Anzahl der Tests während dieser Zeit exponentiell zunahm. Der Höhepunkt der Ausbreitung war bereits vor dem ersten Lockdown erreicht. Viele Todesfälle wurden zudem vom Lockdown und von der allgemeinen Panikmache verursacht. Die Behandlung von Herzinfarkten und Hirnschlägen reduzierte sich während dieser Zeit um bis zu 60 Prozent – auch weil die Erkrankten Angst davor hatten, in den Kliniken angesteckt zu werden. Auch die angeordnete Fokussierung auf die Behandlung von Corona-Patienten und die vorsorgliche Zurückstellung anderer Behandlungen und Untersuchungen erwiesen sich als kontraproduktiv, zumal dadurch viele Patienten unnötig an unentdeckten oder unbehandelten Ursachen verstarben. Aufgrund des Lockdowns litt und leidet außerdem eine überproportionale Anzahl von Menschen an psychischen Problemen.

Es gibt gewichtige Gründe, weshalb die Grundfreiheiten der Bürger nur im äußersten Fall und nicht bei jeder potenziellen Gefahr mittels Notrechts über den Haufen geworfen werden sollten. Die Möglichkeit einer Herrschaft durch exekutives Notrecht sollte – wenn überhaupt – eng definierten Notsituationen vorbehalten sein, weil unter Notrecht erlassene Befehle großen Schaden anrichten können.

Doch selbst in Extremsituationen wie einer übermäßig gefährlichen Pandemie, in der, sagen wir, jeder zweite Bürger stirbt, stellt sich die Frage, ob Grundrechtseinschränkungen das richtige Vorgehen sind. Denn die Befürworter radikaler Maßnahmen gehen ja davon aus, dass diese Staatsinterventionen eine positive Wirkung entfalten, dass also zum Beispiel so mehr Leben gerettet worden wären, als wenn es die Maßnahmen nicht gegeben hätte.

Die am Liberalen Institut veröffentlichte Studie Covid-19 und die politische Ökonomie der Massenhysterie von Professor Philipp Bagus und weiteren Autoren untersucht die Effekte solcher Eingriffe im Verhältnis zu einer Situation, in der es keine staatlichen Maßnahmen gegeben hätte. Nehmen wir zunächst an, der Staat hätte bei Ausbruch von Covid-19 rein gar nichts getan. Wie hätten sich die Leute dann verhalten? Es hätte dann wahrscheinlich Menschen gegeben, die äußerst vorsichtig vorgegangen wären, die also zum Beispiel keine Freunde mehr getroffen und ihr Haus nur noch mit einer FFP2-Maske verlassen hätten. Es hätte aber wohl auch risikofreudigere Menschen gegeben, die einfach so weitergelebt hätten wie bislang: Sie hätten sich weiterhin ohne Masken unter ihre Mitmenschen gemischt, hätten ihre Freunde getroffen und so weiter.

Wenn das Virus übermäßig tödlich gewesen wäre, hätte es die weniger Vorsichtigen hart getroffen. Sie wären massenhaft gestorben, sodass die Vorsichtigeren sich in ihrer Einschätzung bestätigt gefühlt hätten, weiterhin zurückhaltend zu agieren. Außerdem hätte sich dieses Horrorszenario durch die Berichterstattung in den Medien wie ein Lauffeuer verbreitet, sodass auch jene, die das Virus ursprünglich nicht als dermaßen gefährlich eingeschätzt hatten, sich nun aus Eigeninteresse und ohne staatliche Befehle vorsichtiger verhalten hätten. Es braucht also keine staatlich angeordneten Lockdowns, Kontaktverbote oder Maskenzwänge. Die Menschen reagieren im ureigenen Interesse adäquat auf echte Bedrohungen. Man muss sie dazu nicht zwingen.

Wenn sich der ursprüngliche Alarmismus hinsichtlich eines neuartigen Virus jedoch als übertrieben herausstellt und diejenigen, die ihr Leben normal weitergelebt haben, nicht massenhaft tot umfallen, so wäre das Erlassen von Notrecht ohnehin unverhältnismäßig und falsch. Doch nicht nur das: Indem der Staat in ungewissen Situationen Notrecht erlässt und elementare Grundrechte außer Kraft setzt, verhindert er die notwendigen dynamischen Lernprozesse in der Gesellschaft. Der wichtige Lernmechanismus des Versuchs und Irrtums kann so nicht mehr stattfinden, weil alle auf eine Linie getrimmt werden. Alle haben sich gleich zu verhalten: Jeder muss eine Maske tragen, zu Hause bleiben, darf keine Veranstaltungen mehr organisieren oder besuchen et cetera. Doch wenn das Experimentieren verhindert wird, kann letztlich niemand mit Gewissheit sagen, ob das Virus nun wirklich so gefährlich ist, wie das von den Behörden behauptet wird, und welche Vorsichtsmaßnahmen verhältnismäßig wären. Ohne „Trial and Error“-Prozesse könnte die Regierung bei jeder Grippewelle Notrecht erlassen und dann behaupten, dass es ohne staatliche Maßnahmen noch schlimmer gewesen wäre.

Der amerikanische Gründervater James Madison warnte schon seinerzeit vor „dem alten Trick, jeden Notstand in eine Ressource zu verwandeln, um die Macht der Regierung zu mehren“. Doch irgendwie fallen wir auch heute noch immer wieder darauf rein. Wir müssen aufpassen, dass wir Regierungen keinen Freipass erteilen, um bei jeder behaupteten Krise unsere Grundrechte außer Kraft zu setzen. Vielmehr gilt es sicherzustellen, dass solche Notrechts-Kompetenzen auf ein absolutes Minimum reduziert werden und dass die Beweislast aufseiten der Eingreifenden liegen.


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.