26. August 2024 16:00

Klimahysterie Wie die Kernkraft beim Angstpoker verlor

Ihre Gegner von der Öl-Lobby spielten mit gezinkten Karten

von Robert Grözinger

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Bildquelle: Shutterstock Wäre auf dem freien Markt mit Sicherheit ein Renner: Kernkraftwerk

„Angst ist ein schlechter Ratgeber.“ Dieses Mantra hörten wir ständig in den Wochen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, sagten offene und versteckte Lobbyisten der Kernkraftindustrie – und fuhren fort, selber Angst zu machen, nämlich vor dem Klimawandel aufgrund der Nutzung fossiler Brennstoffe, in der Hoffnung, den zunehmenden Umweltschutzimpuls in der Gesellschaft für ihre Zwecke zu nutzen. Das war ein strategischer Fehler.

Heute können wir sagen, diesen Angstpoker hat die Nuklearindustrie krachend verloren. Wir können auch sagen: Selber schuld. Man kann bei diesem üblen Vorgang vor allem der Ölindustrie vorwerfen, mit gezinkten Karten gespielt zu haben, ich komme gleich darauf. Die wirkliche Lehre aus diesem traurigen Kapitel in der Geschichte der Industriepolitik ist aber, dass wir den Angstmachern das Handwerk legen müssen.

Ich habe persönlich miterlebt, wie die Kernkraft-Lobby anfing, die Angst vor dem Klimawandel zu schüren. Im Juni 1986, also wenige Wochen nach dem Unfall in der Ukraine, besuchte ich den Bundesparteitag der FDP. Ich war kein Delegierter, nur einfaches Mitglied (ich bin vor mehr als 20 Jahren ausgetreten). Der Parteitag fand in Hannover statt, nicht weit von meinem Wohnort. In der Versammlung wurde natürlich sehr lebhaft und heftig über die Zukunft der Kernkraft in Deutschland debattiert.

Ich erinnere mich besonders an zwei Redebeiträge. Beide Pro-Kernkraft, aber mit ganz unterschiedlicher Argumentation. Der eine Beitrag kam von Otto Graf Lambsdorff. Der damalige Ex-Bundeswirtschaftsminister und Noch-nicht-Parteivorsitzende betonte die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke und verwies auf die Logik von Angebot und Nachfrage: Ein höheres Angebot an Strom würde diesen kostengünstig halten und den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. 

Beim anderen Beitrag hörte ich zum ersten Mal, wie ein Pro-Kernkraft-Politiker mit der angeblichen Gefahr eines Klimawandels argumentierte. Diesen Redner kannte ich ein wenig; er hieß Walter Hirche, war Vorsitzender meiner niedersächsischen Landes-FDP und seit der Landtagswahl wenige Monate zuvor Wirtschaftsminister in der neuen CDU-FDP-Koalition. Er war nicht wirklich als jemand bekannt, für den Umweltschutz ein vorrangiges Thema darstellte. Dennoch sagte er ungefähr, dass ohne Kernkraft ein katastrophaler Klimawandel nicht aufzuhalten sei. Dass der Klimawandel so schlimm werden könnte, war damals noch ein sehr ungewöhnlicher Gedanke. Zur Erinnerung: Das berühmte „Spiegel“-Titelbild mit dem Kölner Dom halb unter Wasser erschien erst einige Wochen später, im August 1986.   

Lambsdorff argumentierte mit Optimismus und positiven Visionen. Hirche mit Angstmache und negativen Visionen. Nebenbei: Im persönlichen Gespräch sagte mir der Urlibertäre Roland Baader etwa 13 Jahre später, Lambsdorff sei „der beste Mann der FDP“. Dem stimmte ich zu.

Hirche war mit seiner Strategie nicht allein. Keine Geringere als die britische Premierministerin Margaret Thatcher blies in den späten 1980er Jahren ins gleiche Horn. Sie warnte in einer Rede vor dem „massiven Experiment“, das die Menschheit mit der Nutzung der fossilen Brennstoffe mit den Planeten ausführe. 1988 sprach sie sogar vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen von einer „heimtückischen Gefahr“ des Klimawandels, der eine „Aussicht auf unwiederbringliche Schäden in der Atmosphäre, in den Ozeanen und auf der Erde selbst“ mit sich bringe. 

Ihre Schlacht mit den Kohlegewerkschaften hatte sie bereits 1984 gewonnen, dieser Konflikt kann also nicht der Grund gewesen sein. Es ist also sehr gut möglich, dass sie hier den Einflüsterungen der Kernenergie-Lobby gefolgt ist. Aber nicht für lange.

Bald bereute die „Eiserne Lady“ ihre Worte. In ihrer Autobiographie schrieb sie, sie sei gegen Ende ihrer Amtszeit 1990 „ernsthaft besorgt über die antikapitalistischen Argumente“ gewesen, „die von den Aktivisten gegen die globale Erwärmung vorgebracht wurden.“ Sie fuhr fort: „Es ist klar, dass kein Plan zur Veränderung des Klimas in Betracht kommt, der nicht auf globaler Ebene angesiedelt ist, aber er liefert eine wunderbare Ausrede für einen weltweiten, supranationalen Sozialismus.“

Während Thatcher gerade noch so die Kurve kriegte, schafften das viele andere Kernkraft-Befürworter nicht. Während sie fröhlich die Angst vor dem Klimawandel schürten, erhöhte die so unter Druck stehende Ölindustrie den Angstpoker und nutzte ihr Geld, um Politiker zu kaufen, um die lästige Konkurrenz der Kernspalter im wahrsten Sinne des Wortes auszuschalten. Erhellendes findet sich dazu im Buch „Apokalypse Niemals“ von Michael Shellenberger.

Der amerikanische Journalist und Autor war früher in Umweltbewegungen aktiv, sieht jetzt jedoch viele ihrer Aspekte sehr kritisch. Im erwähnten Buch aus dem Jahr 2020 – die deutsche Übersetzung kam 2022 heraus – finden sich einige entlarvende Hinweise darauf, dass die Ölindustrie und mit ihr verbandelte Politiker der Hauptantrieb im Kampf gegen die Kernenergie waren.

Zunächst demoliert der Autor den Mythos von der Gefährlichkeit der Kernenergienutzung. „Die einzige Auswirkung von Tschernobyl auf die öffentliche Gesundheit, die über den Tod der Ersthelfer hinausgeht, sind 20.000 dokumentierte Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Personen, die zum Zeitpunkt des Unfalls unter 18 Jahre alt waren.“ Das klingt schlimm. Aber zu diesem Bild gehört auch die folgende Information, wie Shellenberger betont: „Da Schilddrüsenkrebs eine Sterblichkeitsrate von nur einem Prozent hat, bedeutet dies, dass die zu erwartenden Todesfälle durch Schilddrüsenkrebs, die durch Tschernobyl verursacht werden, über eine Lebensspanne von 80 Jahren nur 50 bis 160 betragen.“

Aber klingt das nicht reichlich zynisch, auch bei solchen Zahlen von „nur“ zu reden? Nicht, wenn man sie mit – jährlichen – Todesfällen durch andere Ursachen vergleicht. Shellenberger rechnet vor: „Zu Fuß gehen (270.000), Auto fahren (1,35 Millionen), Arbeiten (2,3 Millionen), Luftverschmutzung (4,2 Millionen).“ Sein Vergleich: „Im Gegensatz dazu liegt die Gesamtzahl der bekannten Todesopfer aufgrund von friedlicher Kernkraftnutzung bei etwas mehr als 100.“ 

Bevor er die Rolle der Ölindustrie beleuchtet, diskutiert Shellenberger einen psychologischen Faktor, der beim Fußvolk der Umweltbewegung die Angst vor dem Atom antrieb. Der Kampf gegen Atomkraftwerke sei eine „Ersatzhandlung“. Die wirkliche Ursache der Angst im Zusammenhang mit dem Wort „Atom“ seien die Nuklearwaffen. Die Logik der Abschreckung bedeutet, dass es eine Zukunft ohne diese Massenvernichtungswaffen nicht geben wird. Also richteten sich viele Menschen gegen eine Einrichtung, die „ersatzweise“ für Kernwaffen steht: Den Atomreaktor.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Heuchelei von Leuten, die heute als Klima-Aktivisten bekannt sind. Ralph Nader zum Beispiel, ein amerikanischer politischer Aktivist, Autor, Dozent und Anwalt, der für sein Engagement im Bereich Verbraucherschutz und Umweltschutz bekannt ist. Shellenberger zitiert Nader aus einem 1976 veröffentlichten Buch (Sheldon Novick, The Electric War: The Fight over Nuclear Power) mit den folgenden Worten: „Wir brauchen keine Atomkraft.“ Denn: „Wir haben in diesem Land weitaus größere Mengen an fossilen Brennstoffen, als wir zugeben: Teersande, Öl aus Schiefer, Methan in Kohleflözen.“

Das ist derselbe Nader, auf dessen Website für seine Präsidentschaftswahlkampagne 2008 zu lesen ist: „Die Nader-Kampagne glaubt, dass es an der Zeit ist, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden. Die Beweise für die globale Erwärmung werden immer deutlicher. Wir bedrohen die globale Umwelt mit unserer fortgesetzten Nutzung fossiler Brennstoffe.“

Und nun zur Ölindustrie. Schellenberger stellt in seinem Buch ein gewaltiges Ausmaß an Korruption und Heuchelei im Hinblick auf den Kampf gegen die Atomkraft vor allem im US-Bundesstaat Kalifornien vor. Die Schlüsselfunktion führten – und führen – einige Politiker, die offenbar mit Geld aus der Ölindustrie gelenkt werden. Mitten in diesem Sumpf, auf der Seite der Ölkonzerne, stand und steht niemand anderes als Jerry Brown (Jahrgang 1938), der langjährige Gouverneur Kaliforniens und bis heute eine Galionsfigur der Umweltbewegung. Diesen Ruf erwarb er sich, indem er vor allem in den 1970er und frühen 1980er Jahren mit allen Mitteln gegen die Atomindustrie kämpfte.

Dabei zeichnet der Autor sogar entstehende dynastische Strukturen nach. Jerrys Vater Pat Brown war von 1959 bis 1967 kalifornischer Gouverneur. In dieser Zeit half er der indonesischen Ölfirma „Pertamina“ nach den Unruhen in jenem Land finanziell wieder auf die Beine. Pat Brown, der „an der Wall Street gut vernetzt“ war, „brachte 13 Milliarden Dollar auf, was in 2020-Dollar mehr als 100 Milliarden entspricht“, und sorgte dafür, dass „Pertamina“, dessen Öl sauberer als amerikanisches war, in Kalifornien ein Monopol erhielt. Offenbar nicht ohne Gegenleistung.

Als Pats Sohn Jerry im Jahr 1976 erstmals Gouverneur wurde, ergriff er „Maßnahmen zum Schutz des Ölmonopols seiner Familie in Kalifornien“ und änderte durch einen von ihm eingesetzten Beauftragten eine Verordnung über die Luftverschmutzung, die die Einfuhr von konkurrierendem Öl aus Alaska in den Bundesstaat verhinderte, und „begann, die Versorgungsunternehmen des Bundesstaates unter Druck zu setzen, mehr Öl zu verbrennen, anstatt auf Kernenergie umzusteigen.“

Damit noch nicht genug der Korruption. Shellenberger fährt fort: „Als Nächstes machte Jerry Brown den obersten Investmentmanager des Getty-Ölkonzerns zum Richter am Obersten Gerichtshof des Bundesstaates. Der Getty-Mann hatte politische Spenden für Browns Vater gesammelt, als dieser Gouverneur war; und dann für Jerry Brown. Als Richter am Obersten Gerichtshof setzte sich der Getty-Mann dann für Gesetze ein, die das Geld der Getty-Öl-Familie vor der Besteuerung schützten, und verabschiedete sie. Der Name des Getty Oil-Mannes war Bill Newsom, der Vater des derzeitigen Gouverneurs von Kalifornien, Gavin Newsom.“ Praktisch, nicht wahr? Aber es kommt, gerade im Hinblick auf die diesjährige Präsidentschaftswahl, noch besser. 

Als Brown ab 2011 für eine dritte und vierte Amtszeit als Gouverneur regierte, „nahmen er und seine Verbündeten die in den 1970er Jahren begonnenen Bemühungen zur Abschaltung der Kernkraftwerke des Bundesstaates wieder auf“. Er tat dies, indem er aggressiv für Erdgas warb. Als ein Kernkraftwerk einen neuen Dampfgenerator benötigte, drängte er die Eigentümer dazu, das Kraftwerk komplett abzuschalten, und erlaubte ihnen im Gegenzug, die Strompreise zu erhöhen. Bezeichnenderweise stiegen nicht nur die Stromtarife, sondern auch die Kohlendioxidemissionen, weil die Kernkraft durch Erdgas ersetzt wurde.

Als Staats- und Bundespolizeibehörden 2014 davon Wind bekamen, berichtet Shellenberger weiter, stürmten sie die Büros der kalifornischen Stromversorgungskommission „CPUC“, die maßgeblich an dieser Vereinbarung beteiligt war. Die damalige Justizministerin von Kalifornien habe die Ermittlungen entweder eingestellt oder abgewürgt. Die „CPUC“ habe sich geweigert, 60 oder mehr E-Mails aus dem Büro von Gouverneur Brown herauszugeben. Der Name der Justizministerin: Kamala Harris.

Gegen Ende des entsprechenden Kapitels schreibt Shellenberger diese Einschätzung: „Wenn die Investoren für fossile Brennstoffe und erneuerbare Energien sich durchsetzen und einige oder alle der verbleibenden 99 US-Kernreaktoren, die fast 20 Prozent des amerikanischen Stroms liefern, abschalten, werden sie nicht nur ein Vermögen machen, sondern auch Emissionen in die Höhe treiben und die einzige echte Hoffnung auf einen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen vor 2050 zunichte machen.“

Denn der Einsatz von Wind- und Solarkraftwerken benötigt, wie allgemein bekannt, eine massive Stabilisierung der flatterhaften Stromeinspeisung durch zuverlässigere Energiequellen. Wenn man Kernkraft ausschließt, bleiben zu diesem Zweck dummerweise fast nur noch fossile Brennstoffe. Oder praktischerweise. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn er sieht, mit wie viel Einsatz zumindest die kalifornische Ölindustrie sich für die Abschaltung von Kernkraftwerken einsetzte.

Die Investoren in fossilen Brennstoffen, allen voran Öl, haben im Angstpoker gegen die Kernkraftbetreiber gewonnen. Letztere hätten sich nie auf dieses Speil einlassen dürfen. Kernkraft ist eine der sichersten und zuverlässigsten Energiequellen. Auch das Risiko, das vom Atommüll ausgeht, erweist sich als beherrschbar. Im Hinblick auf Energiedichte, Sicherheit und Umweltverträglichkeit des Rohstoffs ist Kernenergie die natürliche Fortsetzung einer Entwicklung, die mit Holz- und Dungverbrennung begann. Solar- und Windkraftwerke sind in dieser Hinsicht eine Anomalie, die irgendwann korrigiert werden wird – wie auch immer.

Man sollte dabei jedoch vermeiden, wie die Japaner Kernkraftwerke in einem Erdbebengebiet nahe der Küste zu bauen. Oder wie die Sowjets gleichzeitig Sozialismus zu betreiben, da diese Gesellschaftsform eher was für die Steinzeit ist als für das Atomzeitalter.

Ein Grundfehler ist, dass wir das Risikomanagement und die Genehmigung der Kraftwerke dem Staat überlassen. Überließen wir diese dem Markt, also den Versicherungen, würden die Risiken wahrheitsgemäß im Strompreis widergespiegelt werden.

Doch wie legen wir den Angstmachern das Handwerk? Das gelingt nur, indem wir den Leuten die Angst vor dem Tod nehmen. Das jedoch ist ein religiöses Unterfangen, kein wissenschaftliches oder politisches. Wenn die Entlarvung der Umwelt- und Klimabewegung als eine Religionsgemeinschaft, die sie in Wahrheit immer war, zu einem dienlich ist, dann dazu, dass sie uns zwingt, unserer religiösen Prämissen, die jeder hat, bewusst zu werden und diese gründlich zu überprüfen. 

Anmerkung: Die Zitate aus dem Buch Shellenbergers sind aus der englischen Ausgabe und, wie die Zitate von Margaret Thatcher und der Nader-Plattform, von mir mit Hilfe von „deepl.com“ übersetzt worden.

Quellen:

What did Margaret Thatcher have to say about climate change? (independent.co.uk, 8.8.2021)

Who drove Thatcher's climate change u-turn? (theecologist.org, 17.10.2018)

Klimaschutzprogramm des Präsidentschaftskandidaten Ralph Nader 2008 (votenader.org)

Apokalyspe Niemals! Warum uns der Klima-Alarmismus krank macht (Buch von Michael Shellenberger; Anmerkung: Eine bessere Übersetzung des Untertitels wäre gewesen: Warum der Klima-Alarmismus uns allen schadet)


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