Hans-Hermann Hoppes Urteil über den argentinischen Präsidenten: Wie mangelhaft ist Mileis Libertarismus?
„Ich habe nicht den Eindruck, dass er Rothbard ernsthaft studiert hat.“
von Robert Grözinger
Vor drei Monaten schrieb ich hier auf Freiheitsfunken über den neuen Präsidenten Argentiniens, Javier Milei. Anlässlich der Preisverleihung an ihn durch die Hayek-Gesellschaft hatte er eine inspirierende Rede über seinen intellektuellen Werdegang gehalten. Wie viele andere auch, war ich von seiner Präsentation recht angetan, wusste er doch zentrale Intellektuelle wie Murray Rothbard, Hans-Hermann Hoppe und Ludwig von Mises zu zitieren. Besonders die zwei Erstgenannten hatte Milei als geistige Vorbilder genannt.
Aber ich äußerte am Ende meines Artikels folgende Warnung: „Wir sollten jedoch nie das mahnende Wort eines amerikanischen libertären Journalisten des 20. Jahrhunderts vergessen. M. Stanton Evans sagte einmal: ‚Wir Libertäre haben keine Freunde in hohen Positionen, denn sobald sie diese Positionen erreichen, hören sie auf, unsere Freunde zu sein.‘“ Ich schloss mit den Worten: „Wir dürfen gespannt sein, ob ‚el Loco‘, ‚der Verrückte‘, das Evans-Gesetz bricht.“
Nun erfahren wir aus berufenem Mund, dass genau das geschehen sein mag. Vor wenigen Wochen äußerte sich Hans-Hermann Hoppe erstmals öffentlich zu Milei. Auf der diesjährigen Konferenz seiner „Property and Freedom Society“ im türkischen Bodrum stellte er dem Mann mit dem wilden Schopf und der aggressiven Rhetorik kein gutes Zeugnis aus.
Der Wahlsieg Mileis im vergangenen November sei zwar „sensationell“ gewesen, gibt Hoppe zu, gießt aber gleich Wasser in den Wein: Da in Argentinien Hyperinflation, wirtschaftliche Stagnation und zunehmende Verarmung herrschten, habe der Sieg „meiner Einschätzung nach sehr wenig mit dem Verständnis der Argentinier“ über die libertäre Weltsicht zu tun. In der Katastrophe, in der sie sich befinden, wollten die Argentinier nichts Dringenderes als eine Veränderung. „Und dieser Typ versprach große Veränderungen.“
Während viele Libertäre so schnell mit Preisen für Milei zur Hand waren wie das Friedensnobelpreis-Komitee einst für den eben gewählten US-Präsidenten Barack Obama, war Hoppe nach eigenen Angaben von Anfang an „skeptisch und misstrauisch“. Milei habe einige Steuern gesenkt, andere dafür erhöht und neue eingeführt. Obwohl er es hätte tun können, habe Milei keine Macht-Dezentralisierung durchgeführt. Auch die Zentralbank wurde nicht, wie versprochen, abgeschafft. Zwar sei „die Inflation gesunken, aber auf Jahresbasis liegt sie immer noch bei ungefähr 250 Prozent.“ Das sei mehr als in der Türkei, die in dieser Hinsicht „bereits eine Katastrophe ist“. Dabei sei es gar nicht so schwierig, die Inflation weiter zu senken, so der deutsche Ökonom. „Sie müssen einfach die Zentralbank schließen und aufhören, Geld zu drucken, dann sinkt die Inflation innerhalb einer Woche.“
Das Regime von Währungspreiskontrollen sei ebenfalls immer noch in Kraft, beklagt Hoppe. „Die perfekte Lösung“, so der Erzlibertäre weiter, „die von verschiedenen Leuten vorgeschlagen wurde, ich glaube sogar, von Milei selbst, wäre die Dollarisierung gewesen.“ Aber: „Nichts dergleichen ist passiert.“
Hoppe stuft Mileis derzeitige Weltsicht als „ungefähr so kultiviert wie die eines amerikanischen High-School-Absolventen“ ein und kritisiert, dass der Argentinier überhaupt keine Kenntnis von revisionistischer Geschichtsschreibung zu haben scheint. Er habe nicht den Eindruck, dass Milei Rothbard, auch wenn er ihn häufig erwähnt, je ernsthaft studiert hat.
Hoppe kritisiert ferner, dass Milei die Staatsanleihen zurückzahlt: „Es gibt keine Verpflichtung der Regierung, Schulden an ihre eigene Zentralbank zurückzuzahlen, die Geld aus dem Nichts schafft.“ Solche Forderungen müssten „einfach ignoriert werden“. Auch Auslandsschulden sollte der argentinische Staat nicht mehr begleichen. Dann, so doziert Hoppe Rothbards Argument, wird in Zukunft „niemand mehr so dumm sein und jemals Staatsschulden kaufen, weil dann jeder verstanden haben wird, dass das Geld nicht zurückgezahlt wird.“
Besonders heftig geht Hoppe Milei in Sachen Außenpolitik an, wo er „einfach ein netter Junge“ sei, „der den Hauptlinien und Hinweisen folgt.“ Genau deswegen, glaubt Hoppe, werde der argentinische Präsident „von den Eliten nicht als Bedrohung angesehen.“
Der Argentinier liebe die Vereinigten Staaten, genauer gesagt die Regierung in Washington. „Die amerikanische Regierung ist die imperialistischste Macht, die es gibt, die kriegerischste Macht, die es gibt, die Macht, die überall Ärger verursacht, der Hunderttausende von Menschen tötet.“ Milei liebe auch Wolodymyr Selenskyj, den er einen Helden der Freiheit genannt habe. Dabei sei dieser „ein krimineller Clown, der die Bevölkerung der Ukraine für einen sinnlosen Krieg opfert.“ Schließlich stellt Hoppe die Frage in den Raum: „Warum tanzt Milei auf der Straße mit Netanjahu, während Netanjahu Gaza mit Bomben dem Erdboden gleich macht und dabei hunderttausende Menschen tötet?“ Dabei hätte der Argentinier einfach sagen können, er wolle neutral bleiben und sich nicht um auswärtige Angelegenheiten, sondern nur um Argentinien kümmern.
Hoppe schließt sein ziemlich vernichtendes Urteil mit den Worten: „Milei ist kein Held. Er ist besser als vieles von dem anderen Mist, das herumläuft, aber das war’s auch schon.“
Soweit die zornige Koryphäe aus Bodrum.
Unter dem Youtube-Video der Ausführungen Hoppes finden sich inzwischen eine Reihe von Kommentaren, die ihn dafür kritisieren, die politischen Realitäten Argentiniens außer Acht gelassen zu haben. Hoppe selbst hatte in seinen Ausführungen zugegeben, weder Spanisch zu sprechen noch Argentinien gut zu kennen. Ein Hauptaugenmerk legen manche Hoppe-Kritiker darauf, dass Milei nicht einmal annähernd eine Mehrheit im Parlament für seine libertären Reformen hat. Kommentator „zer0bit“ etwa schreibt, Milei habe zehn Prozent des Senats und 15 Prozent des Parlaments hinter ihm, während die Peronisten – „Sozialisten und Kommunisten“ – Unterstützung von 48 Prozent des Senats und 46 Prozent der Parlamentsabgeordneten haben.
Unter diesen Umständen sind libertäre Reformen schwierig, das stimmt. Vielleicht ändern sich die Mehrheitsverhältnisse in den Kammern nach deren nächsten Wahlen, dann werden wir weitersehen. Aber: Das entlastet Milei nicht vom Vorwurf, außenpolitisch unnötig einseitig zugunsten des höchst antilibertären, freiheitsfeindlichen US-Imperiums agiert zu haben.
Wenn wir keine üblen Machenschaften unterstellen wollen, können wir noch immer davon ausgehen, dass Milei es ehrlich meint mit dem Libertarismus. Auch wenn er ihn nicht ganz verstanden haben mag – insbesondere, was Geschichtsrevisionismus und Außenpolitik betrifft – besteht noch Hoffnung. Einerseits kann er schon mit dem wenigen, was er an libertärer Politik einbringt, der Welt zeigen, wie viel Gutes mit ihr möglich ist. Wie vor ihm Ludwig Erhard, Margaret Thatcher und Ronald Reagan.
Zweitens hat Milei im Wahlkampf die Namen Rothbard, Mises und Hoppe sowie ihre Werke einem viel breiteren Publikum bekannt gemacht, insbesondere in der spanisch sprechenden Welt. Das allein ist schon – wortwörtlich – Gold wert.
Hoppe sorgt sich zu Recht um den Ruf des Libertarismus. Inwiefern er sich in Hinblick auf Milei Sorgen machen muss, wird sich noch zeigen. Auf jeden Fall dürfen wir annehmen, dass dem Argentinier das mit der Note „mangelhaft“ ausgestattete Zeugnis aus Bodrum zugespielt wird. Ganz ignorieren kann er es nicht.
Hat Milei aufgehört, unser Freund zu sein? Für ein solches Urteil ist es noch zu früh. Kritische Begleitung wie die von Hoppe dürfte ihm jedoch helfen, wenn er auf Kurs bleiben will.
Quelle:
Hans-Hermann Hoppe über Javier Milei, Property and Freedom Society, Bodrum 2024 (Youtube, englisch)
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