25. Oktober 2024 06:00

Libertäre Philosophie – Teil 21 Adam Smith und der Wohlstand

Verteidigung der unsichtbaren Hand

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: Matt Ledwinka / Shutterstock Adam Smith: Thront hier in Form einer Bronzestatue an der Royal Mile in Edinburgh mit der St.-Giles-Kathedrale im Hintergrund

Adam Smith (1723–1790) erweiterte die neuzeitliche Philosophie in entscheidender Weise. Der Ausgangspunkt der neuzeitlichen Philosophie war der Übergang von Naturbeobachtung zur Naturwissenschaft, die zum einen die Gesetzmäßigkeiten der Abläufe in der Natur feststellt und die andererseits die Natur damit für den Menschen verfügbar („beherrschbar“) macht. Allerdings trug die Philosophie von Anfang an mit ihrer Erkenntnistheorie wenig zum Fortschritt von (Natur-) Wissenschaft und Technik bei. Smith erweiterte die Philosophie um die Frage nach den Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Handelns und begründete damit die Wissenschaft der Ökonomik.

Die Naturgesetze unterscheiden sich grundlegend von den Gesetzmäßigkeiten des Handelns. Wenn alle Naturgesetze und alle wirksamen Faktoren bekannt sind, lassen sich natürliche Vorgänge exakt und vollständig beschreiben. Natürliche Vorgänge beruhen nicht auf Handeln. Selbst wenn es komplexe natürliche Vorgänge (wie zum Beispiel das Wetter) geben sollte, die aufgrund der Komplexität der wirksamen Naturgesetze und der wirksamen Faktoren niemals exakt und vollständig zu beschreiben sind, bleibt das Faktum, dass es theoretisch möglich wäre, wenn alle Naturgesetze und wirksamen Faktoren bekannt wären. Das Wetter handelt nicht (oder nur im übertragenen bildhaften Sinne).

Dies ist bei ökonomischen Gesetzmäßigkeiten anders. Nehmen wir den relativ einfachen Fall des Gesetzes von Angebot und Nachfrage. Ein verknapptes Angebot wird bei gleichbleibender Nachfrage unweigerlich einen Preisanstieg bewirken, eine sinkende Nachfrage bei gleichbleibendem Angebot eine Preissenkung. Aber weder Preisanstieg noch Preissenkung wird mich unweigerlich dazu bestimmen, ob ich das entsprechende Gut erwerbe beziehungsweise seinen Erwerb sein lasse. Der Preis ist nur etwas, dass ich bei meiner Entscheidung berücksichtigen werde, er übt keinen Zwang aus.

Die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten wirken wie eine unsichtbare Hand; was sie von den durch den Staat erlassenen Gesetzen unterscheidet, die einen Zwang auf die Handelnden ausüben und sie in die von den Herrschenden gewollten Bahnen lenken wollen. Doch auch die Handlungen der Herrschenden unterliegen den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, sie können diese mit ihren Gesetzen nicht ausschalten. Wenn sie versuchen, mit ihren Gesetzen gegen die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten zu verstoßen, werden sie als eventuell ungewollte Nebenwirkung ein ökonomisch weniger erfreuliches Ergebnis haben, indem sie den Wohlstand senken. So können die Herrschenden, um den Konsumenten zu gefallen, den Preis eines Gutes gesetzlich niedriger halten, als er sich auf dem Markt einstellen würde, damit aber nicht nur den Produzenten schaden, sondern auch für ein geringeres Angebot sorgen, was wiederum auch den Konsumenten nicht gefallen wird. Oder sie können, um den Produzenten zu gefallen, den Preis eines Gutes gesetzlich höher veranschlagen, damit aber nicht nur den Konsumenten schaden, sondern auch für eine geringere Nachfrage sorgen, was wiederum auch den Produzenten nicht gefallen wird.

Das Beispiel des Gesetzes von Angebot und Nachfrage habe ich nicht zufällig gewählt, denn es führt zu einer Problematik bei Smith. Er gab sich mit dem Gesetz von Angebot und Nachfrage als Erklärung des Preises nicht zufrieden, wie es bereits einige scholastische Philosophen des Spätmittelalters getan hatten; diese nahm er nicht zur Kenntnis aufgrund der Arroganz der Neuzeit, die alles mittelalterliche Denken als infantil abtat. Dafür griff er auf einen antiken Erklärungsansatz zurück, der freilich auch die mittelalterliche Ökonomie bestimmt (und deren Entfaltung behindert) hatte: das Kostenprinzip. Die Frage lautete, welcher Preis „gerecht“ sei. Und die Antwort lautete, der Preis eines Gutes sei dann und nur dann gerecht, wenn mit dem Preis alle Faktoren bezahlt werden, die zum Zustandekommen des Gutes beigetragen haben. Dies liegt irgendwie auch nahe; wenn man etwas erwerben will, sollen alle, die daran mitwirkten, fair entlohnt werden. In der mittelalterlichen Ökonomie wurde daraus fatalerweise geschlossen, dass der Aufschlag des Händlers auf den Preis „eigentlich“ ungerecht sei, denn er tut dem Produkt ja nichts hinzu. Eigentlich. Denn Vorstellungen können die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft setzen. Und der Händler bringt das Gut bloß unter der Bedingung zu den Konsumenten, dass er hierfür einen Lohn erhält. Basta. Verbietet man den Preisaufschlag, kommt der Handel zum Erliegen und sowohl Konsumenten als auch Produzenten haben das Nachsehen. Diesen Fehler in der Kalkulation machte Smith nicht, aber fügte einfach die Tätigkeit des Händlers als weiteren Faktor hinzu, um den „gerechten“ Preis zu determinieren.

Mit ein bisschen Logik ist die Kosten- und Preistheorie schnell zu erledigen. Denn sie erklärt nicht das Zustandekommen der Faktorenkosten. Bleiben wir hierzu bei dem Händler. Er schlägt seinen Lohn auf den Preis auf, zu dem er das Produkt erworben hat. Doch wie hoch ist sein Lohn? Diesen muss er, wenn er nicht auf den Gütern sitzen bleiben will, danach bemessen, welchen Preis die Konsumenten zu zahlen bereit sind: Das Gesetz von Angebot und Nachfrage reicht völlig aus, um das Zustandekommen eines Preises zu erklären. Mehr noch: Es widerspricht der Faktorenpreistheorie. Die Faktorenpreise müssen sich der Nachfrage anpassen, sonst können die Produzenten ihre Produkte nicht verkaufen.

Die unterschwellig weiter herrschende mittelalterliche Vorstellung vom gerechten Preis verband sich auf bedauerliche Weise mit deren scheinbar wissenschaftlichen Heiligung durch Adam Smith in der Weise, dass zwar zugegeben wurde, dass die Marktpreise nicht der Faktorenpreistheorie entsprächen, aber genau dies sei dem Markt als Manko anzulasten: Sie sollten ihr nämlich entsprechen. Die unsichtbare Hand ist fehlbar: Es bedarf der Staatsgewalt, um den gerechten Preis durchzusetzen. Wenn sich aufgrund der Eingriffe der Staatsgewalt, um den gerechten Preis durchzusetzen, negative ökonomische Folgen einstellen, dann ist das, so die immer noch herrschende Vorstellung, auf das unmoralische, am Markt orientierte Verhalten der Menschen zurückzuführen, was wiederum weitergehende Zwangsmaßnahmen rechtfertigt.

Die herrschende Vorstellung, Zwangsmaßnahmen des Staats seien notwendig, um das Versagen des Marktes auszugleichen und gerechte Preis zu etablieren, verbindet sich mit dem Konstruktivismus, dessen Beginn ich in der Folge über David Hume (Teil 19 dieser Serie) beschrieben habe. Es gebe, so sagt diese Position, gar keine objektiven Gegebenheiten und schon gar keine Gesetzmäßigkeiten des Handelns. Man könne die Vorstellungen über die Gegebenheiten und die Gesetzmäßigkeiten je nach Gutdünken abändern, ohne dass daraus irgendein Übel erwachsen würde (außer wenn es Menschen gibt, die sich querstellen). Da dieser Konstruktivismus heute zur alles überflügelnden Staatsideologie geworden ist, gibt es derzeit keine wichtigere Aufgabe der subversiven Philosophie als die Verteidigung der ökonomischen Wissenschaft.

Ja, es gibt sie, die unsichtbare Hand. Um das zu beweisen, brauchen wir nur die herrschende Erklärung von eventuell negativen Folgen der staatlichen Zwangsmaßnahmen heranzuziehen. Anders als bei den Gesetzmäßigkeiten des Handelns, denen sich niemand entziehen kann (und die niemandem einen Zwang antun), können sich Menschen den Zwangsmaßnahmen des Staats widersetzen, nicht nur offen und politisch, sondern auch und vor allem indirekt und passiv. Wenn der Preis von Gütern unter ihren Marktwert gedrückt wird, beginnen Produzenten, sich zu weigern, für diesen Preis zu produzieren, und das Angebot verknappt sich. Wenn der Preis von Gütern über ihren Marktwert angehoben wird, weigern sich Konsumenten, sie zu diesem Preis zu erwerben, und die betroffenen Güter werden zu Ladenhütern. In beiden Fällen werden sowohl Produzenten als auch Konsumenten versuchen, alles ihnen Mögliche zu tun, um ihre Wünsche am offiziellen regulierten Markt vorbei doch noch irgendwie zu realisieren, und das ganze System kommt noch weiter ins Trudeln. Keine Macht der Welt kann dies ändern, solange es handelnde Wesen gibt und die Menschen noch nicht auf die Reaktionsweise von Lurchen oder seelenlosen Robotern reduziert worden sind.


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