Provokante Autoaufkleber: Wo endet guter Geschmack, wo beginnt Strafbarkeit?
Strafbefehl gegen „Demonstrantenjäger“
von Sascha Koll
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Ein kürzlich behandelter Fall von Konstantin Grubwinkler, Fachanwalt für Strafrecht, wirft spannende Fragen auf: Wann überschreitet ein provokanter Autoaufkleber die Grenzen des guten Geschmacks und wann wird daraus ein strafbares Delikt? Im Mittelpunkt steht ein Fahrzeug, dessen Aufkleber bei der Staatsanwaltschaft Traunstein für Empörung sorgten.
Das Auto trägt an der Seite den Schriftzug „Demonstrantenjäger“, während die Motorhaube ein Piktogramm eines sogenannten „Klimaklebers“ ziert. Daneben befindet sich eine Strichliste, die suggeriert, wie viele solcher Personen das Fahrzeug bereits „erlegt“ hat. Diese Aufmachung mag für viele provokant oder geschmacklos wirken – doch reicht das für eine strafrechtliche Verfolgung?
Der Fall und seine juristische Einordnung
Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein und erhob Anklage wegen „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ (Paragraph 126 Strafgesetzbuch (StGB)). Der Fahrzeughalter erhielt daraufhin einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen – das entspricht etwa fünf Monatsgehältern. Für Strafrechtsanwalt Konstantin Grubwinkler ist diese Entscheidung ein Paradebeispiel für Überreaktionen im Justizsystem.
„In welchem Land, auf welchem Planeten kommt jemand auf die Idee, dass das hier eine Morddrohung ist?“, fragt er rhetorisch. Für ihn ist klar: Die Aufkleber mögen geschmacklos sein, aber sie stellen keine ernstzunehmende Drohung dar.
Besonders unverhältnismäßig erscheinen die Strafen im Vergleich: Eine Trunkenheitsfahrt mit 2,2 Promille wird typischerweise mit 65 Tagessätzen bestraft, mit Sachschaden oder Gefährdung sind es 75, mit Verletzung sogar 90 Tagessätze, fahrlässige Tötung beginnt bei 120 Tagessätzen. Grubwinkler fasst zusammen: „Man muss sich mal überlegen, was du mit einem Menschen anstellen musst, um dafür 150 Tagessätze zu bekommen.“
Die Argumentation: Nicht strafbar, aber geschmacklos
Grubwinkler betont, dass der Fall juristisch kaum Bestand haben dürfte. Der Vorwurf, die Aufkleber hätten den öffentlichen Frieden gestört, sei weit hergeholt. Es gebe keine realistische Gefahr, dass Passanten oder Demonstranten das Fahrzeug und seine Aufkleber als ernsthafte Bedrohung wahrnehmen würden. „Niemand wird ernsthaft meinen, dass die Person zehn, 20, 25 oder 28 Personen schon überfahren hat mit diesem Auto.“
Für den erfahrenen Strafverteidiger ist klar, dass die Grenze zwischen schlechtem Geschmack und Strafbarkeit hier künstlich verschoben wird: „Die Grenze des guten Geschmacks und die Grenze der Strafbarkeit – da ist noch ein riesiger Abstand dazwischen.“
Meinungsfreiheit und rechtsstaatliche Prinzipien
Grubwinkler mahnt zur Gelassenheit. Auch makabre oder provokante Meinungen müssten in einer freien Gesellschaft toleriert werden: „Wir als Demokratie müssen auch harte Meinungen und Konfrontationen aushalten.“ Andernfalls sei die Meinungsfreiheit ernsthaft bedroht. Besonders kritisch sieht er die angedrohte Einziehung des Fahrzeugs. Es sei unverhältnismäßig, ein Auto als „Tatmittel“ zu beschlagnahmen, nur weil darauf provokante Aufkleber angebracht sind.
Mein Kommentar zum Fall
Dieser Fall zeigt die Absurdität eines Staates, der in Bagatellfällen drastische Maßnahmen ergreift. Während ernsthafte Straftaten häufig milde bestraft werden, setzt die Justiz bei harmlosen, wenn auch geschmacklosen Provokationen oft übertrieben harte Konsequenzen durch. Dies erweckt den Eindruck, dass nicht der Schutz der Öffentlichkeit, sondern die Abschreckung unliebsamer Meinungen das Ziel ist.
Die Freiheit, auch geschmacklose oder provokante Aussagen zu treffen, ist ein Grundpfeiler der Meinungsfreiheit. Solche Fälle stellen nicht nur die Verhältnismäßigkeit des Strafrechts infrage, sondern auch die Fähigkeit einer Gesellschaft, Meinungen auszuhalten, die nicht der Norm entsprechen. Ein Rechtsstaat darf sich nicht von subjektiven Empfindlichkeiten oder politischem Druck leiten lassen. Wer hier nachgibt, riskiert, dass Meinungsfreiheit schrittweise einer staatlichen Überregulierung geopfert wird.
Ein vergleichbares Beispiel findet sich bei den Hausdurchsuchungen wegen Beleidigung gegenüber Habeck und Co: Es gibt Zweifel daran, dass der Straftatbestand des Paragraphen 188 StGB überhaupt durch solche Äußerungen und Memes erfüllt werden kann, denn der Paragraph sieht vor, dass bestraft wird, wer das „öffentliche Wirken“ seines Opfers „erheblich“ erschwert. Wie kann das öffentliche Wirken eines Robert Habecks erheblich – auf diesem Wort liegt meine Betonung – erschwert sein, wenn er sogar eine Agentur beauftragen musste, um überhaupt erst mitzubekommen, dass solche Aussagen getätigt wurden? Damit sollte es sich allenfalls um eine Beleidigung nach Paragraph 185 StGB handeln. Die Frage ist, ob bei einer solchen Tat eine Hausdurchsuchung verhältnismäßig sein kann. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit umfasst die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme. Dabei muss abgewogen werden, ob das Eindringen in die Wohnung und damit die Verletzung von Artikel 13 des Grundgesetzes – der Unverletzlichkeit der Wohnung – gerechtfertigt ist.
Verschärfung des Paragraphen 188 StGB?
Nachdem ich diese Kolumne fertig geschrieben hatte, erreichte die Absurdität einen neuen Höhepunkt: Nach der sogenannten „Schwachkopf“-Affäre um Robert Habeck plant die SPD, den ohnehin umstrittenen Paragraphen 188 StGB weiter zu verschärfen. Niedersachsens Innenministerin Kathrin Wahlmann fordert, das bisherige Kriterium, dass eine Beleidigung das „öffentliche Wirken“ eines Politikers erheblich erschweren muss, komplett zu streichen. Dadurch könnten vermeintliche Politikerbeleidigungen noch schneller und härter geahndet werden – von Amts wegen, ohne dass das betroffene „Opfer“ selbst tätig werden muss. Kritiker wie der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner warnen bereits vor einer Aushöhlung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Verhältnismäßigkeit. Ein solches Gesetz wäre ein weiterer Schritt in Richtung staatlicher Repression und könnte die ohnehin fragile Meinungsfreiheit in Deutschland weiter gefährden. Offenbar soll nun jede Kritik, die über höfliche Zurückhaltung hinausgeht, kriminalisiert werden – alles unter dem Deckmantel des Schutzes der Demokratie. Doch was bleibt von einer Demokratie übrig, wenn ihre Repräsentanten vor der freien Meinungsäußerung ihrer Bürger geschützt werden müssen?
Wir leben einfach in einer dystopischen Clown-Welt.
Das vollständige Video mit den Einschätzungen von Konstantin Grubwinkler finden Sie hier.
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