Glauben: Existenzphilosophische Gedanken zur Vorweihnachtszeit: Grüß Gott im Wörterbuch
Hat er „Gott“ gesagt?
von Axel B.C. Krauss
Ja, hat er. Ich glaube an Gott. Fest. Tja. Jetzt habe ich mich in diesen „gottlosen Zeiten“ natürlich als Spinner geoutet. Der Typ glaubt an Gott. Kann man ja nicht mehr ernst nehmen.
Doch Moment: Was genau stellt er sich denn darunter vor? Eben. Genau da fängt das Problem auch schon an, das bekanntlich schon seit sehr langer Zeit recht leidenschaftlich diskutiert wird. Ergebnislos. Logischerweise, denn wie der bekannte Physiker Michio Kaku, ein außerordentlich intelligenter Mensch, einmal ganz richtig bemerkte: „Man kann die Existenz Gottes weder beweisen noch widerlegen.“
Gott ist ein leeres Wort. Wie bitte? Du hast doch gesagt, du glaubst fest an „ihn“? Ja. Trotzdem ist es ein leeres Wort, ein Platzhalter: Für ein Sammelsurium unterschiedlichster Vorstellungen, wie man sich „Gott“ vorstellen mag. Schon deshalb ist es, trivial genug, völlig unmöglich – tut mir leid, liebe Atheisten –, „seine“ Existenz schlüssig widerlegen zu wollen: Ich kann nichts widerlegen, was gar nicht genau definiert ist. Aus demselben Grund kann ich es auch nicht schlüssig beweisen. Ich kann nur daran glauben.
Ich bitte um Entschuldigung, Ihnen das jetzt einfach an den Kopf zu knallen, denn es ist zugegebenermaßen extrem abstrakt und ohne Vorwissen aus der Quantenphysik (in Verbindung mit einem intensiven Studium fernöstlicher Philosophien) kaum zu verstehen. Aber irgendeine Definition muss ich ja liefern, wenn ich schon behaupte, ich glaube. Also, in Ermangelung eines besseren Begriffs:
Für mich ist „Gott“ die nichtlokale Superposition aller denkbaren/vorstellbaren Möglichkeiten einer existenziellen Konkretisierung aus einem unendlichen Überlagerungszustand reiner Wahrscheinlichkeit. Ewiglich in diesem Zustand reiner Wahrscheinlichkeit – oder, wie es in der Kabbala heißt, in diesem „Ain“, dem „Vakuum des reinen Geistes“ – zu verbleiben, ergäbe keinen Sinn, ohne dass irgendwann eine existenzielle Konkretisierung erfolgt, über die eine Selbstwahrnehmung – oder quantenphysikalisch: eine Selbstbeobachtung/-messung – überhaupt erst möglich wäre. Ganz allgemein und philosophisch gesprochen: „Etwas“ kann nicht wissen, was „es“ ist, wenn es sonst rein gar nichts gibt, über das „es“ sich – in Abgrenzung davon – überhaupt erst als „Etwas“ wahrnehmen und definieren kann. Die „Schöpfung“ ist für mich der denklogisch notwendige Prozess einer raumzeitlichen Entfaltung zur Verwirklichung der, wie Heisenberg es in Anlehnung an Aristoteles nannte, „Potentia“.
Ah, jetzt ja. Der hat sie wirklich nicht mehr alle.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Warum erzählt der mir das alles? Was soll ich damit anfangen?
Weil Menschen nun mal glauben müssen. Zwingend. Ohne Glauben – egal woran – wären Menschen nicht überlebensfähig. Diejenigen, die behaupten, sie glaubten „an nichts“, beweisen damit nur – no offense – geistige Unreife. Jeder Mensch glaubt an etwas: ein Ziel, eine Aufgabe, einen wie auch immer gearteten Sinn. Tut er das nicht, wird’s gefährlich – dann kann es schnell zu schwersten Depressionen bis hin zu suizidalen Tendenzen kommen.
Doch der eigentliche Auslöser für diesen bescheidenen Beitrag war ein am 2. Dezember erschienener Artikel in der „Welt“, in der es um eben diesen uralten Streit ging – den Streit zwischen denjenigen, die an einen „Gott“ oder Sinn im Leben glauben, und jenen, die das Gegenteil behaupten. Nachdem der in wissenschaftlichen Kreisen für seine zuweilen extrem anmaßenden Thesen einschlägig bekannte Richard Dawkins sein Buch „Das egoistische Gen“ veröffentlicht hatte (1976), löste er mit seiner Behauptung, unsere ganze Existenz sei nur ein bloßes Zufallsprodukt – was er übrigens gar nicht genau wissen kann – heftige Reaktionen aus: „Ein Lehrer aus einem entfernten Land schrieb an Dawkins, eine seiner Schülerin sei nach der Lektüre des Buches in Tränen ausgebrochen, weil ihre Schlussfolgerung war, ihr Leben sei sinnlos und leer.“
Dafür gibt es keinen Grund. Aber das kann dabei herauskommen, wenn ein einzelner Mensch – was an sich schon grotesk ist – sich anmaßt, genau sagen zu können, der Kosmos könne keinen Sinn haben. Warum das so grotesk ist, ja irrational? Weil ein Mensch, um zu einem solchen Urteil fähig zu sein, in der Lage sein müsste, das Universum in Gänze zu verstehen. Alles darin. Sämtliche Abläufe. Und alle Fragen, die sich daraus ergeben. Ich darf doch bitten: Bis heute weiß niemand genau, ob das Universum nun aus einem „Urknall“ hervorging oder nicht. Diese Theorie hat sich zwar durchgesetzt, sie wurde zur vorherrschenden Lehrmeinung und kann heute als „Orthodoxie“ bezeichnet werden, allerdings gibt es auch andere Erklärungen. Und nein, das häufigste Argument pro Big Bang, die Rotverschiebung sei doch ein eindeutiger Beweis, dass die Galaxien auseinanderstrebten, zieht auch nicht mehr: Es besteht die Möglichkeit, dass sie durch neu entstehenden Raum zwischen ihnen auseinandergedrückt werden.
Auch in vielen anderen Fragen ist man sich in der Welt der Wissenschaften uneins. Was genau ist „dunkle Materie“? Gibt es eine letztgültige Erklärung für die Schwerkraft? Nein, bis heute nicht. Woher genau rührt unser Bewusstsein? Haben die materialistischen Monisten unter den Forschern recht, wenn sie sagen, es sei nur das Produkt der Materie des Gehirns, seiner Organisation beziehungsweise Struktur sowie der darin ablaufenden neurochemischen und -elektrischen Prozesse, oder hat es – wie zum Beispiel der indische Quantenphysiker Dr. Amit Goswami (in seinem herausragenden Buch „Das bewusste Universum“) vermutet – seine wahre Quelle in der „Nichtlokalität“? Wie auch immer: Auf solche Fragen gibt es noch keineswegs eindeutige und endgültige Antworten. Geht es aber um die Frage nach dem Sinn und ob es einen „Gott“ geben könne, was auch immer man darunter verstehen will: Dann wollen manche es plötzlich ganz genau wissen. Das ist lächerlich.
Der amerikanische Physiker Richard P. Feynman, einer der klügsten Köpfe des 20. Jahrhunderts, schrieb einmal: „Sagen Sie sich nicht ständig, wenn Sie es vermeiden können: ‚Aber wie kann es denn so sein?‘, denn Sie werden in eine Sackgasse geraten, aus der noch niemand entkommen ist. Niemand weiß, wie es so sein kann” (Richard P. Feynman, „Probability and Uncertainty: The Quantum-Mechanical View of Nature“, Penguin Books, Seite 111).
Und ein Stephen Hawking antwortete auf diese Frage gewohnt humorvoll: Er sei durchaus bereit, an einen Gott zu glauben. Aber als Wissenschaftler müsse er dann fragen: Und wer hat Gott erschaffen?
Genau das meinte Feynman mit der „Sackgasse“: Als endliche Wesen mit unvollständigem Wissen Fragen beantworten zu wollen, die Allwissenheit voraussetzen, kann natürlich nicht funktionieren. Ein klassisches Beispiel dafür wäre die Frage, ob das Universum endlich oder unendlich ist. Eine grandiose Ironie des menschlichen Denkens: Stellt man sich den Raum als endlich vor, stürzt man – siehe Feynman – in eine unendliche Fragenspirale, eine Art kosmische Matrjoschka-Puppe, aus der man einfach nicht herauskommt (die Frage, worin sich dieser endliche Raum befindet, lässt sich unendlich fortsetzen, ohne je zu einem Abschluss kommen zu können). Stellen wir ihn uns aber als unendlich vor, können wir aufgrund der Endlichkeit unseres Denkens davon niemals eine unmittelbare, konkrete empirische Anschauung haben.
Wenn Sie also an einen „Gott“ glauben möchten, tun Sie das ruhig. Niemand braucht sich deshalb lächerlich vorzukommen oder peinlich berührt zu fühlen, weil manche Wissenschaftler herausgefunden haben wollen, dann aber wieder reingegangen sind. Es ist genau umgekehrt: Diejenigen machen sich lächerlich, die vorgeben, eine „absolute“ Antwort auf diese Frage geben zu können. Das kann niemand.
Zum Ausklang möchte ich dazu einen Herrn zitieren, der die mit Abstand poetischste Beschreibung lieferte, die ich dazu bislang gelesen habe: „Wenn der Mensch in die Augen des Menschen blickt, sieht er darin seinen Schöpfer. Sein Schöpfer singt zu ihm mit der Stimme der unberührten Natur und steigt zu ihm herab von den Sternen, die den Himmel bei Nacht umspannen. Dieser Gott ist nicht hinter wallenden Vorhängen verborgen, noch sind seine Diener Racheengel. Unbeeindruckt von den vergehenden Zeitaltern betrachtet er die Welten, die seine Substanz sind, und versucht, durch sein eigenes Wesen im Menschen die Tiefe seiner eigenen Wirklichkeit zu ergründen. Dieser Unermessliche hat sein Gesetz in den Himmel geschrieben, wo es noch lange Bestand haben wird, nachdem die irdischen Gesetzbücher aus dem Gedächtnis des Menschen getilgt worden sind. Dieser Gott manifestiert seinen Willen im endlosen Fortschreiten und Wandel, durch den die Dinge vom Damals zum Jetzt und vom Jetzt zum Damals bewegt werden. Dieser universelle Schöpfer fürchtet sich nicht vor den Bemühungen des Menschen, ihn zu verstehen; Teleskope und Mikroskope mögen seine Züge abtasten, ohne daran Anstoß zu nehmen. Unerschütterlich und furchtlos blickt die vernunftbegabte Seele so auf jene herrlichen Wesen, deren strahlende Natur jenes mystische Licht ist, das das Leben der betrachtenden Seele ist“ (Manly P. Hall, „Lectures on Ancient Philosophy“, Penguin Books 2005, Seite 238–239, meine Übersetzung).
Bis nächste Woche.
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