08. Februar 2025 21:00

Storytelling Die Heilung für den Horror sind Geschichten

Was bedeutet das für die libertäre Idee?

von Anne-Sophie Chrobok

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Bildquelle: Alexey Grigorev / Shutterstock Geschichten: Eine Wohltat für das Gehirn

Wie hat für Sie das Jahr 2025 angefangen? Ich hoffe, besser als meines. Und ohne Sie mit meinem privaten Mist langweilen zu wollen, muss ich zugeben, dass sich bei mir eine schreckliche Routine eingeschlichen hat. Und mir ist es fast peinlich, diese nun mit Ihnen zu teilen. Aber das Offenlegen von Wahrheiten ist der erste Schritt zur Besserung.

Ich wache auf und nach einem kurzen Herunterrattern des Morgengebets befinde ich mich in der weiten Welt des Internets, genauer gesagt auf X, wieder. Dann gehe ich arbeiten, wobei ich meine Pause (um nicht mit meinen Kollegen reden zu müssen – Sie sehen, dass ich zu den sozialen Sonnenscheinen der Gesellschaft gehöre) ebenfalls scrollend verbringe. Abends im Bett geht es so weiter, um „runterzukommen“. Und um mich berieseln zu lassen. Bis ich dann schließlich erschöpft einschlafe – mit einem bitteren Geschmack im Mund und leichten Magenkrämpfen. Kennen Sie das? Diesen digitalen Kreislauf aus Reizüberflutung und seine Folgen?

Dann herzlichen Glückwunsch, Sie befinden sich in bester Gesellschaft. Laut neuesten Studien konsumiert der durchschnittliche Mensch auf dieser Erde 74 Gigabyte Daten pro Tag. Dies entspricht dem Informationsgehalt von 16 Filmen an einem Tag (!). Können Sie sich das vorstellen:16 Filme an einem Tag zu schauen? Ohne ihr Gehirn vollkommen durchzubraten? Oder vielleicht noch interessanter: Ein Gelehrter vor 500 Jahren hat so viel Wissen in seinem ganzen Leben aufgenommen wie Sie an einem Tag. Und fühlen Sie sich jetzt klüger? Freier? Glücklicher? Oder fühlen Sie sich doch manchmal eher wie ich: erschöpfter? Müder? Entfremdeter? Dümmer?

In Oxford wurde 2024 das „Word of the year“ bestimmt. Es lautet: „Brain rot“ – frei ins Deutsche übersetzt: Gehirnfäule. Beschrieben wird es mit „Verfall des geistigen oder intellektuellen Zustands einer Person, insbesondere als Folge des übermäßigen Konsums von trivialen oder wenig herausfordernden Online-Inhalten“. Klingt irgendwie schon mehr nach dem, wie ich mich nach zu viel Social-Media-Konsum fühle. Ein anderer Artikel aus „Atlantic“ von letztem Jahr trägt folgenden Titel: „The Elite College Students Who Can’t Read Books“ – selbst Hochgebildete verlieren also die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, und werden dümmer. Wow, wir sind also nicht allein damit. Aber woran liegt das? Was kann man dagegen tun? Und können wir daraus etwas für unsere libertäre Idee gewinnen?

Fangen wir mit dem Grund für „Gehirnfäule“ an. Und ehrlich gesagt habe ich gar nicht den Anspruch, dieses Phänomen in all seiner Beschaffenheit zu beleuchten. Weder werde ich auf die physischen, entwicklungsbiologischen noch auf die sozialen Gründe dafür eingehen. Nicht mal psychologisch, indem ich es vollständig ausarbeite (wenn dies überhaupt funktionieren sollte). Nein, mir geht es um einen kleinen – aber wesentlichen – Teilaspekt all dessen. Und dies fängt mit der Frage an: Was ist unser Gehirn? Und wie verarbeitet es Informationen? Und jetzt kommen die Biologen unter Ihnen und sagen: „Das Gehirn ist das zentrale Steuerorgan unseres Körpers, bestehend aus Milliarden von Nervenzellen.“ Die Informatiker unter Ihnen nennen es vielleicht einen „Super-Prozessor“. Woraufhin dann die Psychologen wiederum einwerfen, dass „die Realität um uns nur eine eingebildete Realität ist, verzogen durch unsere subjektive Wahrnehmung, geschaffen im Gehirn“. Bis dann schließlich die Philosophen kommen und sich fragen: „Was ist überhaupt real? Und leben wir nicht eigentlich in einer reinen Simulation – erschaffen durch ein Supergehirn?“

Ich definiere Gehirn als eine Art „Story-Prozessor“. Es ist ein „Geschichte-erzählendes-Organ“. Dies ist nicht meine Definition, sondern stammt aus dem Buch von Will Storr „The Science of Storytelling“. Unser Gehirn verarbeitet Informationen in Form von Geschichten, um Ordnung in die Welt zu bringen. Wir ertragen das Chaos um uns herum nicht – deshalb erzählen wir uns selbst und anderen Geschichten. So verarbeiten wir Fakten. Seit der Steinzeit am Lagerfeuer erzählen wir uns Geschichten und haben so unseren Fortbestand gesichert. Stellen Sie es sich in etwa so vor: Sie sitzen mit ihren Steinzeit-Freunden am Feuer. Es prasselt gemütlich. Ihre Frau hat Ihnen etwas von den vergorenen Beeren gegeben. Und „Huak“, der alte Schlawiner, erzählt, dass er letztens beim Klettern doch glatt „Rar-Rar“ von der Höhle hinterm Berg getroffen habe. Sie können „Rar-Rar“ nicht wirklich leiden. Immerhin stinkt er wie ein Säbelzahntiger. Aber er ist schon immer gut informiert gewesen. Nun, dieser hat gehört, dass die Trottel vom Wald Stein behauen haben. In eine runde Form. Und sie nennen es Rad. Und befestigen es nun überall. An ihre Körbe. An ihre Betten. Selbst an ihre Türen. Und halten sich dabei glatt für clever. Aber man muss zugeben, dass sie viel schneller durch den Wald kommen als andere. Und außerdem benutzen Sie das Rad – oder wie auch immer das Ding noch mal hieß –, um Dinge zu zerkleinern. Nun, Sie sehen eine Geschichte. Jetzt mögen Sie einwenden, dass dies eher nach Tratsch klingt. Aber es beinhaltet die wesentlichen Aspekte einer Story. Wir haben Charaktere und Konflikte. Und seien wir mal ehrlich: Die besten Geschichten entstehen aus ein wenig Tratsch.

Der Punkt hierbei ist, dass Geschichten der Grundpfeiler unseres Überlebens sind. Sie sind der Boden, auf dem Kultur, Religionen, Gesellschaften, Kriege und Liebschaften gebaut wurden und werden. Sie durchdringen alles, weil wir in ihnen denken. Fakten allein machen uns nicht klüger, sondern sie müssen in einen sinnvollen Kontext eingebettet sein, damit wir sie verstehen. Und hier kommt nun auch das wesentliche Problem: Unser Gehirn konstruiert sich Geschichten, wenn es mit zu vielen isolierten sinnbefreiten Fakten bombardiert wird. Und dabei nimmt es die schlimmstmöglichen Erzählungen als wahr an, das sogenannte „Worst-Case-Storytelling“. Warum? Weil es für unser Überleben früher wichtiger war, vom Schlechten auszugehen. Es ist besser zu denken, dass die lecker aussehenden roten Früchte ebenso giftig sein könnten wie die orangen Beeren, die letzte Woche „Rar-Rar“ hingerafft haben, statt sie einfach „auf gut Glück“ zu probieren. Dazu kommt, dass starke Emotionen (vor allem negative wie Wut und Hass) uns einen großartigen Dopaminkick geben.

Das Ergebnis ist, dass wir süchtig nach diesen kurzen Informationsspitzen werden. Wir konsumieren immer mehr davon und unsere Psyche leidet. Man kann es auch mit „Fast Food“ vergleichen. Kurzfristig überaus lecker – bis man irgendwann mit zu vielen Kilos und einer verhunzten Gesundheit dasitzt und sich fragt, warum man keine Treppe mehr hochsteigen kann und diese Pickel wirklich überall hat. Ein anderes schönes Beispiel, was wir auf Social-Media-Plattformen tun: Wir scrollen und scrollen und scrollen. Plötzlich ein kurzes Innehalten. Ein witziges Meme. Es lässt uns eine Sekunde schmunzeln. Für mehr reicht es nicht in unserem Delirium. Dann einmal kurz liken und reposten. Weiterscrollen. Mensch, was waren wir wieder fleißig! Intellektuelle oder emotionale Tiefe dabei? Nein, eher Fehlanzeige.

Doch was ist nun der Gegenentwurf dazu? Ganz simpel: selber ins aktive Erzählen kommen, nicht im rein passiven Konsumieren verbleiben. Und damit meine ich, sich im Storytelling zu versuchen. Denn wozu zwingt es uns? Zunächst dazu, dass wir uns fokussieren müssen. Wir müssen unsere Gedanken strukturieren und in einen logischen Zusammenhang bringen. Emotionen müssen beigefügt werden, was eine empathische Note erfordert, und ein Sinnkontext muss angeboten werden. Storytelling beziehungsweise Geschichtenerzählen ist eine Fertigkeit – eine Kunst, wenn man so will. Die aber auf vielfältige Weise erfolgen kann. Ob als Meme, Blogartikel, Tanzchoreographie oder als Songtext. Und hier liegt nun die Krux des Ganzen: Social Media ist der Grund für Gehirnfäule, aber gleichzeitig eine mögliche Lösung. Gibt sie uns doch die Möglichkeiten, unsere Geschichten zu teilen. Social Media in seiner schlechtesten Form trennt uns, in seiner besten Form schafft sie Verbindungen, die unsere Kreativität fördern. 

Was ist eine weitere mögliche Lösung, um der „Social Media Brain rot“ zu entkommen? Nennen wir es digitalen Detox. Dies ist keine neue Idee. Aber lassen Sie uns das etwas weiterführen. Lesen Sie ein Buch. Oder das ef-Magazin. Und zwar richtig langsam. Machen Sie Pausen und denken Sie über das Geschriebene nach. Machen Sie sich Notizen zu dem Gelesenen. Hören Sie einen Song mehrmals, bis Sie ihn wirklich verinnerlicht haben. Schauen Sie einen Film – ohne Smartphone daneben. Tauchen Sie stattdessen richtig tief in die Geschichte ein. Und tauschen Sie sich danach mit jemanden darüber aus. Also nicht nur digitaler Detox. Nein, auch gleichzeitig Slow-Media-Konsum.

Bloß, was bringt uns dies alles für unsere libertäre Idee, wenn wir davon ausgehen, dass nicht Fakten überzeugen, sondern nur Geschichten einen tieferen Einfluss haben? Wir müssen die besseren Geschichten anbieten. Wir müssen Meister im Storytelling werden. Und wir müssen dies in verschiedenen Medien tun. Libertäre stehen für individuelle Freiheit, doch um Menschen zu erreichen, brauchen wir eine starke Erzählung. Denn alle großen politischen Bewegungen haben nur dann Erfolg, wenn sie starke Geschichten anbieten. Trockene Theorien bringen uns nicht weiter. Dann verbleiben wir in unserer Blase. Aber wie könnte libertäres Storytelling konkret aussehen? Zum Teil wird da schon gute Arbeit geleistet. Memes vom „Rosaroten Panzer“ haben im deutschsprachigen Raum hohe Aufrufzahlen. Außergewöhnliche Charaktere wie Javier Milei sind nun überall bekannt. Aber wir brauchen mehr von den Helden, die aus Eigenverantwortung Großes erschaffen. Filme, die Freiheit als zentrales Thema haben. Songs, die sich gegen den Sozialismus positionieren. Online-Kommentare, die pointiert Lösungen anbieten. Vielleicht haben Sie weitere Ideen?

In diesem Sinne ist wohl festzuhalten, dass derjenige, der die besseren Geschichten erzählt, am Ende gewinnt. Und nicht jener – so sehr wir es uns auch wünschen –, der die besseren Fakten hat. Die „Heilung für den Horror sind Geschichten“ (Will Storr).


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