24. Juli 2025 06:00

„Spekulation“ Eine Ehrenrettung

Klärung eines Missverständnisses

von Olivier Kessler drucken

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Bildquelle: Billion Photos / Shutterstock Spekulanten: Haben ein schlechtes Image – zu Recht?

Spekulanten genießen bei den meisten von uns keinen guten Ruf. Sie destabilisierten das Wirtschaftssystem, lautet ein oft gehörter Vorwurf. Hohe Preisvolatilität und Preisblasen seien ihre Schuld. Spekulationsgewinne stellten außerdem ungerechtfertigte Profite auf Kosten der restlichen Bevölkerung dar. Spekulanten gelte es daher das Handwerk zu legen – etwa durch Verbote und Kapitalverkehrskontrollen.

Doch sind wir in unserem täglichen Leben im Grunde genommen nicht alle irgendwie Spekulanten? Beispielsweise wenn wir mehr Lebensmittel einkaufen, als wir für den unmittelbaren Verbrauch benötigen? Spekulieren wir dann nicht darauf, dass wir auch in ein paar Tagen noch leben und Nahrung konsumieren werden? Und was ist, wenn wir eine Universität oder Weiterbildung besuchen? Spekulieren wir dann nicht darauf, dass uns dies bei der späteren Jobsuche unterstützen könnte? Wir kaufen Aktien von Unternehmen, bei denen wir davon ausgehen, dass sie im Wert steigen. Doch macht uns das zu schlechteren Menschen? Mitnichten, denn ohne Spekulation könnten wir gar nicht funktionieren.

Hinsichtlich der Spekulation gibt es ein großes Missverständnis. Oftmals wird davon ausgegangen, Spekulation funktioniere so: Jemand kaufe im großen Stil ein bestimmtes Produkt, eine Anlage oder einen Rohstoff auf und treibe damit den Preis nach oben. Zu diesem höheren Preis und mit einem ungerechtfertigten Profit verkaufe der Spekulant dann seine erworbenen Güter wieder, weshalb die restliche Bevölkerung einen höheren Preis für dieselben Güter bezahlen müsse. Man geht also davon aus, dass der Spekulant seinen Mitmenschen Leid zufüge und deren Lebensstandards reduziere.

Doch die Realität sieht anders aus. Beim Erwerb von Wertpapieren oder Gütern hat der Spekulant ja selbst aufgrund der von ihm angekurbelten Nachfrage immer höhere Preise zu bezahlen, je mehr er davon aufkauft. Dies kann man gut beim Börsenhandel beobachten: Angenommen, man möchte von einem bestimmten Wertpapier 10.000 Stück erwerben. Vielleicht kriegt man dann 1.000 Titel zum aktuell gehandelten Preis von zehn Franken pro Stück, weil gerade so viele Verkaufswillige bereit sind, ihre Wertpapiere abzustoßen. Die nächsten, sagen wir, 500 Titel jedoch kann der Käufer nur zum höheren Preis von 10,50 Franken erwerben, weil sich zusätzliche Verkäufer erst bei einem höheren Preis finden lassen. Die übernächsten 500 Titel kann er wiederum nur zu einem Preis von elf Franken erwerben. Und so weiter. Beim Verkauf wiederum ist der Spekulant mit laufend sinkenden Erlösen konfrontiert, weil er damit das Angebot ausweitet. Ohne weitere Einflüsse wäre die Spekulation ein Nullsummengeschäft und würde für den Spekulanten aufgrund der Transaktionsgebühren mit Verlusten enden.

Spekulanten verdienen lediglich dann, wenn sich die Preise der erworbenen Wertpapiere oder Güter aufgrund anderer Umstände verändern. Angenommen, die Getreidepreise befänden sich gerade auf tiefem Niveau, weil kaum jemand annähme, dass es dieses Jahr zu einem Ernteausfall kommen könnte. Der Preis läge um einiges höher, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt allgemein bekannt wäre, dass die Ernte schlecht werden würde. Jeder würde sich dann einen Vorrat anlegen wollen, während die Getreideanbieter weniger zum Verkauf anbieten würden, weil sie mehr für sich selbst behalten wollten. Käme es aber von den meisten völlig unvorhergesehen zu einem Ernteausfall, würde der Getreidepreis plötzlich explodieren und viele unvermittelt vor große Probleme stellen. Ein Spekulant macht nur dann einen Profit, wenn er den Ernteausfall zu einem Zeitpunkt geahnt hat, als dies die meisten noch nicht vermutet hatten, und er die Güter zu den tieferen Preisen einkauft.

Man könnte dem Spekulanten nun vorwerfen, er sei herzlos. Doch in Wahrheit übt er eine äußerst wohltätige Funktion zum Nutzen aller aus – auch wenn seine Aufmerksamkeit einzig dem Profit gälte: Durch seine Spekulation erhöht er die Getreidepreise in Zeiten der Sorglosigkeit – in Zeiten also, in denen die wenigsten sparen und kaum etwas für schwierigere Zeiten lagern. Die Preiserhöhung ist für die restliche Bevölkerung ein Anreiz zu einem sparsameren Umgang mit Getreiden. Während der kommenden Periode der Knappheit senkt der Spekulant dann durch seine Verkäufe die Getreidepreise und trägt damit zur Linderung der Not bei. Die überspitzte Aussage, der Spekulant verdiene am Hunger seiner Mitmenschen, ist deshalb falsch: Vielmehr verdient er an der Arbitrage zwischen Zeitpräferenzen. Der erzielte Profit ist der Lohn für das eingegangene Risiko. Schätzt der Spekulant die Situation falsch ein, fährt er einen Verlust ein – beispielsweise dann, wenn es gar nicht zu Ernteausfällen kommt und er die Ware nur zu Tiefstpreisen verkaufen kann.

Spekulation führt also nicht – wie weithin angenommen wird – zu großer Preisvolatilität. Vielmehr schwächt sie diese ab. Eine Studie der Universität Basel und der Hochschule Luzern bestätigt diese Erkenntnis: Untersucht wurden Preisschwankungen von 28 Agrarrohstoffen von 2006 bis 2015. Das Resultat: Finanzspekulation hat überwiegend eine dämpfende Wirkung auf Preisschwankungen. Einen wesentlich größeren Einfluss auf die Preisentwicklung haben realwirtschaftliche Einflüsse, zum Beispiel Ernteausfälle, Wetter- und Klimaeffekte und eine steigende globale Nachfrage.

Außerdem ist Spekulation einer der wesentlichen Gründe dafür, weshalb Hungersnöte mittlerweile in vielen Ländern der Vergangenheit angehören. Dort, wo der Staat Spekulation mit Gesetzen übermäßig zu unterbinden versucht, erhöht sich die Kurzsichtigkeit, was die Wahrscheinlichkeit menschlicher Not erhöht.

Was für Getreidepreise gilt, trifft natürlich auch für Finanzderivate wie Futures, Swaps oder Optionen zu. Ein Großteil der Menschen versteht diese „Spekulationsinstrumente“ nicht, und möchte sie daher am liebsten verbieten. Doch dies wäre für unsere arbeitsteilige und hochkomplexe Wirtschaft fatal. Denn bei diesen Finanzinstrumenten handelt es sich um elementare Stützen und Hilfsmittel zur Verteilung von Risiken an jene, die sie zu tragen bereit sind. Natürlich ist eine notwendige Bedingung die Möglichkeit, Verluste zu machen und in Konkurs zu gehen. Greift der Staat denjenigen rettend unter die Arme, die sich verspekuliert haben, ist dies ein „moral hazard“-produzierendes Staatsversagen – und nicht ein Marktversagen. Der freie Markt würde für die Bestrafung falschliegender Spekulanten sorgen, weil sie unter der Bedingung des geschützten Privateigentums ihre Verluste selbst zu tragen hätten.

Spekulanten, die auf einen Wertanstieg gewisser Ressourcen setzen, schaffen für ihre Mitmenschen einen Mehrwert. Denn durch ihre Käufe und Verkäufe – oftmals auf Grundlage von Informationen über Trends und mögliche Ereignisse in der Zukunft – senden sie Preissignale aus. Diese bewegen andere Marktteilnehmer ebenfalls dazu, das stärker nachgefragte Gut mehr wertzuschätzen. Der Spekulant löst damit Anpassungsprozesse aus, die es der Wirtschaft erlauben, sich rechtzeitig nach Alternativen umzusehen – zum Beispiel zu einem knapper werdenden Rohstoff – oder ein Problem nicht zu spät zu erkennen, um es unter geringerem Zeitdruck lösen zu können. Gäbe es keine Spekulanten, käme es nicht selten zu abrupten und folgenreichen Krisen.

Für Preissteigerungen hauptsächlich Spekulanten verantwortlich machen zu wollen, greift zu kurz. Die enormen zusätzlichen Gelder, die von den Zentralbanken laufend in die Märkte gepumpt werden und sich über den ganzen Globus verbreiten, haben einen preissteigernden Effekt, der den Einfluss der Spekulanten um Welten übertrifft. Wenn es also „Spekulanten“ gibt, denen das Handwerk gelegt werden müsste, dann sind das die staatlichen Zentralbanken, die mit ihrer Geldschwemme insbesondere die Vermögenspreise in die Höhe treiben und durch entsprechende Verzerrungen wiederkehrende Krisen verursachen.


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