29. Oktober 2025 11:00

1930 zu aufwendig, heute machbar: Das „Vereinheitlichte Hauptbuch“ …

… oder: Digitaler Sündenkatalog mit automatisierter Bannbulle?

von Axel B.C. Krauss drucken

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Bildquelle: wsf-s / Shutterstock Sozialkreditsystem: In China bereits dystopische Realität

Bereits in mehreren Artikeln hatte ich einige der wichtigsten Zielsetzungen der technokratischen Bewegung präsentiert, die sich im Wesentlichen unter Schlagworten wie Sozialkybernetik, Verhaltenskontrolle, digitales Finanzpanoptikum (Überwachung und Kontrolle sämtlicher finanzieller Transaktionen) sowie streng hierarchische Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft durch eine Elite aus technisch-wissenschaftlichen Experten zusammenfassen ließe.

Zu der Zeit, da diese Absichten – die auf eine ideengeschichtliche Tradition zurückblicken können, die weit über das 20. Jahrhundert zurückreicht – in den Köpfen von „Sozialingenieuren“ reiften, die sich sowohl den Menschen als auch seine gesellschaftlichen Ordnungen als große Maschine vorstellten, als Mechanismus, den man eben auch in mechanistischer Weise analysieren, verstehen und steuern könne, war die Umsetzung noch nicht möglich: Der menschliche Verwaltungsaufwand wäre zu groß gewesen. Man hätte Heerscharen an Büro- und Technokraten beschäftigen müssen, was unwirtschaftlich und auch zu behäbig, zu träge gewesen wäre. Daher legte zum Beispiel die amerikanische Organisation „Technocracy Inc.“ ihre Pläne erst einmal auf Eis.

Heute stehen die nötigen technischen Mittel allerdings zur Verfügung: Die Anlage umfangreicher Datensammlungen beispielsweise benötigt keine menschlichen Arbeitskräfte mehr – dies erfolgt nun automatisiert, durch Algorithmen der sozialen Netzwerke, und die Auswertung wird nun zunehmend durch entsprechende KI-Systeme sehr effizient gestaltet. Insbesondere in Bezug auf die politischen Ansichten unter der breiten Bevölkerung braucht man nur die „Postings“ auf Meta, X oder anderen Netzwerken zu analysieren – auf Basis solcher Daten werden ganze Wahlkampfprogramme gestaltet, so wie es unter anderem bei Trumps „Maga“-Kampagne der Fall gewesen war. Wie ich bereits erwähnt habe, kommentierte eine ehemalige Facebook-Mitarbeiterin dies mit den Worten, sie habe den Eindruck, es dabei mit „einem perfekten opportunistischen Algorithmus“ zu tun zu haben. Später stellte sich heraus, dass man genau das tatsächlich gemacht hatte: Daten aus „sozialen Medien“ wurden zur Entwicklung des Wahlprogramms herangezogen, kurz: Man ließ den Kandidaten genau das sagen, was die Leute hören wollten – weil sie es vorher in diesen Netzwerken ja über längere Zeit kundgetan hatten. Auch auf wirtschaftlicher Ebene lassen sich solche Daten natürlich recht einfach sammeln und auswerten: Was kaufen die Leute? Wie viel davon? Sind bestimmte Trends erkennbar? Welche? Wie könnte man auf das Konsumverhalten der Menschen Einfluss nehmen? Vielleicht sogar ihr Verhalten über die Entwicklung und Verbreitung spezifischer „Nudging“-Programme im gewünschten Sinne manipulieren? Et cetera, et cetera.

Die Gefahr, dass solche Methoden angewendet werden, um ausschließlich erwünschtes Verhalten zu fördern, während unerwünschtes bestraft werden kann – eine Art bürgerlicher Sünden- oder Bußgeldkatalog –, ist nicht zu übersehen. Je mehr Möglichkeiten zur Überwachung und Kontrolle sich bieten, desto klarer zeichnet sich die panoptische Dystopie ab: natürlich nicht deshalb, weil solche Technologien gar nicht anders genutzt werden könnten, sondern weil die Erfahrung nun mal leider lehrt, dass Machtmissbrauch zu den Konstanten der menschlichen Geschichte gehört.

Das betrifft erst recht die Möglichkeiten, die sich durch sogenanntes „programmierbares Geld“ bieten. Was nichts anderes bedeutet, als dass man die digitalen Zahlungsmittel von vornherein so programmieren kann, dass damit zum Beispiel bestimmte Güter gar nicht erst gekauft werden können, oder man Delinquenten den Geldhahn zudreht oder dass bei wiederholten Verstößen gegen vorgegebene Regelwerke Kredite verweigert werden und so weiter, man also Menschen auf finanzieller Ebene entweder stark behindern oder regelrecht „ausknipsen“ kann.

Die Fundamente dieser Systeme sind bereits am Platz. Sie wurden installiert und warten jetzt eigentlich nur noch darauf, umfassend aktiviert zu werden – wodurch, sei dahingestellt. Manche vermuten, dass es sich dabei um eine erneute globale Krise ähnlich der „Pandemie“ handeln könnte, die man zur raschen Implementierung nutzen wird.

Einer der Stützpfeiler der Technokratie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das sogenannte „Vereinheitlichte Hauptbuch“ oder auch „Einheitliches Hauptbuch“ – im Englischen „Unified Ledger“ –, in dem möglichst alle Daten darüber, was Otto Normalbürger so treibt, gespeichert werden sollten. Im Verbund mit festgelegten Verhaltensregeln, zum Beispiel im Zusammenhang mit den ESG-Richtlinien („Klimaschutz“), läuft dies im Kern auf eine Art von Sozialkreditsystem hinaus.

Bereits am 20. Juni 2023 hatte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich – die „Zentralbank aller Zentralbanken“, BIZ – in ihrem Jahreswirtschaftsbericht in Kapitel drei ein „Unified Ledger“ vorgeschlagen, also ein „einheitliches Hauptbuch“, um eine „programmierbare Finanzmarktinfrastruktur“ zu schaffen, die „digitale Zentralbankwährungen, tokenisierte Einlagen und tokenisierte reale Vermögenswerte“ kombinieren soll. Tokenisierung bedeutet nichts anderes als Digitalisierung – es geht also um eine möglichst vollständige Digitalisierung und somit elektronische Erfassung aller Vermögenswerte.

Der Clou besteht darin, nicht eine einzige zentralisierte CBDC (Central Bank Digital Currency) zu schaffen, sondern eine Vielfalt solcher Zahlungssysteme, die aber untereinander Daten austauschen sollen, die in ebenjenem einheitlichen Hauptbuch per Blockchain erfasst und miteinander „automatisch interagieren“ sollen; das Stichwort lautet hier „Interoperabilität“. Die BIZ schrieb: „Jede Anwendung des Unified-Ledger-Konzepts sollte einer Reihe von übergeordneten Leitprinzipien folgen. In erster Linie sollte jede Anwendung vollständig in die zweistufige Struktur des Währungssystems integriert sein. Auf diese Weise könnte die Zentralbank weiterhin die Einheitlichkeit des Geldes durch die Abwicklung in Wholesale-CBDCs [Wholesale gleich Großhandel, meine Anmerkung] unterstützen, und der Privatsektor könnte weiterhin Innovationen zum Nutzen von Haushalten und Unternehmen vorantreiben.“

Die „übergeordneten Leitprinzipien“ sind es, über die dann die Konsum- beziehungsweise Verhaltenskontrolle erfolgen soll: Richtlinien, an die sich alle Konsumenten halten sollen, da ihnen sonst Zahlungen verweigert werden können – und das alles vollautomatisiert. Streng genommen geht es dabei also gar nicht um „Bestrafung“ von „falschem“ Verhalten, sondern darum, dieses von vornherein unmöglich zu machen, indem Geld erst gar nicht für Zwecke ausgegeben werden kann, die nicht den „Leitprinzipien“ entsprechen – was dem Geld direkt einprogrammiert werden kann. Es handelt sich also um programmierte Transaktionsbedingungen, die in die Zahlung beziehungsweise das Geld selbst integriert sind.

Die BIZ lässt wirklich keinen Zweifel an den zugrunde liegenden Absichten: „Tokenisierung – der Prozess der Erfassung von Ansprüchen auf Finanz- oder Sachwerte, die in einem traditionellen Hauptbuch auf einer programmierbaren Plattform existieren – bietet zwei wichtige Funktionen. Erstens bietet sie größere Kombinationsmöglichkeiten, da keine Nachrichten mehr versendet werden müssen und keine Kontoverwalter mehr für die Aktualisierung der Datensätze zuständig sind, sodass mehrere Aktionen in einem ausführbaren Paket gebündelt werden können. Zweitens ermöglicht sie die bedingte Ausführung von Aktionen durch Smart Contracts, das heißt logische Aussagen wie ‚wenn, dann oder sonst‘.“

Aus dem Zitat geht klar hervor, dass menschliche Entscheidungsträger aus dem Kreislauf genommen werden: Es sind keine „Kontoverwalter“ mehr nötig, sondern der gesamte Abgleichsprozess mit den vorprogrammierten Bedingungen – zum Beispiel die Einhaltung von CO2-Emissionsvorschriften – läuft vollautomatisch. In der Fachsprache nennt sich dies auch „Smart Contracts“. Kurz und auf gut Deutsch: Es gäbe dann keine Widerspruchsmöglichkeit mehr. Ein Nutzer, der mit solchem programmierten Geld wirtschaften will, hätte vorher den Nutzungsbestimmungen natürlich zustimmen müssen (durch Abschluss des entsprechenden „Smart Contract“) – alles Weitere wäre komplett automatisiert, nachverfolgbar, auf der ganzen Länge einer bestimmten Transaktionskette durchleuchtbar und die Daten würden im „Unified Ledger“ gesammelt.

Für den „digitalen Yuan“ Chinas wurden bereits dieses Jahr programmierbare Zahlungsfunktionen eingeführt. Die schwedische Reichsbank hat ebenfalls „bedingte Zahlungsfunktionen“ für ihre e-Krona getestet, in Singapur wird mit „zweckgebundenem Geld“ experimentiert, ebenso in einigen südafrikanischen sowie vielen anderen westlichen Ländern – es handelt sich um ein globales technokratisches Programm, kein national beschränktes. Wer sich über die Einzelheiten genauer informieren will, die ich in diesem Beitrag nur schlaglichtartig streifen konnte, dem sei die Lektüre des hervorragenden „Substack“-Artikels „The Financialisation of Compliance“ (siehe untenstehenden Link) empfohlen. Auszug: „Sobald die Infrastruktur jedoch vorhanden ist, ist das Hinzufügen neuer Bedingungen eine politische Entscheidung und kein technisches Hindernis. Die BIZ sagt wörtlich, dass die Plattform ‚Komponierbarkeit‘ ermöglicht – Bedingungen können nach Bedarf kombiniert werden. Möchten Sie Arbeitsstandards hinzufügen? Sozialverträglichkeitsindikatoren? Politische Compliance? Gesundheitsanforderungen? Planetarische Grenzen? Die Architektur macht das. Sie fügen der Kette lediglich einen weiteren Validator hinzu. Kurz gesagt, sie bauen ein System auf, um zu kontrollieren, was Sie kaufen können; Kohlenstoff ist lediglich der erste Vorwand, um die Kontrolle selbst zu normalisieren.“

Bis nächste Woche.

Link zur deutschen Übersetzung als PDF: „Die Finanzialisierung von Gefügigkeit – ESC“

Einige der Screenshots im Text sind formatbedingt etwas klein und somit unleserlich – durch Anklicken erhalten Sie größere Versionen.


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