21. Dezember 2025 18:00

Bildung Warum Wissen keine Ware mehr sein sollte, sondern Widerstand

Die Kommerzialisierung von Bildung und die Krise des Denkens

von Volker Ketzer drucken

Wissen 2.0
Bildquelle: e-Redaktion Wissen 2.0

Wissen war mal Macht.

Heute ist es Merchandise.

Ein Produkt wie jedes andere, hübsch verpackt, leicht verdaulich und in Raten bezahlbar.

Wir leben in einer Zeit, in der du dir Bildung wie Proteinpulver bestellen kannst.

Ein bisschen „Mindset“, etwas „Achtsamkeit“, ein Hauch „Purpose“ – alles im Monatsabo.

So viel Komfort gab’s noch nie, und doch war das Denken nie so flach.

Denn was dich wirklich verändert, verkauft sich schlecht.

Wer dich zum Denken bringt, macht dich unbequem. Und Unbequeme bringen keinen Umsatz.

Ich sah neulich eine Werbung:

„Lerne in sieben Tagen, wie du dein Bewusstsein öffnest.“

Sieben Tage!

Dafür hat sich früher ein Mensch sieben Jahre mit Schweigegelübde ins Kloster begeben, um vielleicht – vielleicht! – zu begreifen, wer er ist.

Heute reicht ein Klick und eine Kreditkarte.

So schnell wurde noch nie aus einer Frage ein Produkt.

Vom Wissen zum Wischen

Früher hieß Bildung: durchhalten.

Sich reiben. Sich irren.

Heute heißt sie: liken.

Die ganze Welt erklärt sich in 15 Sekunden, und das reicht uns offenbar.

Wir verwechseln Information mit Einsicht.

Und Meinung mit Wahrheit.

Ein Klick ersetzt das Gespräch, ein Video ersetzt den Widerspruch.

Die neuen Bildungsbürger scrollen sich durchs Weltgeschehen wie durch eine Speisekarte.

Sie wissen alles über glutenfreie Ernährung, aber nichts über geistige Nahrung.

Wissen ist nicht mehr etwas, das dich formt.

Es ist etwas, das du trägst – wie Accessoires im Kopf.

Wissen ist zum Schmuck geworden,

zum intellektuellen Selfie.

Aber Bildung hat nichts mit Selbstdarstellung zu tun – sie ist ein stiller Kampf, ein Ringen um Klarheit, wofür dir niemand applaudiert.

Und genau deshalb verschwindet sie: weil niemand mehr warten will und weil wahres Denken weh tut.

Bildung ohne Schmerz – Denken ohne Tiefe

Das System tut, was Systeme tun: es stabilisiert sich selbst.

Schulen belohnen Anpassung, Unis züchten Experten fürs Funktionieren.

Wer brav reproduziert, wird gelobt; wer denkt, gilt als schwierig.

Wir reden von „kritischem Denken“, aber nur solange es niemandem weh tut.

Doch Bildung ohne Schmerz ist wie Sport ohne Schweiß – reine Pose.

Und Denken ohne Risiko ist Dressur.

Ich erinnere mich an eine Mitschülerin, die ich einmal kannte.

Brillant, rebellisch, unbequem.

Sie stellte Fragen, die selbst Lehrer aus der Bahn warfen.

Heute arbeitet sie in einem Konzern, schreibt PowerPoint-Folien über „Diversity Excellence“.

Sie hat gelernt, dass Anpassung Karriere bedeutet.

Und dass Denken selten befördert wird.

Die Dressur der Braven

Der Staat liebt brave Schüler.

Die Wirtschaft liebt brave Mitarbeiter.

Die Medien lieben brave Meinungen.

Doch das Leben liebt keine Braven.

Es liebt Wache.

Menschen, die fragen, wo andere nicken.

Die zweifeln, wo andere zustimmen.

Die lieber allein aufrecht stehen, als gemeinsam sich bücken oder knien.

Wir nennen sie „Querulanten“.

Früher nannte man sie Denker.

Und genau hier liegt der Kern unserer Misere:

Wir verwechseln Ruhe mit Reife, und Anpassung mit Anstand.

So entsteht eine Gesellschaft, die lieber funktioniert als versteht.

Das Wissen, das nichts mehr wagt

Wir haben Zugang zu allem – und Verständnis für nichts.

Wir wissen, was in Gaza passiert, aber nicht, warum wir uns selbst verlieren.

Wir kennen die Biografie jedes Influencers, aber nicht die Geschichte unserer eigenen Ideen.

Wir sagen „Algorithmus“, aber meinen Schicksal.

Das Netz hat uns alle zu Bibliothekaren gemacht – nur ohne Bücher, ohne Ruhe und ohne Demut.

Wissen war mal ein Weg durch den Nebel.

Heute ist es ein Schaufenster.

Man zeigt, was man weiß, damit man dazugehört.

Aber Zugehörigkeit ersetzt keine Erkenntnis.

Und das größte Paradox unserer Zeit ist:

Noch nie hatten Menschen so viel Zugang zu Wissen – und noch nie fühlten sie sich so machtlos.

Wissen war mal ein Werkzeug, jetzt ist es Tapete.

Man klebt es an die Wand, um Tiefe zu simulieren.

Aber Tapeten reißen irgendwann. Immer.

Und dann kommt das Licht.

Die Rückkehr des Denkens

Das ist der Moment, an dem du wählen kannst:

Machst du weiter – oder wachst du auf?

Wer merkt, dass er betäubt ist, ist schon halb wach.

Und wer wieder denkt, kann sich nicht mehr so leicht führen lassen.

Denn Denken ist wie Muskelgedächtnis: Wenn du’s einmal gespürt hast, findest du immer wieder zurück.

Wirkliche Bildung beginnt da, wo du etwas riskierst –

deinen Komfort, deine Meinung, deine Zugehörigkeit.

Sie verlangt keine Abschlüsse, sondern Mut.

Mut, dir selbst zu widersprechen.

Mut, nicht sofort alles zu wissen.

Mut, dich aus dem Fluss der Zustimmung herauszuschälen und still dazustehen, inmitten der Lauten.

Das ist der Anfang von Freiheit.

Hoffnung als Haltung

Wir müssen das Denken nicht neu erfinden.

Wir müssen es nur zurückholen – zu uns selbst.

Nicht der Staat wird dich bilden. Nicht das System.

Sondern du, in stillen Räumen, mit echten Fragen, mit unbequemen Antworten.

Du brauchst keinen Lehrplan, nur Neugier.

Keinen Lehrer, nur Geduld.

Keine Theorie, nur die Bereitschaft, die eigene Dunkelheit zu ertragen.

Denn aus einem freien Gedanken wächst eine freie Haltung.

Und aus freien Haltungen entsteht eine freie Gesellschaft.

Das ist kein Traum. Das ist die Physik des Geistes.

Freiheit dehnt sich aus, wenn man sie lebt.

Also:

Lies, was dich irritiert.

Hör, was dir widerspricht.

Reflektiere, denke und dann:

Glaub, was dich stärkt.

Und lass alles andere los.

Denn Denken ist nicht die Kunst, recht zu haben –

sondern die Fähigkeit, frei zu bleiben, wenn alle anderen gehorchen.

Bleib frei im Kopf.


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