Bildung und Beruf: Handwerk hat goldenen Boden
Die Bedeutung handwerklicher Berufe im Zeitalter der KI
von Andreas Tögel drucken
Die EU-Kommission strebt seit vielen Jahren an, den Anteil der Hochschulabsolventen in Euroland zu erhöhen. Bis 2030, so der „strategische Rahmen für Bildung und Ausbildung“, sollen mindestens 45 Prozent der jungen Erwachsenen einen tertiären Abschluss haben. Das ist ein edles Ziel, denn es ist ja allgemein bekannt, dass eine höhere – zumindest formale – Bildung auch bessere Menschen hervorbringt! Keinesfalls sollte man sich durch Unkenrufe wie diesen des „letzten Ritters des Liberalismus“ (so sein Biograph) Ludwig von Mises irritieren lassen, der einst feststellte: „Wo die Universitäten zur Leibgarde werden und die Gelehrten sich eifrig in einer ‚wissenschaftlichen Front’ aufreihen, sind die Tore für den Einzug der Barbarei geöffnet“ (Allmächtiger Staat, 2023). Gottlob kann dieser Tage aber von einer ideologiegetriebenen Politisierung der Universitäten, wo ja nach wie vor absolut wertfrei und ergebnisoffen der Wissenschaft gefrönt wird, keine Rede sein.
Auch Mises’ empörende Feststellung „Bemerkenswerterweise ist die gebildete Schicht einfältiger als die ungebildete. Die begeistertsten Anhänger des Marxismus, des Nationalsozialismus und des Faschismus waren die Intellektuellen, nicht die Grobiane“ (Im Namen des Staates – oder die Gefahren des Kollektivismus) sollte die Kommission in ihrem Streben nach mehr tertiärer Bildung nicht anfechten. Sie hält aber ohnehin unbeirrt an ihrer grundsätzlichen Einsicht fest, dass der Mensch beim Bachelor und die Evolution beim Handwerker beginnt.
Immer noch gilt als ausgemacht, dass mit einer universitären Bildung, gleich welcher Fachrichtung, automatisch ein höheres Einkommen verbunden ist. Nicht wenige Akademiker – besonders jene im öffentlichen Dienst – verweisen auf ihre zahlreichen Studienjahre, um ihre Einkommen zu rechtfertigen. Karl Marx’ Arbeitswerttheorie scheint von den Universitäten somit erfolgreich vermittelt und in die Köpfe der Absolventen gehämmert worden zu sein. Welchen Gebrauchswert das gelieferte Produkt repräsentiert, ist demnach weniger relevant als der Zeitaufwand, in dem es erstellt wurde.
Seit einiger Zeit werden die Karten allerdings durch ein recht junges Phänomen, nämlich jedes der „Künstlichen Intelligenz“, neu verteilt. Plötzlich sehen sich zahlreiche Akademiker einer ähnlichen Situation gegenüber, welche die Leinenweber in Schlesien anno 1844 auf die Barrikaden trieb. Damals war es die bahnbrechende, disruptiv neue Technologie der mechanischen Webstühle, die viele ihrer Arbeitsplätze obsolet machte. Heute stehen beispielsweise Dolmetscher oder Absolventen von Studien wie Zeitungs- und Kommunikationswissenschaften vor dem Problem, dass sie relativ leicht und kostengünstig durch elektronische Werkzeuge ersetzt werden können. Was aber soll jemand tun, der in vielen Studienjahren nichts anderes gelernt hat, als heiße Luft zu produzieren, wenn die Heißluft plötzlich aus dem Computer kommt?
Zwar mangelt es nicht an warnenden Stimmen, die in der KI eher eine Gefahr als einen Nutzen erblicken. Das wird an ihrem Siegeszug indes nichts ändern. Einmal mehr wird nämlich deutlich, dass das, was möglich ist, auch umgesetzt wird. Jedenfalls liefert die Geschichte keinen Hinweis darauf, dass es jemals anders war.
Das Kernproblem und seine Folgen
Das Kernproblem liegt in der durch lange Zeit hindurch gepflegten Fehleinschätzung, dass es ehrenrührig und unter der Würde eines intelligenten jungen Menschen wäre, einen Beruf zu erlernen, bei dem er sich – horribile dictu – die Hände schmutzig machen oder gar ins Schwitzen kommen könnte. Folgerichtig wurden und werden auch jene Schüler, die für eine höhere Bildung gar nicht den Kopf haben, mit allen Mitteln bis zum Abitur gequält. Für die tut sich danach die Frage auf: Was jetzt? Hat man es allerdings erst einmal bis zur Studienberechtigung geschafft, ist klar, dass man auch studieren muss.
Dass es für Fachrichtungen, die ein hohes Maß an analytischer Intelligenz erfordern, wie Mathematik, Physik oder Maschinenbau, nicht reichen wird, erkennen die meisten für ein Universitätsstudium im Grunde unqualifizierten Studienanfänger selbst. Somit drängen sie sich in Fachrichtungen, die keine allzu hohen kognitiven Anforderungen stellen – wie etwa Politik- oder Genderwissenschaften.
Danach kann man sich zwar der weiteren Erforschung der Segnungen des Marxismus-Leninismus widmen oder sich auf die Suche nach einem 73. Geschlecht begeben. Wird man aber nicht das Glück haben, beim Staat oder einer von diesem gepamperten NGO unterzukriechen, wird man mangels wirtschaftlich verwertbarer Kenntnisse erhebliche Schwierigkeiten haben, einen Job zu finden.
Um das Jahr 1900 lag die Akademikerquote in Deutschland und Österreich bei unter einem Prozent (!) der Bevölkerung. Akademiker waren zu dieser Zeit tatsächlich die geistige Elite. Was aber ist zu erwarten, wenn, wie von der EU-Kommission gewünscht, ab 2030 beinahe die Hälfte der jungen Leute einen tertiären Abschluss haben soll? Kann irgendjemand schwindelfrei genug sein, anzunehmen, dass das ohne einen massiven Qualitätsabbau möglich sein wird? Wohl kaum. Ohne kräftige Absenkung der Anforderungen ist das unmöglich – einfach, weil bei Gültigkeit jener Standards, wie sie 1900 geherrscht haben, nicht jeder Zweite den Kopf dafür hätte, erfolgreich ein Studium abzuschließen. Das ist aber auch überhaupt kein Beinbruch, da ja viele tüchtige, beruflich sehr erfolgreiche Menschen auch nie studiert haben.
Daher wäre es wichtig, das Image von Lehrberufen oder einer unternehmerischen Tätigkeit, die sich ja häufig an eine erfolgreich absolvierte Lehre anschließt, zu heben, um nicht noch mehr Ressourcen für überflüssige Studienlehrgänge zu vergeuden.
Faktum ist, dass Handwerker nicht durch eine künstliche Intelligenz ersetzt werden können. Denn wenn das Dach leckt, der Stromverteilerkasten verschmort ist oder das Auto neue Bremsbeläge braucht, nutzt die beste KI nichts – dann braucht es die kundige Hand eines Facharbeiters.
Fazit: Der Tag, an dem sich der Wahrheitsgehalt der aus dem Mittelalter stammenden Weisheit „Handwerk hat goldenen Boden“ erweist, wird kommen – und zwar schneller, als die meisten glauben!
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