17. Februar 2022 13:00

Libertäre Online-Kampagne Wie bekämpft man den Staat …

… und das ganz ohne Aktivismus?

von Sascha Koll

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Wie schafft man es, als Libertärer gleichzeitig in die Twitter-Trends zu kommen, Linke zu triggern und auch noch die Aufmerksamkeit des kauzigen Privatstadtverächters Andreas Kemper zu erlangen? Man stellt Fragen, wer ohne Staat die schlimmsten Verbrechen begeht.

Die Aktion #AberOhneStaat war ursprünglich die Idee eines Nutzers, der sich auf dem Discord-Server (Text- und Sprachchat) der Marktradikalen aufhält und ein paar Bilder zum Teilen auf Twitter vorgeschlagen hat. Mit „Aber ohne Staat“ fangen normalerweise Sätze von Leuten an, die sich nicht vorstellen können, wer sonst die Straßen baut, Bildung anbietet oder den Armen hilft. Wir nutzen schon länger und häufig solche Sätze ironisch, und es bot sich an, eine Sammlung dieser ironischen Fragen zu erstellen. Neben „Aber ohne Staat, wer verbietet Asylbewerbern dann die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit?“, „… wer zwingt kleine Läden dann ihre Konzernkonkurrenz zu finanzieren?“ – in Anlehnung an die erneute Rettung von „Galeria Kaufhof“ – und „… wer baut in einer Pandemie dann Krankenhäuser und Intensivbetten ab?“ haben wir 34 weitere Sharepics erstellt. Die Profi- und Hobbyprogrammierer der Marktradikalen haben einen Bot programmiert, um eine Erstellung von Sharepics für alle Nutzer des Discord-Servers mit wenigen Klicks zu ermöglichen, und dann war irgendwie klar: Da steckt Potenzial drin. Die Publikation der Bilder müssen wir etwas größer aufziehen.

Kurzerhand einigten wir uns auf einen Tag und darauf, wen wir ansprechen wollten, um ihn oder sie an der Aktion teilhaben zu lassen. Zu unserer Freude konnten wir den Unternehmer und ef-Kolumnisten Oliver Gorus für die Idee gewinnen, der sich für den Spruch „Aber ohne Staat, wer behindert dann sozialen Aufstieg mit schlechten Lehrplänen und maroden Schulen?“ entschied. Viele weitere reichweitenstarke Twitter-Nutzer gesellten sich dazu, und damit war die Aktion auch schon in den Startlöchern.

Auch wenn wir gute Unterstützung und ausreichend Material hatten, haben wir zum Start der Aktion nicht damit gerechnet, in die deutschen Twitter-Trends zu kommen. Wir hatten lediglich das Ziel, etwas Aufmerksamkeit für Staatskritik zu erzeugen, als wir am 16. April um 19:30 Uhr mit mehreren Accounts begannen, die Sharepics mit dem Hashtag #AberOhneStaat zu veröffentlichen. Um die Leute aus ihrer Komfortzone zu locken, stellten wir auch unbequeme Fragen wie „Aber ohne Staat, wer baut dann die Vernichtungslager?“, „… wie bezahlen NPD-Politiker dann ihre Miete?“, „… wer steuert und finanziert dann rechtsextreme Terrorgruppen?“ und „… wer ertränkt dann Frühchen, um seine Säuglingssterblichkeit zu schönen?“.

Überraschenderweise kam die Aktion besser an als gedacht. Unsere Follower sprangen auf den Zug auf und twitterten selbständig Fragen unter dem Hashtag #AberOhneStaat. Die Bitcoin-Bubble stieg mit ein und kritisierte das staatliche Geldmonopol und die Hürden, die beim Kauf und Verkauf von Bitcoin durch den Staat gesetzt werden. Auch Corona-Maßnahmengegner griffen die Absurditäten der letzten zwei Jahre auf und verhalfen der Staatskritik in die Trends. Auf dem Discord-Server fanden sich immer mehr Leute ein, die Sharepics erstellten, und das Geschehen entwickelte eine beeindruckende Dynamik.

Die höchste Positionierung in den Trends erreichte kurzzeitig Platz vier, und wir freuten uns im Sprachchat über die Resonanz. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Kritiker warfen uns vor, russische Bots, Incels (unfreiwillig im Zölibat lebende Männer) und Nazis zu sein. Das ist man als freier Mensch schon gewohnt, und wir nahmen die Beschämung mit Humor. Sachliche Kritik kam leider wenig. Die meisten Kontrahenten ziehen berechtigte Fragen gerne ins Lächerliche und gehen dann nicht mehr auf Argumente ein. So ist nun mal das Leben auf Twitter. Immerhin gab es eine scheinbar ernstgemeinte Einladung, unseren „libertären Blödsinn“ in einer Debatte zu „bequatschen“.

Erfreulicherweise hat auch unser Hofnarr Andreas Kemper auf #AberOhneStaat reagiert und uns als Verfassungsfeinde bezeichnet, was auf einige von uns durchaus zutrifft. Er spann wieder seine Netze zwischen den Marktradikalen, Degussa Goldhandel, eigentümlich frei, Liberty Rising und anderen liberalen und libertären Bewegungen, die in seinem Kopf allem Anschein nach konspirativ zusammenarbeiten und alle die gleiche Meinung vertreten. Den Vogel schoss er damit ab, dass er behauptete, dass auf dem Jugendcamp von Liberty Rising Schießübungen stattgefunden hätten. Wer mal wieder herzlich lachen möchte, sollte sich mit dem Herrn jedenfalls mal näher beschäftigen.

Der Abend war sehr unterhaltsam, und wir stellten fest, dass die liberale Szene mit den richtigen Aktionen imstande ist, in sozialen Netzwerken Aufmerksamkeit zu erringen. Viele Twitter-Nutzer, die sonst eigentlich eher unter dem Radar schwebten, haben sich um die ernsthaften Fragen zu liberalen Positionen gekümmert und sie hervorragend verargumentiert. Es war mir eine Freude.


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