04. April 2023

Erkenntnistheoretische Kriegsführung John Wick IV – und die Idee dahinter

Ein Kampf um die Freiheit im Denken und Handeln

von Andreas Tiedtke (Pausiert)

Die John-Wick-Filmreihe spaltet die Gemüter. Die einen sehen darin sinnlose Brutalität, andere wiederum sehen sie als Filmkunst, eine Kombination aus Filmmusik und Kampfkunst, eine Art brutalistisches Ballett. Tatsache ist, dass „John Wick IV“ eine große Anzahl von Menschen zu begeistern scheint, die Kinosäle sind gefüllt.

Man kann die John-Wick-Reihe aber auch als Allegorie oder Parabel eines intellektuellen Kampfes gegen Obrigkeit und Unterdrückung und für Freiheit sehen. John Wick will aussteigen aus dem Geschäft der Gewalt, aber man lässt ihn nicht frei. Da gibt es Schuldmünzen, die man zu achten hat. Da gibt es neutrale Zonen, die Continental-Hotels, die zu respektieren sind. Die Regeln kommen von oben, von der „Hohen Kammer“, die im Hintergrund bleibt, und die Regeln dürfen nicht hinterfragt werden. Wer sich offen gegen die „Hohe Kammer“ auflehnt, wird exkommuniziert und – so es denn gelingt – auch exterminiert.

In „John Wick IV“ zitiert der „Bowery King“, also etwa der „König der Besitzlosen“, als er auf John Wick trifft, Dante Alighieris (1265–1321) Commedia (Göttliche Komödie): „Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“ Und falls Sie meine vorherigen Kolumnen gelesen haben, wissen Sie, dass Dante im Hinblick auf die „erkenntnistheoretische Kriegsführung“ des ausgehenden Mittelalters eine herausragende Persönlichkeit war und sein Denken und seine Schriften bedeutend für die nahende Renaissance waren. Er war ein Gegenspieler des Papsttums, das die geistliche wie weltliche Oberherrschaft einforderte, und sprach sich – lange vor Immanuel Kant (1724–1804) und dem Beginn der eigentlichen Aufklärung – für das eigene Denken aus. Dantes Kampf für eine Trennung von Angelegenheiten des Geistes und weltlicher Herrschaft war ein bedeutender Schritt in Richtung Renaissance und Aufklärung.

Die John-Wick-Reihe bezieht sich damit sinnbildlich auf das Ende des Mittelalters und das Aufkommen von Renaissance und Aufklärung in der Folgezeit. Der Ausgang des Menschen aus der geistigen und – in der Folge – weltlichen Herrschaft der Obrigkeit, in der das Selbst- und Weltbild und die Regeln nicht von der Vernunft des Individuums herrühren, sondern von einer Priesterklasse, die die geistige Herrschaft besorgt, und einer Klasse politischer Akteure und elitärer Sonderinteressengruppen, die die weltliche Herrschaft besorgt. Wie Dante, Immanuel Kant und Ludwig von Mises festgestellt hatten, befinden wir uns in einer Sackgasse der Aufklärung, in der es den Menschen zwar nicht an den intellektuellen Fähigkeiten fehlt, die Lebenswirklichkeit des Handelns zu begreifen, aber an der emotionalen Befähigung hierzu. Heute hat die Priesterklasse zwar nicht mehr den Einfluss, den sie in vor-aufklärerischer Zeit hatte, aber nicht das eigene Denken und Urteilen sollen den Menschen anleiten, sondern er soll auf „die Experten“ hören, „der Wissenschaft“ vertrauen und amtlichen Quellen glauben.

Im Film „John Wick IV“ ist der Vollstrecker der weltlichen Macht der „Hohen Kammer“, also der mächtigen Akteure und Sonderinteressengruppen, der Marquis de Gramont. Dem Marquis geht es, so sagt er sinngemäß, nicht darum, John Wick zu töten, sondern die Idee, die hinter John Wick steht. Doch was ist diese Idee? John Wick möchte aussteigen aus dem Gewalt-Kartell der „Hohen Kammer“, er möchte sich nicht länger diktierten Regeln beugen, die nicht seinen Interessen oder denen seiner Mitmenschen dienen, sondern der Stabilität der Herrschaft der „Hohen Kammer“. Die Idee hinter John Wick ist die Rebellion gegen die Herrschaft und Gewalt. Er verteidigt sich erfolgreich und traut sich das sogar gegen „die bestehende Ordnung“. Dabei ist die Gewalt im Film eine Allegorie der intellektuellen Abwehr der Dogmen von oben. Es ist offensichtlich, dass ein Einzelner nicht die Macht hat, sich gegen eine derartige, martialische Übermacht zu wehren. Es handelt sich um ein Sinnbild eines inneren Kampfes. Schon im dritten Teil der John-Wick-Reihe wird mit dem Begriff „Excommunicado!“ klar gemacht, dass der Aufstand John Wicks gegen die Dogmen der Obrigkeit vor allem ein geistiges Verbrechen ist. Solche geistigen Aufrührer werden aus der Konsensgemeinschaft ausgegrenzt und wer sich mit ihnen einlässt, wird der Kontaktschuld bezichtigt und ihm dräut dasselbe Schicksal.

Spoiler-Alarm – Bitte nicht weiterlesen, wenn Sie den Film noch sehen möchten

Interessant ist besonders das Ende des Films. John Wick verzichtet im Duell gegen seinen blinden Widersacher Caine auf einen Schuss und tötet mit seiner letzten Kugel den Marquis de Gramont. Dabei ist bemerkenswert, dass sich Caine, ein ehemaliger Freund John Wicks, nicht freiwillig zu dem Duell mit John Wick bereit erklärt hatte, sondern er vom Marquis erpresst wurde, für den Marquis im Pistolen-Duell gegen John Wick anzutreten, indem der Marquis Caine mit der Ermordung von Caines Tochter drohte.

Als John Wick während des Duells schwer verletzt zusammenbricht, möchte der Marquis selbst den finalen Todesschuss abgeben und verlangt von Caine hierzu die Pistole. Bevor Caine die Pistole an den Marquis weitergibt, lässt sich Caine in Gegenwart des Herolds der „Hohen Kammer“ vom Marquis zusichern, dass Caine und seine Tochter von nun an frei von jeder Schuld gegenüber der „Hohen Kammer“ sind. Als der Marquis zur Vollstreckung schreitet, erschießt der durch die vorherigen Kugeln Caines bereits tödlich verwundete John Wick den Marquis mit der aufgesparten Kugel. Und da John Wick somit das Duell gegen den Marquis gewonnen hat, erklärt der Herold der „Hohen Kammer“ somit auch John Wick für frei.

Auch wenn John Wick kurze Zeit nach dem Duell an den Folgen seiner Verletzungen verstirbt: Dem Marquis als dem Vollstrecker der Hohen Kammer ging es ja gerade nicht um John Wicks Tod, sondern darum, dass die Idee hinter John Wick stirbt. Am Ende passiert aber genau das Gegenteil: John Wick ist tot, aber nicht die Idee, die hinter ihm steht. John Wick kommt frei, wenn er auch mit dem Leben dafür zahlt, und er kann Caine und dessen Tochter befreien. Es gibt also ein Loskommen von der „Hohen Kammer“ und „geistige Rebellion“ ist nicht zwecklos. Man kann es schaffen, sich der erkenntnistheoretischen Kriegsführung zu entziehen. Es beginnt im Kleinen. John Wick und Caine. Aber ein Anfang ist gemacht.

Quellen:

Kampf um die Meinungshoheit. Intellektuelle und Experten. Die moderne Priesterschaft? (Freiheitsfunken, Andreas Tiedtke)

Zeit des Wandels. Stehen uns turbulente Zeiten bevor? (Freiheitsfunken, Andreas Tiedtke)

Der Kampf um die öffentliche Meinung: Excommunicado! (Freiheitsfunken, Andreas Tiedtke)


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