Übergriff an Schule in Mecklenburg-Vorpommern: Nicht nur pädagogische Maßstäbe sind gänzlich verloren gegangen
Wieder einmal zeigt sich, dass man dem Staat nicht das Schulwesen anvertrauen kann
von Christian Paulwitz drucken
Vergangene Woche machte ein Vorfall an einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern die mediale Runde. Wegen eines harmlosen „TikTok“-Videos hatte ein Schulleiter die Polizei gegen eine 16-jährige Schülerin seiner Schule zu Hilfe gerufen, die auch tatsächlich kam und während der Unterrichtszeit die Schülerin vernahm. Wie ist das einzuschätzen, wenn man selbst nicht dabei war? Anhand dreier Medienberichte – dem der „Jungen Freiheit“ (JF), der dazu beitrug, dass der Vorfall überregionale Aufmerksamkeit erlangte, also eines Berichts aus dem alternativen Medienbereich, einem Beitrag des „NDR“ sowie einem Kommentar einer großen Zeitung aus dem unabhängigeren westlichen Ausland, der „NZZ“, – will ich im Folgenden den Versuch unternehmen, mich unabhängig von meinen intuitiven Reflexen der Sache aus einem neutralen Blickwinkel zu nähern, um nach Auswertung der Quellen zu einer Bewertung zu kommen. Die Artikel sind unten verlinkt.
Die „Junge Freiheit“ führt mit folgenden Worten in den Sachverhalt ein: „In Mecklenburg-Vorpommern wird ein 16-jähriges Mädchen vor den Augen ihrer Mitschüler plötzlich von drei Polizisten aus dem Unterricht geholt. Das Vergehen: Sie sagt auf TikTok, dass Deutschland ihre Heimat sei und nicht nur ein Ort auf der Landkarte. Denunziert wird die Schülerin vom eigenen Direktor.“ Der Artikel stützt sich offenbar im Wesentlichen auf die Aussagen der Mutter der Schülerin, die vielfach in wörtlicher Rede zitiert wird. Keine Augenzeugin, doch sehr nah dran an der Betroffenen und neben dem Vater die naheliegendste Person, in der Sache das Wort zu ergreifen, um bei dem Vorgang zum Schutze der Tochter zu widersprechen. Klar, dass der Autor des Artikels sich anschließend den Vorgang seitens der beteiligten Polizeidienststelle beschreiben lässt. „‚Gegen 09:45 Uhr informierte der Schulleiter die Polizei über einen möglicherweise strafrechtlichen Sachverhalt‘, erklärt Marcel Opitz, der Pressesprecher der zuständigen Polizeiinspektion Stralsund, der JF den Ablauf des Geschehens. ‚Demnach lägen Informationen vor, wonach eine 17-jährige Schülerin mutmaßlich verfassungsfeindliche Inhalte in sozialen Netzwerken verbreitet haben könnte. Es wurde ein Funkwagen zur Schule entsandt, um diesen Sachverhalt zu prüfen.‘“
Im weiteren Verlauf des Artikels wird die Mutter zum weiteren Hergang zitiert: „Meine Tochter erzählte mir später, dass die drei Polizisten mit Herrn Zimmermann plötzlich vor dem Chemieraum standen und sie abholten. Das ist das, was mich so unfassbar wütend gemacht hat.“ Die Mutter schildert weiter, dass ihre Tochter von den Beamten eskortiert wurde. „Als ob sie eine Verbrecherin sei. Durch die ganze Schule hindurch. Da sind über 500 Schüler drauf. Es ist unglaublich. Und dann ging es das ganze Schulgebäude hindurch zum Lehrerzimmer.“ – Ein redaktioneller Hinweis gibt an, die Mutter habe statt „vor dem Chemieraum“ zunächst „plötzlich im Raum“ gesagt und dies später berichtigt. – Dies ist noch in Bezug auf einen anderen Artikel und die öffentliche Diskussion des Falls wichtig.
Bevor sich die Mutter an die Presse gewandt hat, stellte sie offenbar erst den Direktor zur Rede: „Ich rief in der Schule beim Direktor an. Ich sagte, ‚Herr Zimmermann, wenn Sie meinen, dass mit meiner Tochter etwas nicht stimmt, reden Sie erst mit mir!‘ Da sagte der Direktor zu mir, dass er das nicht dürfe, er habe die Auflage, sofort die Polizei zu informieren.“ – Eine interessante Aussage, so sie stimmen sollte, finde ich, und die Zeitung hat folgerichtig Innen- und Bildungsministerium des Landes einen Fragekatalog geschickt, die jedoch jeweils nur auf die Polizei zurückverwiesen. – Was es mit der „Auflage“ des Direktors auf sich hat, wird somit nicht aufgelöst. – Auch der Direktor wollte sich nicht äußern, weil er nichts sagen dürfe. In Bezug auf die Schülerin ist dies ein korrekter Standpunkt – Diskretion wäre, auch wenn irgendetwas tatsächlich vorgelegen hätte, allerdings von Beginn an erforderlich gewesen und nur bei akuter Gefahr weniger wichtig. Was jedoch die Erklärung seines Vorgehens und – wenn denn etwas gewesen wäre – das Übergehen der Eltern als „Auflage“ betrifft, so wären ein paar Sätze der Erklärung, vielleicht auch des Bedauerns, durchaus möglich gewesen. Immerhin hat die Polizei öffentlich festgestellt, dass dem Mädchen nichts vorzuwerfen sei.
Halten wir also nach dem Artikel fest, was offenbar Fakt ist: Ein Schulleiter hat eine ihm anvertraute minderjährige Schülerin ohne hinreichenden Grund und unter Übergehung der Erziehungsberechtigten bei der Polizei denunziert; mit Hilfe der angerückten Polizisten wird die Schülerin für einen großen Personenkreis sichtbar vorgeführt zur Vernehmung. Anwalt? – Nein. Von der Mutter zur Rede gestellt, versteckt sich der Schulleiter hinter obskuren „Auflagen“. Ein handfester Skandal, nicht nur, was den Schulleiter betrifft, sondern auch in Bezug auf das Mitspielen der Polizei, die sich etwas diskreter schnell davon hätte überzeugen können, dass der Schulleiter möglicherweise nicht alle Tassen im Schrank hat und nicht etwa eine Straftat des Mädchens vorliegt, dessen Persönlichkeitsrechte folglich als das höhere Gut zu respektieren gewesen wären.
Früher galt es einmal als die Aufgabe der Presse, Obrigkeiten und Autoritäten auf die Finger zu schauen und zu thematisieren, wenn etwas falsch läuft; und als Aufgabe der Opposition, darauf zu schauen, ob Regierung und ihre Exekutivorgane ihre Kompetenzen nicht überschreiten und dies parlamentarisch oder juristisch prüfen zu lassen. Entsprechend hatte sich die Mutter an die Presse gewandt, als sie anderweitig kein Gehör fand, und auch die AfD hat sich der Sache angenommen.
Doch nicht allgemein denkt man so über die Rolle von Presse und Opposition. Nachdem der Skandal mediale Aufmerksamkeit erlangte, stellte der „NDR“ nun das Thema ganz anders dar und drehte den Spieß um: „Hetzkampagne gegen Gymnasium in Ribnitz-Damgarten“ heißt nun der Titel. „Das Richard-Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten ist offenbar Ziel von Drohanrufen und Schmäh-E-Mails. Auslöser ist eine Kampagne rechtspopulistischer Medien und von AfD-Politikern, die der Schulleitung und dem Schulleiter Stasi-Methoden vorwerfen.“ Eine bemerkenswerte Sichtweise – nun sollen sich diejenigen ungehörig benehmen, die Kritik daran üben, wenn ein Schulleiter eine Schülerin wegen eines harmlosen „TikTok“-Videos denunziert und vorführt. Beispiele für erfolgte „Drohungen“ oder „Schmähungen“ werden nicht genannt. Es heißt wörtlich: „Die Drohungen und Schmähungen beschäftigen inzwischen die Polizei. Sie fordert auf ihren Social-Media-Kanälen dazu auf, Persönlichkeitsrechte zu beachten. Der Aufruf zu Straftaten werde ebenso verfolgt wie Beleidigungen. Nach Angaben des Bildungsministeriums ist der Staatsschutz eingeschaltet. Das Polizeipräsidium Neubrandenburg spricht auf X von Hetze gegen die Schule.“
Kann man viel herauslesen, wenn man möchte; tatsächlich steht bei genauem Hinsehen nur da, dass es so etwas wie eine präventive Gefährderansprache an Unbekannt gegeben hat; vorliegende strafwürdige Beleidigungen oder Drohungen werden allenfalls suggeriert. Dass der Schulleiter ein paar deutliche Worte der Kritik und des Befremdens zu hören bekommt, insbesondere von Eltern, die an dieser Schule Kinder haben, halte ich nicht nur für verständlich, sondern sogar für geboten. Die Schwäche im ursprünglichen Bericht der Mutter ist es, dass die Tochter nicht wie zunächst angegeben von den Polizisten aus dem Unterricht geholt wurde, sondern tatsächlich vom Schulleiter, während die Polizisten draußen warteten. Das Bild war natürlich empört von Kritikern aufgegriffen worden, ist aber hier gar nicht entscheidend. Der tatsächliche Ablauf war nicht weniger unangemessen, wurde natürlich ebenfalls im Schulhaus von Dritten beobachtet und hatte sich höchstwahrscheinlich herumgesprochen, was von Anfang an billigend in Kauf genommen worden war.
Kein Anstoß des Staatsfunksenders an der Übergriffigkeit, dass überhaupt die Schülerin aufgrund eines privaten, nicht mit der Schule in Verbindung stehenden, offenkundig von der Meinungsfreiheit gedeckten Posts aus dem Unterricht geholt (!) wurde: „Die Polizei widerspricht der Darstellung vehement. Sie habe von der Schulleitung Hinweise auf möglicherweise staatsschutz-relevante Inhalte bekommen. Das Mädchen sei von den Beamten nicht aus dem Unterricht geholt worden, sondern vom Schulleiter. Es habe zusammen mit ihm und der Schülerin ein gemeinsames Aufklärungsgespräch ‚mit präventivem Charakter‘ gegeben. Von den Mitschülern der Klasse seien die Beamten nicht wahrgenommen worden. Letztlich habe es keinen Anfangsverdacht gegeben.“ Und dann ein Satz, bei dem einem schon etwas die Spucke wegbleibt, so dreist ist er: „Das Mädchen habe sich im Anschluss verständnisvoll gezeigt und sei allein wieder in den Unterricht zurückgekehrt.“
Da wird also eine Schülerin aus dem Unterricht gezogen, hat dem Schulleiter als höchster Schulautorität mit drei Polizisten als Abgeordnete des Gewaltmonopolisten Staat in einen Raum zu folgen, wo sie wegen eines privaten, schulunabhängigen Beitrags in sozialen Medien zur Rede gestellt und ihr klargemacht wird, dass das mit der Meinungsfreiheit in Deutschland nicht zu wörtlich genommen werden soll, und die Reaktion des – wie sich jeder leicht vorstellen kann – erst einmal eingeschüchterten Mädchens wird als „verständnisvoll“ bezeichnet. Unglaublich. Nicht die Spur einer Kritik an dem Vorgang an sich, geschweige denn die Thematisierung der offenkundigen Grenzüberschreitungen. Durch den Schulleiter, die Polizei und – immer naheliegender – der Landesregierung, denn da scheint ein System dahinterzustehen, wenn das ein so normaler Vorgang sein soll. Ein widerlich willfähriger und schmieriger Staatsgewalt-Verteidigungsartikel mit Bücklingen an die kleineren und größeren Obrigkeiten. Ein eigener Skandal.
Dabei handelt es sich beim „NDR“-Beitrag nicht einfach nur um einseitige Berichterstattung, sondern um rhetorisch professionelle Propaganda. Die Kritik an der Sache selbst seitens der Opposition ist nicht direkt zu entkräften, also wurde eine Schwachstelle, eine Ungenauigkeit, ein Missverständnis oder eine Übertreibung gesucht, die widerlegt werden kann, in ihrer Bedeutung erhöht und sich darauf konzentriert, um durch deren Widerlegung die Gesamtkritik zu schwächen oder gar wegzuwischen. Fast immer findet sich ein solcher Ansatzpunkt, wie auch hier. So wird der Gefolgschaft, die man bei der Stange halten will, das Signal gegeben: Hier gibt es nichts zu sehen – Ihr könnt euch wieder hinlegen und weiterschlafen. Hat immer wieder funktioniert.
Übertreibe ich in meiner Kritik?
Dazu noch ein Blick in die Auslandspresse, in die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ). Der Kommentar dazu: „Ein Staat, der eine Schülerin wegen eines Schlumpf-Videos mit einer ‚Gefährderansprache‘ einschüchtert, hat jedes Maß verloren“. Die Bewertung des Vorgangs ist deutlich und scharf, nachdem festgestellt wurde, dass die Aussagen des Mädchens sowohl faktisch richtig als auch harmlos und von der Meinungsfreiheit fraglos gedeckt waren; und abgesehen davon ein verantwortungsvoller Pädagoge sich ohnehin anderer Mittel bedient hätte:
„Der sozialdemokratische Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel, rechtfertigte gleichwohl das Vorgehen der Ordnungskräfte. Man fragt sich, was er wohl sagen würde, wenn seine eigenen Töchter aus dem Klassenzimmer abgeführt würden. Aber es geht hier gar nicht um subjektive Gefühle, sondern um einen Dammbruch: Dieser Fall führt vor Augen, wohin die Reise geht, wenn die deutsche Regierung aus SPD, Grünen und Freien Demokraten einen starken Staat demonstrieren will – und Beamte wie der Schulleiter aus Mecklenburg-Vorpommern den ‚Kampf gegen rechts‘ unterhalb der Strafbarkeitsgrenze wörtlich nehmen und in vorauseilendem Gehorsam aktiv werden.“
Der Kommentar der „NZZ“ schließt mit den Worten: „Der Fall schlägt im Osten Deutschlands hohe Wellen. Das dürfte auch daran liegen, dass die Menschen dort sensibel reagieren, wenn ein westdeutscher Schulleiter derart überreagiert. Dessen Vorgehen gegen die 16-Jährige erinnert an einen Text des ausgebürgerten DDR-Dichters Reiner Kunze über eine Schülerin, die in der Pause eine Postkarte aus Tokio herumreicht: ‚Ihr Klassenlehrer erteilte ihr einen Verweis. Sie betreibe innerhalb des Schulgeländes Propaganda für das kapitalistische System.‘“
Ich bin selbst so alt, dass man in meiner Schulzeit unter Medienkompetenz noch verstanden hat, mit Hilfe von Allgemeinbildung und logischem Denkvermögen Artikel und Kommentare, die man liest, dahingehend zu prüfen, ob darin offenkundiger, womöglich in manipulativer Absicht erstellter Bullshit-Inhalt steht; und nicht, dass man sich nur aus staatlich akzeptierten Quellen informiert. Mein heutiger Beitrag soll daher etwas veranschaulichen,dass man dem Staat beides nicht anvertrauen darf – weder Kontrolle über die Medien noch über das Schulwesen, weil er eigene Interessen hat und diese nicht von anderen Aufgaben trennen kann; umso weniger, je mehr Befugnisse er sich bereits angeeignet hat. Wer sich den hier über drei Medienbeiträge diskutierten Vorfall unvoreingenommen anschaut, wird nicht umhinkommen, festzustellen, dass wir erhebliche totalitäre Tendenzen in Deutschland haben. Natürlich ausgehend von oben – von wo auch sonst? Sollte in Ihrem nicht so libertären, sondern eher etwas regierungs-unkritischeren Bekanntenkreis der Fall in Mecklenburg-Vorpommern diskutiert werden – und wie böse doch gegen Schule und Polizei gehetzt wird –, schlagen Sie doch einmal die drei referenzierten Artikel vor, um den Gesamtkontext zu diskutieren (dabei gerne natürlich auch diesen Artikel hier weitergeben). Vielleicht findet sich einmal ein Ansatz, wo über die Spaltungslager hinweg miteinander über politische Ereignisse geredet werden kann; daran fehlt es doch vor allem. Sicher, die politische Bewertung kann man sicherlich unterschiedlich vornehmen, aber kein vernünftiger Mensch kann sich doch der leicht erkennbaren Tatsache entziehen, dass die Schule hier zum Schaden einer Schülerin politisch übergriffig geworden ist. Eine absehbare Folge des totalen Kampfs „gegen rechts“. Wo es einen gemeinsamen Ausgangspunkt gibt, kann man auch über unterschiedliche Blicke auf das Umfeld reden.
Apropos übergriffig: Nicht anders muss man es auch bezeichnen, wenn mittlerweile Bilder und der Name besagter Schülerin in sozialen Medien verbreitet wird – die Artikel, auf die ich mich hier beziehe, hatten die Privatsphäre soweit noch respektiert. So sehr der Fall angesprochen und die politischen Hintergründe untersucht werden müssen – eine Schülerin darf nicht medial stilisiert werden; sie hat ein Recht auf Privatsphäre und Schutz vor der Öffentlichkeit. Wer das nicht respektiert, ist nicht besser als der denunzierende Schulleiter.
Zum Schluss noch ein Zitat der Mutter aus dem „JF“-Artikel, das mir an der ganzen Sache am besten gefallen hat: „Im Nachgang sind ein paar Schüler zu meiner Tochter gekommen und haben sie getröstet“.
That’s the spirit. Nicht die Schule hat geschützt, nicht die Polizei. Rückhalt gibt es im Freundeskreis. Der Vorschriften- und Zensurstaat hat die Jugend bereits verloren – wie könnte es auch anders sein?
Quellen:
„Ich hätte nicht für möglich gehalten, was meiner Tochter angetan wurde“ (Junge Freiheit)
Hetzkampagne gegen Gymnasium in Ribnitz-Damgarten (NDR)
Kommentare
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