21. April 2024 00:00

Vermeintliche Eskalation in Nahost Es wirkt wie eine Inszenierung

„Auch an Filmsets kommen Menschen zu Schaden“

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: Arthur R. / Shutterstock „Schauspiel“ in Nahost: Eine Inszenierung à la „Truman Show“?

Dritter Weltkrieg, regionale Eskalation oder doch etwas ganz anderes? Es fällt schwer, sich auf die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten einen Reim zu machen. Und das vielleicht auch deswegen, weil die Glaubwürdigkeit aller beteiligten Akteure so erschüttert ist, dass man nicht mehr weiß, was man überhaupt glauben kann. 

Bewerten kann man dann allenfalls die offizielle Version, doch Fragen darf man auch darüber hinaus stellen. Auffällig war dabei für mich, in welchem Maße es Israel gelungen ist, der Weltöffentlichkeit sein Narrativ vom unprovozierten iranischen Angriff zu verkaufen, gegen den man sich nun zur Wehr setzen müsse. Dass es sich um einen Vergeltungsschlag für den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus handelte, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen, mochte man in Jerusalem verständlicherweise nicht an die große Glocke hängen. Was auch daran liegt, dass es für die Verantwortlichen in Israel längst nichts mehr Besonderes ist. Israel verletzt ständig libanesischen und syrischen Luftraum und bombardiert dort Ziele, bei denen es auch immer wieder zu Todesopfern kommt. Auch die gezielten Tötungen iranischer Atomwissenschaftler, mutmaßlich durch israelische Geheimdienstoperationen, waren Teil einer langen Rechnung, die man vor dem 13. April in Teheran mit Israel hatte.

Vor diesem Hintergrund fiel die iranische Vergeltung doch verblüffend moderat aus. Teheran musste klar sein, dass sie mit ihren Drohnen und Raketen keine israelischen Militärbasen ausschalten würden. Auch im Iran weiß man um Israels Raketenabwehr und die Unterstützung seiner Verbündeten. Und ich bin mir sicher: Man hat diese voll eingeplant, falls nicht alles ohnehin von vornherein abgesprochen war. Wären unter den angeblich 300 Drohnen und Raketen mehrere Volltreffer dabei gewesen, Israel wäre in der Logik des Nahen Ostens kaum etwas anderes übriggeblieben, als brutal zurückzuschlagen. Die tatsächliche Antwort Israels fiel dann am Freitag so harmlos aus, dass man entweder darüber spekulieren kann, Israel habe von den USA kein Okay für eine größere Operation bekommen, oder das Ziel des Ganzen sei von vornherein eine für alle Seiten gesichtswahrende Show gewesen. Dafür spricht auch, dass der Iran, ähnlich wie Israel, den Angriff sofort kleingeredet hat, nachdem man für eine ähnliche Attacke auf dieselbe Anlage in Isfahan 2023 noch lautstark die „zionistische Aggression“ verantwortlich gemacht hat. Interessant fand ich ebenfalls, dass beide Seiten ihre jeweiligen Lufträume unmittelbar nach den Angriffen sofort wieder geöffnet haben – weder Israel noch der Iran erwarteten offenbar weitere Raketen.

Ich fand es spannend, dass der Iran, unterstützt von seinen Verbündeten in der Region, überhaupt zum Mittel eines direkten Angriffs auf Israel gegriffen hat. Noch vor 20 Jahren wäre als Reaktion auf das Konsulat in Damaskus vermutlich eine israelische Botschaft in irgendeinem afrikanischen oder lateinamerikanischen Land in die Luft geflogen, aber es wäre niemals der zionistische Staat, eingedenk dessen militärischer Möglichkeiten, direkt unter Beschuss genommen worden. Warum sollte der Iran Israel einen Kriegsgrund auf dem Silbertablett servieren? Das passt vielleicht in die westliche Vorstellung, die im Iran unzurechnungsfähige religiöse Fanatiker an der Macht sieht. Mit der Realität hat das freilich wenig zu tun. 

Wem nützen die Entwicklungen seit dem 13. April? Ich würde sagen, und das unterstützt meine These von der gesichtswahrenden Inszenierung: Die Situation nützt beiden, dem Iran und Israel. Dem Iran, weil er mit der Aktion allen Muslimen in der Region zeigen konnte, dass Teheran die einzige verbliebene Regionalmacht ist, die Israel noch Paroli bietet und deren Führer die Eier haben, den zionistischen Staat auch direkt herauszufordern. Keine andere Funktion hatten für Saddam Hussein die Scud-Raketen während des Golf-Krieges. Ziel war damals, die arabische Straße durch eine Eskalation mit Israel gegen ihre in der Mehrzahl mit den USA verbündeten Herrscher zu mobilisieren.

Und Israel nützt der Vorfall, weil er der ganzen Welt die vermeintliche Aggressivität des Iran unter Beweis gestellt hat, der seinen Worten, das „zionistische Gebilde“ vernichten zu wollen, im Zweifel auch Taten folgen lassen würde. Netanyahu im Besonderen darf sich bestätigt fühlen, predigte er doch schon seit den frühen 90ern, dass der iranischen Gefahr entschlossen entgegenzutreten sei, als er dafür selbst in seiner eigenen Partei noch belächelt wurde. Heute ist es in Israel von links bis rechts ziemlich üblich geworden, für alles, was in der Region falsch läuft, den Iran verantwortlich zu machen. Dabei wurde der Einfluss des Iran auf die Hamas auch immer wieder überschätzt.

Auch die jeweils eigene Bevölkerung in Kriegsangst zu halten und dadurch einfacher kontrollieren zu können, nützt Zionisten und Mullahs gleichermaßen. Der iranische Angriff gab der israelischen Regierung dann auch noch einmal die Gelegenheit, einstudierte Covid-Schikanen aus der totalitären Mottenkiste zu holen. Die unabhängige israelische Journalistin Efrat Fenigson sprach von einem „Mini-Lockdown“. Versammlungen von über 1.000 Personen wurden per Regierungsanordnung in der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ kurzerhand verboten, sogar Badestrände wurden gesperrt. 

Die gehorsame Reaktion ihrer Landleute bezeichnete Fenigson dabei als „Witz“ und sprach von „verängstigten Schafen, die sich durch Covid daran gewöhnt haben“. Zum Schauspiel am nächtlichen Nahost-Himmel des 13. April merkte Fenigson übrigens an, es fühle sich wie das „Drehbuch der Truman Show“ an. Dieser Wahrnehmung kann ich mich nur voll und ganz anschließen. Die israelisch-britische Bloggerin Miri Anne nannte es eine „inszenierte psychologische Operation“, die „bis ins letzte Detail geplant, den herrschenden Klassen eine Rechtfertigung geben soll, zu tun, was sie schon immer tun wollten, dafür aber kein Mandat ihrer Bevölkerung hatten“. Auch den Einwand, man könne nicht von einer Inszenierung sprechen, da Menschen verletzt wurden, lässt sie nicht gelten. „Wenn ich sage, ein Angriff sei inszeniert, sage ich damit nicht, dass er nicht tatsächlich stattgefunden habe oder keine Menschen zu Schaden gekommen seien.“ Denn: „Auch an Filmsets kommen Menschen zu Schaden.“ 


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