29. Mai 2024 06:00

Kulturkampf Döp dö dö döp!

Die zwei Formen der Autorität und der Sinn und Zweck der Sylt-Grölereien

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Christian Bertrand / Shutterstock Grölende junge Männer: Lassen heutzutage sogar Hoffnung aufkeimen …

Das Wort Autorität hat zwei Sinnbedeutungen, die im deutschen Gebrauch des Worts unglücklich zusammengefasst sind, was das in dieser Sache oft undifferenzierte Denken der Deutschen widerspiegelt – und wodurch es manchen Menschen schwerfällt, die beiden Bedeutungen auseinanderzuhalten. Diese beiden sind „auctoritas“ und „potestas“.

Mit dem ersten dieser beiden lateinischen Wörter, also „auctoritas“, sind Würde, Ansehen und Einfluss umschrieben. Es ist die durch sein geschätztes, besonnenes, weitsichtiges, proaktives, bescheidenes und weises Handeln erworbene Autorität einer Respektsperson. Wenn man das im Deutschen ausdrücken möchte, sagt man etwa „natürliche Autorität“. Geht ein Individuum mit „auctoritas“ in Führung und übernimmt Verantwortung für ein Kollektiv, finden das alle legitim und in Ordnung.

Mit dem zweiten der beiden lateinischen Begriffe, also „potestas“, sind Amtsgewalt, formelle Macht und Befehlsgewalt umschrieben. Es ist die durch ein Amt, einen Posten, eine Funktion im Apparat erworbene Autorität eines Vorgesetzen in einer Machthierarchie. Gibt ein Individuum mit „potestas“ kraft seines Amtes einem Untertanen Anweisungen und Befehle, dann fordert er Gehorsam. Sein Ziel ist Machterhalt, seine Strategie reaktiv. Seine Autorität beruht auf der latenten Androhung von Gewalt, er hat die Macht, die Waffen, das Monopol der Rechtsprechung – das Kollektiv beugt sich gezwungenermaßen.

Beide Formen der Autorität sind so alt wie die Menschen. Und weil die Menschheit bis heute überlebt hat und dabei objektiv gesehen sehr erfolgreich ist, können wir davon ausgehen, dass wir Menschen es gelernt haben, mit Autorität beiderlei Ausprägung umzugehen. Wenn sie die Wahl haben, folgen Menschen einem Führer mit „auctoritas“ freiwillig. Leider sind diese Vorbilder rar. In vielen Fällen müssen die Menschen mangels Alternative mit Führern vorliebnehmen, die mit „potestas“ regieren, also mit der permanenten Ausübung von Zwang unter Androhung von Gewalt.

Allerdings ist diese Form der Führerschaft im Regelfall eben gerade nicht durch Maß und Mitte, Mäßigung, Klugheit und Weisheit geprägt, sondern artet allzu gern in Formen des Extremismus aus. Macht korrumpiert. Führer mit „potestas“ werden leicht arrogant, willkürlich, ungerecht, zynisch, gewalttätig, gar größenwahnsinnig. Kleine Menschen mit großer Macht sind extrem gefährlich. Hunderte Millionen von Toten gehen alleine in den letzten gut hundert Jahren auf ihr Konto.

Der Macht die Zunge herausstrecken

Die Menschheit hat darum im Laufe ihrer Geschichte in den Sippen und Clans ein gesundes Gruppenverhalten erlernt, um die Amtszeit der potenziell gefährlichen Pöstchen-Inhaber zu begrenzen: Junge Menschen fordern autoritäre Amtsträger, die keine natürliche Autorität besitzen, heraus, indem sie sich ihnen widersetzen und indem sie eine Gegenkultur entwickeln, also das machen, was „man“ nicht macht.

Die neue Generation tut sich in Gruppen zusammen und bildet eigene Kulturprodukte: Haar- und Kleidungsmoden, Musikstile, eine eigene Sprache, Literatur, Filme, Games, Internet-Memes, ja sogar ein eigenes Geldsystem. Sie provozieren, sind absichtlich ungehorsam, tun verhasste und verabscheute Dinge, verhalten sich entgegen den vorgegebenen Konventionen, sind unkonform.

Dabei haben sie durch Versuch und Irrtum schnell den Bogen heraus, welche Provokationen die Autoritäten auf die Palme bringen und so richtig Ärger machen. Denn genau das ist das Ziel: Am meisten Spaß macht Gegenkultur, wenn sich die Mächtigen wahnsinnig aufregen, denn damit legen die Herausforderer deren Schwäche bloß, sie demonstrieren die Illegitimität des Herrschaftsanspruchs und zwingen die Machthaber zur Anwendung von Gewalt. Die Herausgeforderten haben das Heft des Handelns verloren, sie werden zur Anwendung von Zwang gezwungen, sie müssen härter herrschen, immer überzogener, immer unverhältnismäßiger, immer unterdrückerischer und immer absurder reagieren: „Solange du noch deine Füße unter meinen Tisch streckst, machst du, was ich sage!“

Eine solche Konfrontation läuft unter dem Mangel an „auctoritas“ irgendwann auf einen Showdown heraus, der nur einen Sieger kennt: Entweder das Establishment gewinnt oder der Umsturz gelingt und die Provokateure entmachten die Eliten. Entweder Niederschlagung des Prager Frühlings, 17. Juni 1953, Tian’anmen-Massaker – oder Mielkes „Aber ich liebe doch … ich liebe doch alle“ unter dem Gelächter der Volkskammer. Entweder der Bauernaufstand in Südtirol wird im vierten Anlauf niedergeschlagen und Andreas Hofer wird verraten und erschossen. Oder der erfolgreiche Salzmarsch Gandhis endet in der Befreiung von der britischen Kolonialherrschaft. Entweder wird die Unabhängigkeit Nordirlands oder des Baskenlands oder Korsikas oder Kataloniens mit Gewalt verhindert. Oder der Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen Siedler mündet siegreich in die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Ein gutes Zeichen

Wer Kinder großgezogen hat, weiß, dass Eltern ihre Kinder schlichtweg nicht besiegen können – außer die Eltern nehmen in Kauf, als Kollateralschaden ihrer siegreichen Herrschaft alles zu zerstören, die Familienstrukturen zu sprengen, die Familienmitglieder in alle Winde zu zerstreuen und Wunden zu schlagen, die Generationen überdauern können. Autoritäre Eltern sterben einsam.

Niemand sollte darum so dumm sein, die Familie als Kampfplatz um Macht und Herrschaft zu interpretieren. Liebe und Verständnis, maßvolle Regeln, Zuhören, Fairness und der Versuch, jedem auf seine Weise gerecht zu werden, Freude aneinander und Stolz aufeinander und ein gerüttelt Maß an Humor lassen eine Familie zu einem Ort des Wachstums und des Gedeihens werden – da stört auch ein zünftiger Streit ab und zu gar nicht.

Nichts anderes spielt sich auf der Ebene von Vereinen, Unternehmen, Gemeinden, Städten und Ländern ab. Bei genügend Gemeinsamkeit und Grundvertrauen sind allzu viel Zwang und Gewalt unnötig. Wer allerdings als schwacher Mensch ins Amt kommt, zum Beispiel durch ein dysfunktionales Parteilistensystem, und mangels „auctoritas“ auf die Gewalt seines Amtes setzt und mit Zwang, Polizei und Manipulation herrscht, wird hoffentlich möglichst schnell von der frechen, aufmüpfigen nachrückenden Generation aus dem Sattel geworfen, vom Sockel gestürzt und entmachtet, bevor der Schaden zu groß ist.

Insofern ist in einer autoritären Gesellschaft der Ärger und die Empörung über unangepasstes, ungehöriges, ja widerwärtiges Verhalten junger Leute, die sich so gar nicht an den vorgegebenen Kodex des Mittelstrahls halten, auf der Metaebene ein gutes Zeichen! Die uralten Mechanismen der Korrektur von Machtstrukturen funktionieren noch.

Wer gegen verknöcherte Sitten, den aktuell übermächtigen Zeitgeist und das leere Geschwätz der Eliten von „Werten“, „Moral“, „Solidarität“ oder „Demokratie“ aufbegehrt, indem er ausgerechnet das macht, was die da oben hassen, der macht damit zwar unmittelbar nicht unbedingt etwas Gutes im moralischen Sinne, aber der zeigt jedenfalls mittelbar einen gesunden Widerstandsgeist. Und macht Hoffnung auf eine Renovation der Gesellschaft, nachdem die Eliten eines Tages ins Leere gelaufen sind, sich vollends lächerlich gemacht haben und unter Hohn und Spott ersetzt und beiseitegeschoben werden.

Der Geschmack der Ohnmacht

Die dieser Tage tonangebenden Grünsozialisten in allen Parteien haben auf Herrschaft durch „potestas“ gesetzt. Jeder Abweichler vom Mittelstrahl bekommt seit fast zehn Jahren bei der kleinsten Äußerung von unabhängigen Gedanken sofort von Politikern, Journalisten und ihren Mitläufern mit der Nazikeule eins übergebraten – da sollten wir uns nicht wundern, wenn junge Leute genau das tun, was am meisten gehasst wird: rechts sein. Die neue Gegenkultur ist definitiv rechts. Denn links zu sein ist sowas von uncool geworden, dass steifbeinige linke Staatstreue zwangsläufig die neuen Zielscheiben des Spotts geworden sind.

Niemand sollte sich darüber wundern, dass das angepasste Mantra „Refugees Welcome“ mit dem unangepassten „Ausländer raus!“ konterkariert wird. Und je mehr und je überzogener die Autoritären kraft ihrer Ämter darauf herumschlagen, desto lauter und verbreiteter wird „Deutschland den Deutschen!“ gesungen, sogar mittlerweile von gut integrierten Ausländern, die das unwürdige Theater auch nicht mehr mit anschauen können.

Der Zweck der Parolen ist nicht Rechtsextremismus. Die jungen Gröler in den Clubs und Bierzelten sind nicht ausländerfeindlich. Wären sie das, dann würden sie nicht provokativ grölen, sondern gewalttätig und vermummt wie die Antifa ihre Gegner angreifen und Sach- und Personenschäden anrichten.

Niemand sollte sich wundern, wenn der Hochmut der Politikerfürsten vor dem Fall kommt. Genau das ist ihre große, deutlich spürbare Angst. Bei den Pegida-Demonstrationen, bei den Corona-Spaziergängen, bei den Bauernprotesten, beim Absingen von Layla und jetzt beim Grölen von „Ausländer-raus-Ballermann-Hits“ haben die Politiker ihre Ohnmacht geschmeckt. Das hatte einen Hauch von Mielkes lächerlichem Gestammel vor der Volkskammer. An ihren humorlosen, moralisierenden, hysterischen, gegen die eigene freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßenden verbalen Ausfällen lässt sich leicht ablesen, wie sehr die Machthaber die Hosen voll haben.

Laschet beispielsweise fordert die Bevölkerung allen Ernstes zur Selbstjustiz auf und will jeden bestrafen, „der anders ist“, sagte er im Fernsehen. So überzogen, so dumm, so platt, so realitätsfremd, so lächerlich hört sich sterbende, an Posten gebundene Autorität an.

Die Angst ist berechtigt. Denn wenn ein ausreichend großer Anteil der Bevölkerung nicht mehr mitspielt, sich also nicht mehr beherrschen lässt, sondern kreativ, lachend und feiernd den Ungehorsam zelebriert, ob mit Kerzen in der Hand, in Fußgängerzonen spazierend, auf Traktoren fahrend oder singend und grölend in Klubs und Bierzelten den Fürsten, die an allzu viel „potestas“ und allzu wenig „auctoritas“ leiden, auf die Zehen steigen, dann kommt irgendwann das Ende der Macht. Hoffentlich rechtzeitig, hoffentlich noch bevor die Gewaltmonopolisten allzu viel zerstört haben.

Döp dö dö döp.


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