Sozialdarwinismus: Warum gerade der Etatismus die Herrschaft des Dschungels zurückbringt
„Wenn Waren nicht Grenzen überqueren, werden es Soldaten tun“ (Frédéric Bastiat)
von Olivier Kessler
Befürworter der freien Marktwirtschaft werden von Marktwirtschaftsgegnern immer mal wieder als „Sozialdarwinisten“ bezeichnet, um sie moralisch herabzusetzen. Liberale werden beschuldigt, sie würden eine Ordnung gutheißen, in der die Schwachen schutzlos den Starken ausgeliefert seien.
Diese Vorwürfe stammen daher, dass sich Marktwirtschafts-Befürworter, die vom einwandfreien Charakter eines freien Marktes und dessen nutzenstiftender Wirkung überzeugt sind, gegen jegliche gewaltinitiierenden Staatsinterventionen (eben auch gegen sozialstaatliche Zwangsumverteilung) zur Wehr setzen. Eine solche liberale Haltung wird dahingehend fehlgedeutet, dass es dabei darum ginge, die Schwachen zu schädigen und den Starken den Rücken zu stärken. Doch das ist entweder ein großes Missverständnis oder aber eine böswillige Unterstellung, um bestehende Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten, in denen ja gerade Starke (das Gewaltmonopol kontrollierende) über Schwache (nicht über das Gewaltmonopol Verfügende) dominieren.
Eine freie Marktwirtschaft hat nichts mit einer regellosen Gesellschaft zu tun, in der die Schwachen den Starken einfach ausgeliefert wären und sich alles gefallen lassen müssten. Der politische Philosoph Murray N. Rothbard (1926–1995) brachte dies treffend auf den Punkt: „Der Markt ist in der Tat genau das diametrale Gegenteil der ‚Dschungel‘-Gesellschaft [sozialdarwinistischen Gesellschaft]. Der Dschungel ist gekennzeichnet durch einen Krieg aller gegen alle. Einer gewinnt nur auf Kosten eines anderen, indem er dessen Eigentum beschlagnahmt. Auf dem freien Markt hingegen gewinnt man nur, indem man einem anderen dient.“
Während des allergrößten Teils ihrer Geschichte lebte die Menschheit in Gesellschaftsformen, die der von Rothbard beschriebenen Dschungel-Gesellschaft sehr nahekamen. Die meisten Menschen lebten in überschaubaren Gruppen zusammen, in sogenannten Stammesgesellschaften, die größer waren als Familien, jedoch kleiner als unsere heutige anonyme Großgesellschaft. Diese Stämme waren oftmals untereinander verfeindet, auch weil sie vom sogenannten Nullsummenglauben beseelt waren, wonach ein Stamm sich nur auf Kosten eines anderen Stammes besserstellen könne. Doch das war der vielleicht größte Irrtum in der Geschichte, der die Menschheit in Armut gefangen gehalten hat.
Diejenigen, die erkannt hatten, dass man von anderen Stämmen lernen und mit ihnen kooperieren konnte, wodurch sich alle Beteiligten besserstellten, haben den vielleicht wichtigsten Stein des Fortschritts ins Rollen gebracht. Die elementare Arbeitsteilung konnte sich somit ausbreiten, wo sie vorher durch Stammesgrenzen limitiert war.
Während der eine Stamm vielleicht besonders gut darin war, robuste Speere herzustellen, war ein anderer Stamm besonders gut in der Herstellung von Steinschleudern. So konzentrierte sich in der Herstellung jeder darauf, was er besonders gut konnte. Anschließend wurde zum beidseitigen Vorteil getauscht. Letztlich haben jene Stämme, die für die Zusammenarbeit mit anderen offen waren, die Vorteile der eigenen Gruppe mit den Stärken anderer Gruppen kombiniert und konnten dadurch ihre Position stärken.
Wer über die raffiniertesten Technologien verfügte, konnte sich am besten gegen Aggressoren verteidigen oder eben auch andere Stämme unterwerfen. Dieser Prozess könnte tatsächlich, in Anlehnung an die Evolutionstheorie, als ein Überleben der Angepasstesten bezeichnet werden. Wer sich neuen Technologien wie zum Beispiel dem Feuermachen verweigerte, wurde von jenen verdrängt, die dem Feuermachen gegenüber aufgeschlossen waren und die Technologie nutzten (sich also an die neuen Gegebenheiten anpassten).
Kriegerische Auseinandersetzungen haben nichts mit Arbeitsteilung und der Marktwirtschaft zu tun. Im Gegenteil. Die Marktwirtschaft hat aufgrund ihres immer intensiveren Austauschs und der steigenden Abhängigkeit zwischen Wirtschaftsräumen dafür gesorgt, dass Angriffskriege zunehmend kostspieliger wurden und heute weniger Kriege geführt werden als früher. Die internationale Arbeitsteilung ist jedoch fragil und Rückschritte sind nicht ausgeschlossen, wie wir in den letzten Jahren beobachten konnten. Doch solche wirtschaftlichen Entkoppelungstendenzen bleiben jeweils nicht ohne Konsequenzen. Frédéric Bastiat (1801–1850) warnte jedenfalls: „Wenn Waren nicht Grenzen überqueren, werden es Soldaten tun.“
Kriegerische Auseinandersetzungen sind also nicht Ausfluss der Marktwirtschaft, sondern von politischer Macht. Heute geht es, wenn ein Krieg vom Zaun gebrochen wird, meistens um Machtansprüche politischer Führer. Es geht zum Beispiel darum, sich günstige Energievorkommen zu sichern, damit die eigene Wirtschaft floriert und so die Besteuerungsbasis wächst. Von Letzterer hängt ab, wie groß der Militäretat ausfallen kann, wie viele schwere Waffen sich die Staatsakteure beschaffen können, um konkurrierende Länder in Schach zu halten.
Den Großmächten geht es darum, möglichst viele Vasallenstaaten auf der Welt unter ihre Kontrolle zu bekommen, um diese Länder nach ihren Wünschen zu gestalten, sodass dort die eigenen Machtinteressen durchgesetzt werden können (zum Beispiel Übernahme von Regulierungen, die der Großmacht dienen, wie etwa ein automatischer Informationsaustausch von Finanzdaten, um die Ausbeutung der Besteuerten zu erleichtern). Auch hier geht es also um Macht.
Es sind folglich die Staatsakteure (und alle, die diese für ihre Zwecke einspannen), die ein sozialdarwinistisches Spiel spielen, in dem der eine auf Kosten der anderen gewinnt und die Schwachen schutzlos den Starken ausgesetzt sind.
Mit Marktwirtschaft hat das herzlich wenig zu tun, weil es dort eben darum geht, Angebote zu machen, die im Interesse aller Beteiligten sind. Es geht darum, sich besserzustellen, indem man auch die anderen besserstellt. Und dieses Spiel funktioniert einwandfrei nur mit der Regel des geschützten Privateigentums aller Menschen (wobei hier das Eigentum am eigenen Körper miteingeschlossen ist).
Dadurch ist sichergestellt, dass die Starken den Schwachen nichts anhaben können. Sie mögen zwar je nach Disziplin die Nase im Wettbewerb vorne haben, doch das ist angesichts der menschlichen Unterschiede völlig normal und auch nichts Verwerfliches: Denn unterschiedliche Menschen sind in unterschiedlichen Disziplinen stark. Niemand ist in sämtlichen Disziplinen allen anderen überlegen. Und es gibt unzählige Nischen, in denen man sich positionieren kann.
Die Herausforderung besteht darin, unsere Talente und Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln, damit wir anderen Menschen dienen können. Wir wollen mit einem Zitat von Murray Rothbard schließen, der den „Sozialdarwinismus“-Vorwurf der Etatisten als Bumerang entlarvt: „Es ist gerade der Etatismus, der die Herrschaft des Dschungels zurückbringt – er bringt Konflikt, Disharmonie, Kastenkampf [Klassenkampf], Betrug und den Krieg aller gegen alle sowie die allgemeine Armut zurück. Es ist der Markt – die Vertragsgesellschaft, der die Natur bändigt und den Dschungel überwindet –, der es den Schwachen erlaubt, produktiv zu leben oder von aus der Produktion entnommenen Zuwendungen – ein wahrhaft majestätisches Leben. Darüber hinaus ermöglicht der Markt, indem er den Lebensstandard erhöht, dem Menschen die Muße, um genau jene Eigenschaften einer Zivilisation zu kultivieren, die ihn von Bestien unterscheidet.“
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