28. September 2025 06:00

Argentinien Rückkehr zum Wirtschaftswachstum?

Zeigt die Politik von Javier Milei den Weg?

von Antony P. Mueller drucken

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Bildquelle: imageBroker.com / Shutterstock Argentinien nach eineinhalb Jahren Milei: Ein Wirtschaftswunder – mit Fragezeichen

„Argentinien im Aufschwung: Die Milei-Überraschung“ – so titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im August 2025, nachdem sie eineinhalb Jahre vorher im Februar 2024 noch den Absturz Argentiniens nach der Wahl von Javier Milei angekündigt hatte. Hat Milei das Land aus der Krise geführt oder kann die „FAZ“ ihre Schlagzeile von 2024 bald wieder aufgreifen?

Welche Errungenschaften hat Javier Milei bisher geschafft und mit welchen Problemen ist er weiterhin konfrontiert?

In einer Zeit, in der viele Länder mit Stagnation, hoher Verschuldung und politischer Lähmung kämpfen, gelang dem argentinischen Präsidenten Javier Milei innerhalb weniger Monate das scheinbar Unmögliche: Die Inflationsrate ist gesunken und das Vertrauen der Märkte in eine Rückkehr zu wirtschaftlichem Wachstum hat zugenommen. Doch der Weg ist weiterhin steinig und aktuell überschatten politische Rückschläge – wie die Wahlniederlage von Mileis Partei in Buenos Aires – die Erfolge. Die Marktturbulenzen nehmen zu. Der argentinische Peso fällt und die interne und externe Schuldenlast bleibt hoch.

Der argentinische Präsident Javier Gerardo Milei, geboren 1970 in Buenos Aires, ist ein Ökonom, der sich selbst als libertären Anarchokapitalisten bezeichnet. In seinem Wahlprogramm kündigte er an, kompromisslos zu deregulieren, da nur freie Märkte sein Land retten könnten. Mileis Popularität basiert auf der Frustration über Jahrzehnte peronistischer Misswirtschaft, die sich in jahrzehntelanger dauernder hoher Inflation und 2023 in der Tendenz zur Hyperinflation äußerte. Milei übernahm ein Land, das sich im Dauerkrisenmodus befand. Jahrzehnte linkspopulistischer peronistischer Politik hatten zu chronischen Preissteigerungen, Staatspleiten und zu sozialer Erosion geführt.

Viele Argentinier wanderten aus oder richteten ihr Leben auf den Überlebenskampf ein. In dieser Situation versprach Milei einen radikalen Schnitt – und setzte ihn nach Amtsantritt zügig um. Mileis Maßnahmen umfassten als Erstes die „Motosierra profunda“. Das Herzstück seiner Reformpolitik war das sogenannte „Mega-Dekret Nummer 70/2023“, das eine Welle von Liberalisierungen, Privatisierungen und Kürzungen lostrat. Ergänzt wurde es durch das „Ley Bases“-Gesetz, das trotz Kompromissen mit dem Kongress Deregulierungen in über 600 Bereichen ermöglichte.

Die Politik gliedert sich in drei Phasen: Fiskalstabilisierung (2024), Monetäre Reform (seit Juni 2024) und Wachstumsförderung (2025).

Die wichtigsten Maßnahmen umfassten:

  • Staatliche Strukturreform: Abbau von 18 auf neun Ministerien, Streichung von 70.000 Staatsjobs, Kürzung von Subventionen um 30 Prozent (zum Beispiel Energie, Transport). Dies führte erstmals seit 123 Jahren zu einem Haushaltsüberschuss.
  • Privatisierungen: Verkauf von Aerolíneas Argentinas, YPF und anderen Staatsfirmen; Vorbereitung weiterer Auktionen für 2025, um fünf Milliarden US-Dollar einzunehmen.
  • Deregulierung: Aufhebung von 366 Regulierungen (zum Beispiel Mietpreisdeckel, Importbeschränkungen) oder die Freigabe von Genmais und Elektrofahrzeugen. Dies steigerte die Mietwohnungsangebote um 300 Prozent und senkte die Preise um 40 Prozent.
  • Militär- und Außenpolitik: Modernisierung durch F-16-Kauf (US-Zusage) und Abkehr von Brics hin zu OECD-Beitritt; Hilfe durch ein neues IMF-Programm mit 20 Milliarden US-Dollar.

Diesen Spar- und Schrumpfpolitik nannte Milei selbst die „Motosierra profunda“ – die „tiefe Kettensäge“.

Die aktuellen Daten zeigen eine wirtschaftliche Erholung, die aber fragil ist.

Die nationale Sparquote befindet sich seit Jahrzehnten im Sinkflug und beträgt derzeit lediglich 15 Prozent (weniger als die Hälfte der Quote Chinas). Entsprechend niedrig sind die Investitionen in Argentinien.

Seit 2010 stagniert das reale Bruttoinlandsprodukt. Die aktuellen Wachstumsraten zeigen noch keinen merklichen Effekt auf das reale Volkseinkommen.

Die Inflation ist zwar von Jahresraten von über 200 Prozent stark gesunken, aber mit derzeit über 30 Prozent immer noch sehr hoch.

Trotz der weiterhin hohen Inflationsrate hat die argentinische Notenbank (deren Abschaffung Milei zwar ankündigte, aber nicht vornahm), die Zinssätze drastisch gesenkt und auf derzeit 29 Prozent, also unter der aktuellen Inflationsrate von 33,6 Prozent, festgesetzt. Es mag somit nicht verwundern, dass die Basisgeldmenge, die als Vorläufer zur Inflationsrate dient, wieder ansteigt. Die Zentralbankbilanz nähert sich den früheren Hochständen an. Die Geldmenge M1, die direkt mit dem nominalen Sozialprodukt verbunden ist, hat die alten Höchststände schon wieder überschritten, während das reale Volkseinkommen noch stagniert.

Gleich nach seinem Amtsantritt (1. Dezember 2023) hat Milei eine drastische Abwertung des argentinischen Pesos vorgenommen. Der Versuch, anschließend die Abwertungsrate zu stabilisieren, ist gescheitert. Aktuell betreibt Argentinien eine interventionistische Wechselkurspolitik. Um diese konsequent durchzuhalten und drastische Abwertungen zu verhindern, fehlen jedoch die entsprechenden internationalen Währungsreserven, die im Wesentlichen aus Schulden gegenüber dem Internationalen Währungsfonds bestehen. Der Peso müsste abwerten, um die Exporte zu stimulieren, aber ein fallender Wechselkurs bedeutet, dass die Last der Auslandsverschuldung, die derzeit bei 27,8 Milliarden US-Dollar liegt, in nationaler Währung gerechnet, rasant steigt. Allein die externe Verschuldung Argentinien beträgt über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn keine Hilfe von außen kommt – wobei allerdings jüngst Präsident Trump eine solche Unterstützung andeutete –, ist die externe Schuldenlast Argentiniens untragbar und das Land muss wieder einmal seine Zahlungsunfähigkeit erklären. Hier liegt eine Konstellation vor, an der Präsident Milei aus eigener Kraft wenig ändern kann. Er ist auf internationale Unterstützung angewiesen. Seine Allianz mit den USA unter Trump stärkt Argentiniens Position, birgt aber Risiken einer Abhängigkeit.

Ob die Reformen letzten Endes doch gelingen, hängt von vielen Faktoren ab – nicht zuletzt von der Geduld der Bevölkerung, der Stabilität der politischen Institutionen und der Fähigkeit, soziale Kosten abzufedern. Für die Weltöffentlichkeit ist Argentinien ein faszinierendes Experiment: Kann radikaler Liberalismus ein Land aus der Krise führen? Oder wird die „Milei-Überraschung“ bald Ernüchterung weichen? Die Zwischenwahl im Oktober 2025 könnten den Wendepunkt markieren – und zeigen, ob der „Kettensägen“-Ansatz nachhaltig ist oder nur ein vorübergehender Schub. In einer Ära globaler Unsicherheit bietet das aktuelle Geschehen in Argentinien wertvolle Lektionen. Kann Argentinien trotz der Hürden zum Vorbild für andere Krisenländer werden? Diese Frage gewinnt an Brisanz, da Mileis Ansatz nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geopolitische Dimensionen annimmt.

Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, den der Autor am 19. September bei der Atlas Initiative in Verbindung mit dem Hayek Club in Köln gehalten hat.

Zur Lage Argentiniens im September 2024 hat der Autor diesen Beitrag bei den Freiheitsfunken veröffentlicht, der auf einem Vortrag bei der Property and Freedom Society (PFS) beruht.


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