19. Juni 2024 06:00

Am Vorabend des Kriegs Wann kommt unsere Zeit?

Das bürgerliche Lebensgefühl vor dem großen Zusammenbruch

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Flickr Kriegspropaganda – damals wie heute wieder: Lassen wir uns ein weiteres Mal aufhetzen?

An manchen Tagen, wenn der Kopf das Regiment hat und sich mit To-do-Listen und Buchhaltung beschäftigt, klingt es verrückt und überspannt. Die Ukraine scheint dann weit weg und die Fußball-Europameisterschaft liefert Nachrichten für den Abend des Alltags. An anderen Tagen aber wirkt es sehr real und ganz nah, dann spüre ich die Angst vor einem großen Krieg in Europa, auch auf deutschem Boden, beinahe körperlich.

Wenn ich an einem solchen schlechten Tag den serbischen Präsidenten Vučić im Interview mit dem Schweizer Journalisten Roger Köppel bitterernst vom bevorstehenden Krieg reden höre, wenn ich die kriegsgeilen Trolle in den Social Media hetzen sehe, die jeden Kriegsgegner zum „Putinknecht“ stempeln, wenn ich die dummdreisten Politiker die Kriegstrommel schlagen höre, wenn ich den Unfug einer sogenannten „Friedenskonferenz“ in der einstmals neutralen Schweiz sehe, zu der eine der Kriegsparteien gar nicht eingeladen wurde und die deshalb zu einem Tribunal über den Abwesenden gemacht wird, dessen Zweck nicht der Frieden ist, sondern offensichtlich die weitere Eskalation – an solchen Tagen frage ich mich: Wo sind die Vernünftigen? Wo ist die Friedensbewegung? Wo ist die Friedenspartei? Wo sind die klugen Köpfe? Um wen scharen sich die Friedvollen? Oder sind jetzt wieder mal alle verrückt geworden?

Das libertäre Friedensprojekt

Der Libertarismus, in dem die Freiheit des Einzelnen über allem steht, ist eine friedliche Idee. Natürlich wird der Libertarismus von den Kollektivisten aller Farben als Egoismus diffamiert, aber wer sich mit nur einem Funken Offenheit und Wohlwollen mit der libertären Idee auseinandersetzt, merkt schnell, dass das Primat der individuellen Freiheit ja die Freiheit des anderen voraussetzt.

Der Kern der freiheitlichen Idee ist, dass die Freiheit des anderen respektiert wird, dass die Freiheit universell ist und kein Freiheitlicher die eigene Freiheit über die des anderen stellt. Aus der Idee der individuellen Freiheit folgt das Nichtaggressionsprinzip, das initiale Gewalt verbietet und Gewalt einzig zur Selbstverteidigung zulässt. Es folgt daraus die Anerkennung des Privateigentums und des Selbsteigentums des anderen. Und es folgt die Illegitimität von Herrschaft, von Zwang und Gewaltandrohung. Kriege sind mit Libertären nicht anzuzetteln, sie sind immun gegen das nationalistische Aufwiegeln und die Propaganda der kollektivistischen Herrscher, die stets die Welt in Freund und Feind, in Gut und Böse, in Wir und die Anderen einteilen.

Das unvollendete Freiheitsprojekt ist auch ein Friedensprojekt. Das Europa der tausend Liechtensteins von Hoppe oder die Freien Privatstädte von Gebel sind auch Friedensutopien. Gebel schreibt in seinem Buch „Freie Privatstädte“ beispielsweise von den Anreizen, die im Gegensatz zu einer Parteienherrschaft mit käuflichen Politikern bei einer Privatrechtsgesellschaft so gesetzt sind, dass sich Frieden lohnt: „Der Betreiber hat Sicherheit garantiert und wurde dafür auch bezahlt. Daher wird der Betreiber sich um ein Höchstmaß an Sicherheit nach innen wie nach außen bemühen, möglichst ohne die Lebensqualität der Bewohner einzuschränken. Aufgrund der Gewinnerzielungserfordernis Freier Privatstädte, der Unmöglichkeit, die vertraglichen Zahlungen der Bürger einseitig zu erhöhen und ihrer relativen Kleinheit ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie Kriege führen werden.“

Aus der Zeit gefallen

Das Problem im deutschsprachigen Raum der Gegenwart ist, dass die Freiheitlichen sich ihrer selbst gar nicht bewusst sind, weil die bürgerliche Mehrheit, die immer auch eine potenziell freiheitliche, weil gegen die Herrscherclique gerichtete Mehrheit ist, im Taumel der Niedergangsgeschichte unserer Gesellschaft desorganisiert und zerstreut ist.

Wir leben nämlich in einer großer Zerfallsgeschichte. Während Potemkinsche Dörfer von grünen Fortschrittsmärchen errichtet wurden, werden hinter dieser Fassade die einst gesunden Strukturen von Familie, Recht, Unternehmertum, Christentum, Wissenschaft und Aufklärung im Rahmen der ideologischen Großprojekte förmlich in Stücke gerissen: Konkret sind diese neomarxistischen Großprojekte Umverteilungssozialismus, Etatismus, europäischer und globalistischer Größenwahn, Ultrafeminismus, Wokeismus, Klimakatastrophismus und Ersetzungsmigration – alles auch Resultate der unregulierten Parteienherrschaft in allen westlichen Verfassungsdemokratien.

Eine bürgerliche Gesellschaft wäre aber keine Niedergangserzählung, sondern eine Aufstiegsgeschichte, so wie die Gründerzeit im Deutschen Reich oder das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik der Nachkriegszeit Aufbau-, Aufstiegs- und Fortschrittsgeschichten waren. Es waren Geschichten von Unternehmertum, Gründungen, Investitionen, Mut, Erfolgen, Stolz, von steigendem Wohlstand und allgemeiner, auch kultureller Prosperität. Diese Aufbruchstimmung der selbstbewussten bürgerlichen Gesellschaft passt so überhaupt nicht mit der aktuellen Abstiegsgeschichte zusammen, deren Protagonisten obrigkeitshörig, denunziatorisch, kollektivistisch, feige, unverschämt, manipulativ und durch und durch destruktiv wirken. Bürgerlichkeit passt nicht in eine solche Zeit.

Freie Bahn für Zerstörer

Das Bürgertum ist sich seiner selbst derzeit auch gar nicht bewusst, es findet keine eigenen Formulierungen, es kann in der aktuell ablaufenden Dystopie keinen Stolz entwickeln. Warum auch sollte es stolz sein auf „unsere Demokratie“, in der Staatsanwälte weisungsgebunden sind, höchste Richterposten von Parteien besetzt werden, ein per Zwang und Gewalt finanzierter Staatsfunk das Quasimonopol auf Nachrichten hat, weder Regierungschef noch Staatspräsident direkt gewählt werden, es trotz Legitimation durch die Verfassung keine Volksabstimmungen gibt, Oppositionelle mit Stasimethoden verfolgt werden, Grundrechte mit Ermächtigungsgesetzen suspendiert werden, korrupte Regierungen mit geraubtem Geld Pharmaprodukte kaufen und das Volk zu dessen Anwendung nötigen, das Geld der Bürger in die ganze Welt zerstreut und zur Beherbergung von kulturfremden Einwanderern veruntreut wird, die Industrie ins Ausland vertrieben und Unternehmer zum Aufgeben gedrängt werden, Planwirtschaft, Korruption und Korporatismus grassieren, Bildung erodiert, Kultur unter dem Mittelstrahl kriecht, reguläre Wahlergebnisse annulliert werden und ein überführter Lügner Regierungschef ist?

Diejenigen, die so nicht leben und die nicht in den nächsten großen vom Zaun gebrochenen Krieg geschubst werden wollen, sondern die in Ruhe und Frieden gelassen werden wollen, die schöpferisch und konstruktiv leben wollen, sind keine politischen Aktivisten. Sie gehen nicht in das schmutzige Geschäft der Politik. Sie gehen nicht demonstrieren. Die freiheitliche bürgerliche Mehrheit muss sich politisch nach der Selbstaufgabe von Union und FDP erst wieder neu organisieren.

Im Moment haben die Zerstörer freie Bahn, weil die Freiheitlichen es nicht schaffen, zu sich zu kommen. Muss erst alles zerstört werden, damit wir produktiven, friedlichen Bürger wieder eine Aufgabe haben, nämlich den Wiederaufbau? Eine Aufgabe, mit der wir etwas anfangen können?

Vielleicht können wir derzeit tatsächlich nichts gestalten, sondern uns nur vorbereiten für eine Zeit danach, wann immer das ist und wie kaputt dann auch alles sein wird.


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