20. Juni 2024 06:00

„Harmonisierung“ Wie Zentralisierung schöngeredet wird

In Wahrheit führt sie zu mehr Kontrolle und Ausbeutung

von Olivier Kessler

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Bildquelle: Anton Gvozdikov / Shutterstock Noch gibt es sie (zum Glück): Nationalstaaten

Die Eindrücke aus dem Zweiten Weltkrieg sind bei uns immer noch sehr präsent. Wenn ihn auch die meisten von uns nicht mehr selbst erlebt haben dürften, so haben wir doch aus Geschichtsbüchern, Dokumentarfilmen und diversen Hollywoodstreifen indirekt vom großen Schrecken erfahren. Mit der neuesten kriegerischen Auseinandersetzung in Europa zwischen Russland und der Ukraine wurde diese Geschichte des Krieges noch um ein leidiges Kapitel reicher.

Wenn freie Bürger selbst entscheiden dürften, würden die wenigsten ihre Kinder in einen Krieg schicken. Das ist verständlich: Denn in einem Krieg kann man potenziell alles verlieren, was einem lieb ist: seinen Wohlstand, sein Haus, seine Gesundheit, seine Familie, sein Leben. Die Einzigen, die allenfalls von Kriegen profitieren, sind die Waffenindustrie und die politischen Herrscher, die historisch betrachtet diese Krisensituation immer wieder ausgenutzt haben, um ihre eigene Macht und ihren Einfluss auszuweiten.

Doch anstatt daraus die richtigen Lehren zu ziehen und die Macht von kriegsanzettelnden Herrschern auf ein Minimum zu reduzieren, besteht der Irrglaube heute darin, dass es die beste Herangehensweise zur Herstellung von Frieden sei, die Nationalstaaten zu überwinden und deren Macht an internationale und supranationale Gremien zu delegieren – also an Gebilde abzutreten, die noch größere Macht akkumulieren als zuvor die einzelnen Nationalstaaten. Man glaubt, man müsse lediglich die widerstreitenden Interessen der Nationalstaaten mit einem Einheitsinteresse einer Weltregierung ersetzen und könne durch diese „Harmonisierung“ letztlich den Weltfrieden herstellen. Doch diese Denkweise ist hochgradig gefährlich.

„Harmonie“ ist ein positiv besetzter Begriff. Die meisten von uns streben nach harmonischen zwischenmenschlichen Beziehungen und einem harmonischen Familienleben. In der Musik gelten Harmonien – die wohltuenden Zusammenklänge mehrerer Töne und Akkorde – als schön, wobei man sich bei Kakofonien lieber die Ohren zuhält. Harmonie ist also grundsätzlich etwas Erstrebenswertes. Die Verwendung des Begriffs „Harmonisierung“ im politischen Kontext der Gleichmacherei impliziert, dass Unterschiede in den politischen und wirtschaftlichen Systemen, Abweichungen bei der Steuerhöhe oder der Härte der Regulierung zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften eine Disharmonie darstellten und diese Unterschiede somit zu Streit führten. Es gelte, diese Abweichungen zugunsten einer einheitlichen Lösung einzustampfen.

Wenn man es sich jedoch genau überlegt, kommt man zum gegenteiligen Schluss: Eine Vereinheitlichung führt gerade nicht zu einer friedlicheren Welt. Eine „Harmonisierung“ der Regeln aller Gebietskörperschaften mündet vielmehr in Konflikte, Streit und Disharmonie.

Warum? Ein erster Grund ist der folgende: Menschen und Kulturen sind verschieden. Es gibt unterschiedliche Sitten und Vorstellungen über das gerechte, anständige und richtige Zusammenleben. Hier nun alle Länder und Kulturen über einen Kamm zu scheren, indem man im Namen einer „Harmonisierung“ die Systeme vereinheitlichen will, ist in Wahrheit eine Form von Kolonialismus, von Bevormundung und Geringschätzung für das Andersartige. Zusammenarbeit, Kooperation und ein friedliches Nebeneinander bedingen keine vereinheitlichten Regeln. Wir kennen das vom Reisen: Wenn wir uns in einem fremden Land befinden, passen wir uns, so gut es geht, den dortigen Regeln und Sitten an. Es ist keine Bedingung, dass im anderen Land die gleichen Regeln wie bei uns gelten müssen, damit wir dorthin reisen können.

Man kann nun natürlich ins Feld führen, dass man den Unmut anderer Länder auf sich ziehe, wenn man im eigenen Land zum Beispiel tiefere Steuern erhebe und damit potente Steuerzahler aus anderen Ländern anlocke. Aber das „Problem“ ist dann nicht, dass ein Land ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis anbietet. Vielmehr muss sich jene Regierung an der eigenen Nase nehmen, die schlechte Rahmenbedingungen verschuldet und damit Personen und Firmen zur Abwanderung motiviert.

Wenn man unter „Harmonisierung“ versteht, die Regeln der erfolgreichsten Gebietskörperschaften mit den Regeln der erfolglosen zu ersetzen, statt die Standards und Institutionen der erfolgreichen nachzuahmen, hat dies aufs Ganze gesehen eine Verschlechterung der Verhältnisse in der Welt zur Folge.

Natürlich ist es für die unzureichend arbeitende Regierung einfacher, zu fordern, die Besseren sollen schlechter werden, anstatt selbst Anstrengungen zu unternehmen, um besser zu werden. Traurigerweise findet sie oft einen Weg, dass sich die Politiker aus Ländern mit besseren Rahmenbedingungen auf solch miese Deals einlassen, indem für Politiker aus erfolgreichen Ländern zum Beispiel lukrative und prestigebeladene Posten in den für die Harmonisierung zuständigen internationalen Organisationen geschaffen werden.

Ein zweiter Grund, weshalb sich eine Gleichschaltung von Rahmenbedingungen negativ auswirkt, ist der folgende: Die zunehmende Vereinheitlichung von Steuerarten, Steuerhöhe und Regulierung beseitigt zunehmend den politischen Wettbewerb. Dieser wird durch ein politisches Kartell ersetzt, das Preis- und Regulierungsabsprachen tätigt – etwas, was die gleichen Akteure in der Privatwirtschaft ironischerweise mit Vehemenz verboten sehen wollen.

Weniger politischer Wettbewerb bedeutet, dass den Politikern Tür und Tor für eine grenzenlose Bevormundung, Kontrolle und Ausbeutung der Bürger geöffnet werden. Es gibt dann keine institutionellen Barrieren mehr, die Politiker einer bestimmten Gebietskörperschaft nicht überschreiten dürfen, wenn sie keinen Exodus der Steuerzahler riskieren wollen. Vielmehr können Politiker aller Welt so im Gleichschritt die Steuern erhöhen, die Kontrollen verschärfen und die absurdesten Regulierungen erlassen, ohne dass die Bürger und Unternehmen noch Ausweichoptionen hätten.

Mehr Harmonisierung bedeutet also vor allem mehr Macht für Technokraten, Funktionäre und Politiker und weniger Macht für die Bürger. Wenn es keine natürlichen Grenzen für Politiker gibt, wird dies noch mehr Arroganz und Überheblichkeit zur Folge haben, was zugegebenermaßen bei diversen heutigen Politikern nur noch schwer vorstellbar ist. Das Machtungleichgewicht und die einseitige Bevormundung dürften in der Bevölkerung enormen Frust hervorrufen, der sich irgendwann seine Bahn schlagen und in Gewalt, Bürgerkriegen und Revolutionen münden könnte. „Harmonisierung“ führt also paradoxerweise zu größerer politischer Instabilität.

Doch nicht nur das: „Harmonisierung“ führt auch dazu, dass die Innovationskraft einer Volkswirtschaft aufgrund der steigenden Ausbeutung der Unternehmer durch den Staat nachlässt, dass weniger Wohlstand geschaffen wird und die Gesellschaft verarmt, so wie das früher oder später in allen harmonisierten Großreichen der Fall war. Die Umweltstandards würden sich absehbar verschlechtern, weil Menschen in ärmlicheren Verhältnissen dringendere Sorgen hätten als ihre Umwelt.

Auch wird durch die „Harmonisierung“ der wichtige Prozess des Versuchs und Irrtums ausgehebelt, der es Ländern und Regionen ermöglicht, mit verschiedenen innovativen Lösungsansätzen zu experimentieren. Was sich in einer Gebietskörperschaft bewährt, dürfte in einem Umfeld des politischen Wettbewerbs kopiert werden. Was gescheitert ist, müsste wieder fallengelassen werden. Ohne politischen Wettbewerb entfallen diese Lernprozesse, die wichtige Treiber des Fortschritts sind.


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