Homeoffice: Herr über die eigene Lebenszeit
Nie wieder ins Büro!
Zu den wenigen positiven Dingen der Covid-Jahre gehört der Durchbruch des Homeoffice. Viel ist seitdem publiziert worden über das Für und Wider, über gesunkene oder gestiegene Produktivität, je nachdem, welche Studie man konsultiert. Und natürlich gibt es auch weiter Betonköpfe wie den schwäbischen Unternehmer Wolfgang Grupp. Der frühere Trigema-Chef sagte zuletzt über das Arbeiten von zu Hause: „Wenn einer zu Hause arbeiten kann, ist er unwichtig. Je mehr die Leute studiert haben, desto mehr Homeoffice wollen sie – aber bei mir könnten sie sich dann auch gleich arbeitslos melden, weil sowieso keiner merkt, ob sie arbeiten oder nicht.“ Der mittlerweile 82-Jährige ist eben noch in einer anderen Zeit sozialisiert worden, anders sind diese ignoranten Worte des bekennenden Winfried-Kretschmann-Fans nicht zu erklären.
Sicher hängt die Frage nach der Produktivität von Homeoffice auch stark vom jeweiligen Gewerbe ab. Wenn mein Beruf ausschließlich darin besteht, etwas an Maschinen zu produzieren, dürfte es mit Homeoffice schwierig werden. In meinem früheren Beruf als Journalist hingegen gibt es nicht einen sinnvollen Grund gegen Homeoffice. Oft ist es da dann einfach die Kontrollsucht der Chefs, die moderneren Arbeitsformen im Weg steht. Dazwischen gibt es sicher ein breites Spektrum an potenziellen Arbeitsmodellen, die immer am besten direkt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelt werden. Vorausgesetzt, man will sich auf diesen Tausch Zeit gegen Geld überhaupt noch einlassen, bei dem man sich in Deutschland aufgrund der niedrigen Gehälter und hohen Sozialabgaben sowieso fast immer unter Wert verkauft. Vor ein paar Wochen hat hier auf Freiheitsfunken mein Mitkolumnist Manuel Maggio einen sehr lesenswerten Text über die Vorzüge der Selbständigkeit verfasst.
Unter anderem schrieb Maggio: „Die Selbständigkeit ermöglicht es mir, mich theoretisch jeden Tag neu zu erfinden und auch meine Arbeitsfelder stetig anzupassen und zu verändern. Ich bin mein eigener Chef und wenn es mal nicht so läuft, dann stehe ich alleine in der Verantwortung, etwas zu ändern und mir etwas Neues einfallen zu lassen.“ Dies bedeute für ihn einen „enormen Grad an Freiheit“. Ich kann das vollkommen nachvollziehen.
Doch selbst, wenn es mit der Selbständigkeit nicht so klappt wie geplant: Unter keinen Umständen würde ich heute noch 40 Stunden in einem Büro arbeiten. Allein die Vorstellung löst bei mir Unbehagen aus. Und offenbar nicht nur bei mir. Laut einer Yougov-Umfrage aus dem Mai unter 2.000 Büroangestellten würde jeder Zweite bei seinem Betrieb kündigen, falls die Möglichkeit des Arbeitens von zu Hause wegfiele. Zeitersparnis und bessere Work-Life-Balance sind demnach die Hauptgründe. Allerdings wünschen sich 62 Prozent eine Kombination von Büro und Homeoffice, während nur knapp jeder Fünfte gerne ausschließlich remote arbeiten würde.
Häufig hört man in diesem Zusammenhang auch Menschen sagen, Homeoffice sei nichts für sie, da sie sich zu Hause nicht konzentrieren könnten und leicht ablenken ließen. Entschuldigung, aber das ist kein erwachsenes Argument gegen Homeoffice. Während ich gerade diese Kolumne schreibe, rennt mein 16 Monate alter Sohn schreiend durchs Zimmer und versucht immer wieder mit „Daddy, Daddy“-Rufen meine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Und doch schaffe ich es, mich zu fokussieren. Einfachste Lösung: Musik und Kopfhörer. Das habe ich schon so gehalten, als ich noch in einem Büro gearbeitet habe. Denn da ist die Ablenkung meiner Ansicht nach oft noch größer als mit einem schreienden Kleinkind im Zimmer, nämlich durch Kollegen, die einen ständig anquatschen. Ich hätte kreativ ohne Musik auf den Ohren oft nichts zustande gebracht. Von den ständigen Kämpfen um ein offenes Fenster und Frischluftzufuhr ganz zu schweigen. Das ist gerade in deutschen Büros so ein großes Problem, weil hier so überproportional viele Menschen Angst vor verwirbelter und sich bewegender Luft haben. Da meinen manche schon einen steifen Nacken zu bekommen, wenn’s im Sommer mal irgendwo einen Durchzug gibt. Zu erklären ist das oft nur auf der psychologischen Ebene.
Arbeiten im Homeoffice ermöglicht einem auch die Freiheit, seinen Wohnort selbst und unabhängig vom Arbeitsort zu wählen. Was für ein Privileg! Wir sind vermutlich die erste Generation in der Geschichte der Menschheit, der diese Möglichkeit offensteht. Von wegen früher sei alles besser gewesen! Während Covid habe ich unter anderem für eine chinesische Firma gearbeitet, aber in Ungarn und auf dem Balkan gelebt. Meine Frau gab jahrelang chinesischen Kindern online Englisch-Unterricht und verdiente dabei hervorragend. Statt in den USA zu bleiben oder in ein europäisches Hochpreisland zu ziehen, wählte sie Bulgarien als Lebensmittelpunkt und lebte dort von 15 Stunden Unterrichten pro Woche fürstlich. Solche Arbeitskonstellationen sind auch ein Grund, warum immer weniger Ausländer mit Bildungshintergrund die Landessprache lernen. Denn warum sollten Expats, die den ganzen Tag im Homeoffice auf Englisch arbeiten und so ihr Geld verdienen, in ihrer Freizeit noch Deutsch lernen? Die meisten von ihnen könnten aufgrund der irrwitzig hohen Sprachstandards ohnehin nie auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen. Ich habe in den vergangenen Monaten einen Syrer kennengelernt, der nach meinem Dafürhalten hervorragend Deutsch spricht, jedoch keinen Ausbildungsplatz erhält mit der Begründung, seine Deutschkenntnisse würden nicht ausreichen, um als Friseurlehrling die Berufsschule zu überstehen. Da langt man sich wirklich ans Hirn und versteht plötzlich, dass Arbeitslosigkeit von Flüchtlingen nicht immer nur auf fehlendes Bemühen oder eigene Unzulänglichkeiten zurückgeht.
Doch den größten Vorteil von Homeoffice sehe ich in dem, was die Politik oft großkotzig „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nennt. Jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, schreibt sich das heute ebenso auf die Fahne wie Gleichstellung und Diversity. Doch ohne das Angebot von Homeoffice bleibt es oft beim Lippenbekenntnis. Eine betriebliche Kinderbetreuung kann da bestenfalls eine Ergänzung sein. Dass gerade Konservative dann oft das vermeintlich traditionelle Familienbild des außer Haus arbeitenden Vaters hochhalten, der die Familie versorgt, während sich die Mutter daheim um die Kinder kümmert, wundert mich. Ist das nicht eine eher neue Entwicklung? Ist das nicht mehr das Rollenbild seit der Industriellen Revolution? Denn davor, in einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft, war der Vater doch stets bei der Familie. Ich teile mir die Kindererziehung partnerschaftlich mit meiner Frau und könnte mir nie vorstellen, frühmorgens ins Büro zu fahren und spätabends heimzukommen. Was würde ich nicht alles verpassen! Ich will meinen Sohn aufwachsen sehen. Hätte ich zwei Leben, vielleicht würde ich mich im ersten kaputtschuften und mich im zweiten auf meine Familie konzentrieren. Doch ich habe nur eines und das ist jetzt auch schon über der Halbzeit. Ich habe keine einzige Minute in einem Pendlerzug oder in einem stickigen Büro zu verschwenden.
Leider, und für mich überraschend, ist der Trend zum Homeoffice offenbar bereits wieder rückläufig. Viele Arbeitgeber, die während Covid Homeoffice angeboten haben (oder anbieten mussten), setzen nun wieder auf Präsenzpflicht. Produktivitätsargumente bilden dabei den Schwerpunkt. Doch das ist sehr kurzsichtig. Der Stresslevel deutscher Arbeitnehmer liegt in Europa im vorderen Drittel. 41 Prozent der deutschen Beschäftigten fühlen sich laut einer Gallup-Erhebung gestresst. In Österreich sind dies nur 35 und in der Schweiz sogar nur 30 Prozent. Da passt es auch ins Bild, dass der Stress und der Zeitverlust des morgendlichen Pendelns und die Work-Life-Balance als Hauptgründe pro Homeoffice genannt werden. Glückliche Arbeitnehmer sind produktive Beschäftigte. Dass sich diese Erkenntnis hier so schleppend durchsetzt, hat freilich auch viel mit der deutschen Mentalität zu tun. Es stimmt eben doch irgendwo immer noch, wenn es heißt, der Franzose arbeite, um zu leben, und der Deutsche lebe, um zu arbeiten.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass beim Arbeiten weniger oft mehr ist. Als ich bei einem früheren Arbeitgeber meine Arbeitszeit verkürzte, ging dies für mich nicht mit einem Produktivitätsverlust, sondern einer -steigerung einher. Ich habe in 32 Stunden mehr als in 40 geschafft. Der Tausch Zeit gegen Geld ist häufig der größte Produktivitätsfresser. Ich kenne nur ganz wenige Menschen, die wirklich in der Lage sind, 40 Stunden in der Woche konzentriert zu arbeiten. Ich bin es jedenfalls nicht. Ich arbeite sehr effizient und brauche keine 40 Stunden für meine Arbeit. Viel davon ist dann am Ende doch einfach Zeit absitzen und die Uhr runterticken lassen bis zum Feierabend, was ich heute für extrem unbefriedigend halte. Am besten hält man es wie Maggio und macht sich selbständig. Der Tausch „fertiges Produkt“ (in meinem Fall als Journalist und Übersetzer ist das ein Artikel oder ein übersetzter Text) gegen Geld macht doch auch viel mehr Sinn, als jemanden dafür zu bezahlen, 40 Stunden einen Stuhl anzuwärmen in der vagen Hoffnung, dass dabei was Brauchbares herauskommt. Das ist so starr und unflexibel, dass es total aus der Zeit gefallen wirkt.
Der größte Fallstrick für die Selbständigkeit scheint mir in Deutschland die Krankenversicherung zu sein. Die ist nämlich im europäischen Vergleich irre teuer. In Bulgarien zahlte meine Frau 14 Euro pro Monat für ihre Krankenversicherung. Hier sind wir als dreiköpfige Familie gleich mal mit mindestens 700 Euro dabei. Das muss erstmal erwirtschaftet werden und fehlt anderswo. In den USA entscheiden sich viele Freelancer daher vorübergehend gegen eine Krankenversicherung. Nach dem Ende des Obamacare-Versicherungszwangs ist dies wieder – in den meisten Bundesstaaten – straffrei möglich. In Deutschland wird man als Versicherungsverweigerer dagegen noch mit Strafzahlungen gegängelt. Auch ein Weg des Staates, die Menschen entweder in sogenannte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu nötigen oder im schlimmsten Fall sogar gleich ins Bürgergeld.
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